Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Auch in Deutschland ist das nämliche Princip, nun schärfer noch ausgesprochen seit der Bewegung vom Jahr 1848, anerkannt worden. Die österreichischen Grund- rechte von 1849. §. 1. sowohl als die preuszische Ver- fassung von 1850 stimmen darin mit dem Frankfurter und dem Berliner Entwurf der Reichsverfassung überein, dasz "der Genusz der bürgerlichen und der statsbürgerlichen Rechte von dem Religionsbekenntnisse unabhängig sein" soll. Vor- sichtig aber fügen dieselben hinzu, dasz "den statsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnisz kein Abbruch ge- schehen" dürfe.
Das norddeutsche Bundes-, nun deutsche Reichs- gesetz vom 3. Juli 1869 endlich bestimmt: "Alle noch be- stehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt- nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und statsbürgerlichen Rechte werden hiedurch aufgehoben. Ins- besondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Ge- meinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffent- licher Aemter vom religiösen Bekenntnisz unabhängig sein."
In Folge dieser neuerlich anerkannten Grundsätze ist denn auch die Stellung der Juden in diesen Ländern eine von Grund aus andere geworden. Waren dieselben früher von dem Genusse des Statsbürgerrechtes in Deutschland meistens ganz ausgeschlossen, so darf nun von der jüdischen Religion her kein Grund mehr genommen werden, denselben jenes Recht zu versagen.
Zu allgemeiner Geltung ist das neue Princip noch nicht gelangt. Von dem Papstthum wird es fortwährend als Irrthum verdammt. Aber nicht blosz wird es noch von den katholischen Staten, welche unter dem Einflusse des Klerus
demeurent libres et egaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent etre fondees que sur l'utilite commune." Von den späteren Verfassungen hat keine die Eigenschaften des "citoyen" an ein Glaubensbekenntniss geknüpft.
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Auch in Deutschland ist das nämliche Princip, nun schärfer noch ausgesprochen seit der Bewegung vom Jahr 1848, anerkannt worden. Die österreichischen Grund- rechte von 1849. §. 1. sowohl als die preuszische Ver- fassung von 1850 stimmen darin mit dem Frankfurter und dem Berliner Entwurf der Reichsverfassung überein, dasz „der Genusz der bürgerlichen und der statsbürgerlichen Rechte von dem Religionsbekenntnisse unabhängig sein“ soll. Vor- sichtig aber fügen dieselben hinzu, dasz „den statsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnisz kein Abbruch ge- schehen“ dürfe.
Das norddeutsche Bundes-, nun deutsche Reichs- gesetz vom 3. Juli 1869 endlich bestimmt: „Alle noch be- stehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt- nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und statsbürgerlichen Rechte werden hiedurch aufgehoben. Ins- besondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Ge- meinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffent- licher Aemter vom religiösen Bekenntnisz unabhängig sein.“
In Folge dieser neuerlich anerkannten Grundsätze ist denn auch die Stellung der Juden in diesen Ländern eine von Grund aus andere geworden. Waren dieselben früher von dem Genusse des Statsbürgerrechtes in Deutschland meistens ganz ausgeschlossen, so darf nun von der jüdischen Religion her kein Grund mehr genommen werden, denselben jenes Recht zu versagen.
Zu allgemeiner Geltung ist das neue Princip noch nicht gelangt. Von dem Papstthum wird es fortwährend als Irrthum verdammt. Aber nicht blosz wird es noch von den katholischen Staten, welche unter dem Einflusse des Klerus
demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l'utilité commune.“ Von den späteren Verfassungen hat keine die Eigenschaften des „citoyen“ an ein Glaubensbekenntniss geknüpft.
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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Auch in Deutschland ist das nämliche Princip, nun
schärfer noch ausgesprochen seit der Bewegung vom Jahr
1848, anerkannt worden. Die österreichischen Grund-
rechte von 1849. §. 1. sowohl als die preuszische Ver-
fassung von 1850 stimmen darin mit dem Frankfurter und
dem Berliner Entwurf der Reichsverfassung überein, dasz
„der Genusz der bürgerlichen und der statsbürgerlichen Rechte
von dem Religionsbekenntnisse unabhängig sein“ soll. Vor-
sichtig aber fügen dieselben hinzu, dasz „den statsbürgerlichen
Pflichten durch das Religionsbekenntnisz kein Abbruch ge-
schehen“ dürfe.
Das norddeutsche Bundes-, nun deutsche Reichs-
gesetz vom 3. Juli 1869 endlich bestimmt: „Alle noch be-
stehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt-
nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und
statsbürgerlichen Rechte werden hiedurch aufgehoben. Ins-
besondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Ge-
meinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffent-
licher Aemter vom religiösen Bekenntnisz unabhängig sein.“
In Folge dieser neuerlich anerkannten Grundsätze ist denn
auch die Stellung der Juden in diesen Ländern eine von
Grund aus andere geworden. Waren dieselben früher von dem
Genusse des Statsbürgerrechtes in Deutschland meistens ganz
ausgeschlossen, so darf nun von der jüdischen Religion her
kein Grund mehr genommen werden, denselben jenes Recht
zu versagen.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/270>, abgerufen am 06.05.2024.
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