Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
nicht. Manche Staten verlangen die ausdrückliche Entlassung aus dem bisherigen Statsverband, oder doch den Verzicht darauf, andere Staten sehen von dieser Bedingung ab.
2. Dem Erwerb der Volksgenossenschaft entspricht der Verlust derselben. Hieher gehören folgende Gründe:
1) der Tod. Die meisten Menschen bleiben während ihres ganzen Lebens demselben State verbunden, in den sie durch ihre Geburt eingetreten sind;
2) die Heirath. Indem die Frau durch Heirath die ihr bisher fremde Statsangehörigkeit ihres Ehemannes erwirbt, verliert sie gleichzeitig ihre bisherige Statsangehörigkeit;
3) die Entlassung aus dem angeborenen oder inzwi- schen erworbenen Statsverband. Da die Volksgenossenschaft in dem modernen State als ein persönliches Recht be- trachtet wird, so wird sie durch den Aufenthalt, selbst durch die dauernde Niederlassung in einem fremden Lande nicht sofort aufgehoben. Vielmehr ist als die Auflösungsform, welche mit der Natur dieses Rechts am besten harmonirt, die Verzichtleistung von Seite des berechtigten Indivi- duums, verbunden mit der Entlassung von Seite des States anzusehen, indem in ihr sich die wechselseitige Lösung des persönlichen Verbandes darstellt. Die meisten neuern Staten halten es aber ihrer nicht für würdig, ein Individuum, welches sich aus dem Statsverbande lossagen will, zurück- zuhalten, und haben so im Interesse der individuellen Frei- heit das Princip freier Verzichtleistung anerkannt. In vielen Fällen wird geradezu aus der Handlungsweise des Individuums auf Verzichtleistung geschlossen, auch wenn keine ausdrückliche Erklärung desselben vorliegt. Ganz besonders gilt das von der Auswanderung, in welcher sich die Absicht zu erkennen gibt, nicht wieder zurück- zukehren.9
9Code civil 17: "La qualite de Francais se perdra par tout etablis- sement fait en pays etranger, sans esprit de retour. Les etablissements
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
nicht. Manche Staten verlangen die ausdrückliche Entlassung aus dem bisherigen Statsverband, oder doch den Verzicht darauf, andere Staten sehen von dieser Bedingung ab.
2. Dem Erwerb der Volksgenossenschaft entspricht der Verlust derselben. Hieher gehören folgende Gründe:
1) der Tod. Die meisten Menschen bleiben während ihres ganzen Lebens demselben State verbunden, in den sie durch ihre Geburt eingetreten sind;
2) die Heirath. Indem die Frau durch Heirath die ihr bisher fremde Statsangehörigkeit ihres Ehemannes erwirbt, verliert sie gleichzeitig ihre bisherige Statsangehörigkeit;
3) die Entlassung aus dem angeborenen oder inzwi- schen erworbenen Statsverband. Da die Volksgenossenschaft in dem modernen State als ein persönliches Recht be- trachtet wird, so wird sie durch den Aufenthalt, selbst durch die dauernde Niederlassung in einem fremden Lande nicht sofort aufgehoben. Vielmehr ist als die Auflösungsform, welche mit der Natur dieses Rechts am besten harmonirt, die Verzichtleistung von Seite des berechtigten Indivi- duums, verbunden mit der Entlassung von Seite des States anzusehen, indem in ihr sich die wechselseitige Lösung des persönlichen Verbandes darstellt. Die meisten neuern Staten halten es aber ihrer nicht für würdig, ein Individuum, welches sich aus dem Statsverbande lossagen will, zurück- zuhalten, und haben so im Interesse der individuellen Frei- heit das Princip freier Verzichtleistung anerkannt. In vielen Fällen wird geradezu aus der Handlungsweise des Individuums auf Verzichtleistung geschlossen, auch wenn keine ausdrückliche Erklärung desselben vorliegt. Ganz besonders gilt das von der Auswanderung, in welcher sich die Absicht zu erkennen gibt, nicht wieder zurück- zukehren.9
9Code civil 17: „La qualité de Français se perdra par tout établis- sement fait en pays étranger, sans esprit de retour. Les établissements
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0258"n="240"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.</fw><lb/>
nicht. Manche Staten verlangen die ausdrückliche Entlassung<lb/>
aus dem bisherigen Statsverband, oder doch den Verzicht<lb/>
darauf, andere Staten sehen von dieser Bedingung ab.</p><lb/><p>2. Dem Erwerb der Volksgenossenschaft entspricht der<lb/><hirendition="#g">Verlust</hi> derselben. Hieher gehören folgende Gründe:</p><lb/><p>1) der <hirendition="#g">Tod</hi>. Die meisten Menschen bleiben während<lb/>
ihres ganzen Lebens demselben State verbunden, in den sie<lb/>
durch ihre Geburt eingetreten sind;</p><lb/><p>2) die <hirendition="#g">Heirath</hi>. Indem die Frau durch Heirath die ihr<lb/>
bisher fremde Statsangehörigkeit ihres Ehemannes erwirbt,<lb/>
verliert sie gleichzeitig ihre bisherige Statsangehörigkeit;</p><lb/><p>3) die <hirendition="#g">Entlassung</hi> aus dem angeborenen oder inzwi-<lb/>
schen erworbenen Statsverband. Da die Volksgenossenschaft<lb/>
in dem modernen State als ein <hirendition="#g">persönliches</hi> Recht be-<lb/>
trachtet wird, so wird sie durch den Aufenthalt, selbst durch<lb/>
die dauernde Niederlassung in einem fremden Lande nicht<lb/>
sofort aufgehoben. Vielmehr ist als die Auflösungsform,<lb/>
welche mit der Natur dieses Rechts am besten harmonirt,<lb/>
die <hirendition="#g">Verzichtleistung</hi> von Seite des berechtigten Indivi-<lb/>
duums, verbunden mit der <hirendition="#g">Entlassung</hi> von Seite des States<lb/>
anzusehen, indem in ihr sich die wechselseitige Lösung des<lb/>
persönlichen Verbandes darstellt. Die meisten neuern Staten<lb/>
halten es aber ihrer nicht für würdig, ein Individuum,<lb/>
welches sich aus dem Statsverbande lossagen will, zurück-<lb/>
zuhalten, und haben so im Interesse der individuellen Frei-<lb/>
heit das Princip <hirendition="#g">freier Verzichtleistung</hi> anerkannt. In<lb/>
vielen Fällen wird geradezu aus der Handlungsweise des<lb/>
Individuums auf Verzichtleistung geschlossen, auch wenn<lb/>
keine ausdrückliche Erklärung desselben vorliegt. Ganz<lb/>
besonders gilt das von der <hirendition="#g">Auswanderung</hi>, in welcher<lb/>
sich die Absicht zu erkennen gibt, nicht wieder zurück-<lb/>
zukehren.<notexml:id="note-0258"next="#note-0259"place="foot"n="9"><hirendition="#i">Code civil</hi> 17: „La qualité de Français se perdra par tout établis-<lb/>
sement fait en pays étranger, <hirendition="#i">sans esprit de retour</hi>. Les établissements</note></p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[240/0258]
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
nicht. Manche Staten verlangen die ausdrückliche Entlassung
aus dem bisherigen Statsverband, oder doch den Verzicht
darauf, andere Staten sehen von dieser Bedingung ab.
2. Dem Erwerb der Volksgenossenschaft entspricht der
Verlust derselben. Hieher gehören folgende Gründe:
1) der Tod. Die meisten Menschen bleiben während
ihres ganzen Lebens demselben State verbunden, in den sie
durch ihre Geburt eingetreten sind;
2) die Heirath. Indem die Frau durch Heirath die ihr
bisher fremde Statsangehörigkeit ihres Ehemannes erwirbt,
verliert sie gleichzeitig ihre bisherige Statsangehörigkeit;
3) die Entlassung aus dem angeborenen oder inzwi-
schen erworbenen Statsverband. Da die Volksgenossenschaft
in dem modernen State als ein persönliches Recht be-
trachtet wird, so wird sie durch den Aufenthalt, selbst durch
die dauernde Niederlassung in einem fremden Lande nicht
sofort aufgehoben. Vielmehr ist als die Auflösungsform,
welche mit der Natur dieses Rechts am besten harmonirt,
die Verzichtleistung von Seite des berechtigten Indivi-
duums, verbunden mit der Entlassung von Seite des States
anzusehen, indem in ihr sich die wechselseitige Lösung des
persönlichen Verbandes darstellt. Die meisten neuern Staten
halten es aber ihrer nicht für würdig, ein Individuum,
welches sich aus dem Statsverbande lossagen will, zurück-
zuhalten, und haben so im Interesse der individuellen Frei-
heit das Princip freier Verzichtleistung anerkannt. In
vielen Fällen wird geradezu aus der Handlungsweise des
Individuums auf Verzichtleistung geschlossen, auch wenn
keine ausdrückliche Erklärung desselben vorliegt. Ganz
besonders gilt das von der Auswanderung, in welcher
sich die Absicht zu erkennen gibt, nicht wieder zurück-
zukehren. 9
9 Code civil 17: „La qualité de Français se perdra par tout établis-
sement fait en pays étranger, sans esprit de retour. Les établissements
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/258>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.