Neunzehntes Cap. Verhältnisz d. States zur Familie. 1. Geschlechterstat etc.
In dieser Hinsicht blieb das römische Recht hinter der römischen Idee von der Ehe zurück. Während die Römer die Ehe als eine innige und alle Verhältnisse umfassende Lebens- gemeinsehaft von Mann und Frau auffaszten, 5 behandelte ihr älteres Recht die Frau ähnlich einer Tochter, und räumte dem Manne eine absolute Herrschaft über sie ein, wie dem Vater über die Kinder und dem Herrn über die Sclaven, und löste das spätere Recht die Gemeinschaft auf in ein lockeres Neben- einandersein der beiden von einander ganz unabhängigen Per- sonen. Das Ueberhandnehmen der sogenannten freien Ehe ging mit der zunehmenden Sittenverderbnisz in den letzten Zeiten der römischen Republik Arm in Arm, und bereitete den Untergang dieser vor.
Das deutsche Recht dagegen sowohl in seiner ältern Ge- stalt, wornach Frau und Mann zwar ihr eigenes Vermögen beibehalten, aber dessen ungeachtet die eheliche Gemeinschaft und Einigung in der ehelichen Vormundschaft des Mannes ihren rechtlichen Ausdruck findet, als in der neueren Form der Gütergemeinschaft, ist in Uebereinstimmung mit der Idee, welche wir am schönsten in den uralten, und schon in den heiligen Büchern der Juden enthaltenen zwei Sätzen aus- gesprochen finden: "Mann und Weib sind nur ein Leib," 6 und: "Der Mann ist das Haupt der Ehe." 7
5Modestinus L. 1. de Ritu nuptiarum: "Nuptiae sunt conjunctio maris et feminae, et consortium omnis vitae, divini et humani juris com- municatio," und Justin. Inst. I. 9. §. 1. "Nuptiae sive matrimonium est viri et mulieris conjunctio, individuam vitae consuetudinem continens."
6Moses I. 2., 24. und Paulus an die Epheser V. 31.: "Um desz- willen wird ein Mensch verlassen Vater und Mutter, und seinem Weibe anhangen, und werden zwei Ein Fleisch sein." Tacitus von den ger- manischen Frauen (Germ. 19.): "Sic unum accipiunt maritum, quo modo unum corpus, unamque vitam." Schwabenspiegel (Wack. 6.): "Wan die (ein man unde sin wip) reht unde redelichen zer e chomen sint, da ist niht zweiunge an, sie sint wan ein lip."
7Moses I. 3, 16. Zum Weibe sprach er: "Dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein." Paulus an die
Neunzehntes Cap. Verhältnisz d. States zur Familie. 1. Geschlechterstat etc.
In dieser Hinsicht blieb das römische Recht hinter der römischen Idee von der Ehe zurück. Während die Römer die Ehe als eine innige und alle Verhältnisse umfassende Lebens- gemeinsehaft von Mann und Frau auffaszten, 5 behandelte ihr älteres Recht die Frau ähnlich einer Tochter, und räumte dem Manne eine absolute Herrschaft über sie ein, wie dem Vater über die Kinder und dem Herrn über die Sclaven, und löste das spätere Recht die Gemeinschaft auf in ein lockeres Neben- einandersein der beiden von einander ganz unabhängigen Per- sonen. Das Ueberhandnehmen der sogenannten freien Ehe ging mit der zunehmenden Sittenverderbnisz in den letzten Zeiten der römischen Republik Arm in Arm, und bereitete den Untergang dieser vor.
Das deutsche Recht dagegen sowohl in seiner ältern Ge- stalt, wornach Frau und Mann zwar ihr eigenes Vermögen beibehalten, aber dessen ungeachtet die eheliche Gemeinschaft und Einigung in der ehelichen Vormundschaft des Mannes ihren rechtlichen Ausdruck findet, als in der neueren Form der Gütergemeinschaft, ist in Uebereinstimmung mit der Idee, welche wir am schönsten in den uralten, und schon in den heiligen Büchern der Juden enthaltenen zwei Sätzen aus- gesprochen finden: „Mann und Weib sind nur ein Leib,“ 6 und: „Der Mann ist das Haupt der Ehe.“ 7
5Modestinus L. 1. de Ritu nuptiarum: „Nuptiae sunt conjunctio maris et feminae, et consortium omnis vitae, divini et humani juris com- municatio,“ und Justin. Inst. I. 9. §. 1. „Nuptiae sive matrimonium est viri et mulieris conjunctio, individuam vitae consuetudinem continens.“
6Moses I. 2., 24. und Paulus an die Epheser V. 31.: „Um desz- willen wird ein Mensch verlassen Vater und Mutter, und seinem Weibe anhangen, und werden zwei Ein Fleisch sein.“ Tacitus von den ger- manischen Frauen (Germ. 19.): „Sic unum accipiunt maritum, quo modo unum corpus, unamque vitam.“ Schwabenspiegel (Wack. 6.): „Wan die (ein man unde sin wip) reht unde redelichen zer ê chomen sint, da ist niht zweiunge an, sie sint wan ein lip.“
7Moses I. 3, 16. Zum Weibe sprach er: „Dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein.“ Paulus an die
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älteres Recht die Frau ähnlich einer Tochter, und räumte dem
Manne eine absolute Herrschaft über sie ein, wie dem Vater
über die Kinder und dem Herrn über die Sclaven, und löste
das spätere Recht die Gemeinschaft auf in ein lockeres Neben-
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sonen. Das Ueberhandnehmen der sogenannten freien Ehe
ging mit der zunehmenden Sittenverderbnisz in den letzten
Zeiten der römischen Republik Arm in Arm, und bereitete
den Untergang dieser vor.
Das deutsche Recht dagegen sowohl in seiner ältern Ge-
stalt, wornach Frau und Mann zwar ihr eigenes Vermögen
beibehalten, aber dessen ungeachtet die eheliche Gemeinschaft
und Einigung in der ehelichen Vormundschaft des Mannes
ihren rechtlichen Ausdruck findet, als in der neueren Form
der Gütergemeinschaft, ist in Uebereinstimmung mit der Idee,
welche wir am schönsten in den uralten, und schon in den
heiligen Büchern der Juden enthaltenen zwei Sätzen aus-
gesprochen finden: „Mann und Weib sind nur ein Leib,“ 6
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5 Modestinus L. 1. de Ritu nuptiarum: „Nuptiae sunt conjunctio
maris et feminae, et consortium omnis vitae, divini et humani juris com-
municatio,“ und Justin. Inst. I. 9. §. 1. „Nuptiae sive matrimonium est
viri et mulieris conjunctio, individuam vitae consuetudinem continens.“
6 Moses I. 2., 24. und Paulus an die Epheser V. 31.: „Um desz-
willen wird ein Mensch verlassen Vater und Mutter, und seinem Weibe
anhangen, und werden zwei Ein Fleisch sein.“ Tacitus von den ger-
manischen Frauen (Germ. 19.): „Sic unum accipiunt maritum, quo modo
unum corpus, unamque vitam.“ Schwabenspiegel (Wack. 6.): „Wan
die (ein man unde sin wip) reht unde redelichen zer ê chomen sint, da
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7 Moses I. 3, 16. Zum Weibe sprach er: „Dein Wille soll deinem
Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein.“ Paulus an die
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/239>, abgerufen am 22.07.2024.
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