Anm. Wenn sich gewisse Ausartungen seit unabsehlichen Reihen von Generationen fortgepflanzt haben, so hält es oft schwer zu bestimmen, ob das bloße Ras- sen oder ursprünglich verschiedene Gattungen (Spe- cies) sind? Wenigstens gibt es dann zur Entschei- dung in dergleichen Fällen keine andern in praxi anwendbaren Regeln, als die, so aus der Analogie abstrahirt sind; da hingegen die, so Ray, Büf- fon und andere angenommen haben, den Charak- ter von Species darnach zu bestimmen, wenn die Geschöpfe mit einander fruchtbare Nachkommen- schaft zeugen, zu diesem Behuf sehr unzulänglich und schwankend ist.
Denn abgerechnet, daß die Anwendung dieser Regel ohnehin bey den unzähligen Thieren und Pflanzen wegfällt, die sich ohne Paarung fortpflan- zen (- s. unten §. 20. -), so findet sie auch in unzähligen andern Fällen wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten nicht Statt, wie z. B. bey Ent- scheidung der Frage, ob der asiatische und der afri- kanische Elephant zu einerley Species gehören oder nicht? Und selbst da, wo die Erfahrung Statt hat. wie z. B. bey der Vermischung von Pferd und Esel, fragt sich wieder, soll da der gewöhnliche, oder aber der äußerst seltene Erfolg als Regel angesehen wer- den? Denn gewöhnlich sind die Maulthiere steril, und nur in äußerst seltenen Fällen hat man sie zur Fortpflanzung fähig befunden. Wollte man also diesen wunderseltenen Fall als Regel gelten lassen, so müßte man Pferd und Esel für Thiere derselben Species halten, ungeachtet sie in ihrem ganzen Kör- perbau - zumahl im Innern (und nahmentlich in der ganz auffallend verschiedenen Einrichtung ihrer Stimmwerkzeuge), wenigstens eben so specifisch von einander differiren, als Löwe und Katze. Da stimmt hingegen alle Analogie dafür, sie als zwey ganz verschiedene Gattungen anzuerkennen. Und eben diesem Grundsatze der Analogie gemäß halte ich auch die gedachten beyderley Elephanten für ganz verschiedene Gattungen, weil ihr Gebiß eine so con- stante auffallende Verschiedenheit zeigt, die sich un- möglich als bloße Folge der Degeneration gedenken läßt.
*)
Mercur 1788 I. B. S. 48. S. hiervon ausführlich Girtanner über das Kantische Princip für die Naturgeschichte. Göttingen 1796. 8.
*).
Anm. Wenn sich gewisse Ausartungen seit unabsehlichen Reihen von Generationen fortgepflanzt haben, so hält es oft schwer zu bestimmen, ob das bloße Ras- sen oder ursprünglich verschiedene Gattungen (Spe- cies) sind? Wenigstens gibt es dann zur Entschei- dung in dergleichen Fällen keine andern in praxi anwendbaren Regeln, als die, so aus der Analogie abstrahirt sind; da hingegen die, so Ray, Büf- fon und andere angenommen haben, den Charak- ter von Species darnach zu bestimmen, wenn die Geschöpfe mit einander fruchtbare Nachkommen- schaft zeugen, zu diesem Behuf sehr unzulänglich und schwankend ist.
Denn abgerechnet, daß die Anwendung dieser Regel ohnehin bey den unzähligen Thieren und Pflanzen wegfällt, die sich ohne Paarung fortpflan- zen (– s. unten §. 20. –), so findet sie auch in unzähligen andern Fällen wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten nicht Statt, wie z. B. bey Ent- scheidung der Frage, ob der asiatische und der afri- kanische Elephant zu einerley Species gehören oder nicht? Und selbst da, wo die Erfahrung Statt hat. wie z. B. bey der Vermischung von Pferd und Esel, fragt sich wieder, soll da der gewöhnliche, oder aber der äußerst seltene Erfolg als Regel angesehen wer- den? Denn gewöhnlich sind die Maulthiere steril, und nur in äußerst seltenen Fällen hat man sie zur Fortpflanzung fähig befunden. Wollte man also diesen wunderseltenen Fall als Regel gelten lassen, so müßte man Pferd und Esel für Thiere derselben Species halten, ungeachtet sie in ihrem ganzen Kör- perbau – zumahl im Innern (und nahmentlich in der ganz auffallend verschiedenen Einrichtung ihrer Stimmwerkzeuge), wenigstens eben so specifisch von einander differiren, als Löwe und Katze. Da stimmt hingegen alle Analogie dafür, sie als zwey ganz verschiedene Gattungen anzuerkennen. Und eben diesem Grundsatze der Analogie gemäß halte ich auch die gedachten beyderley Elephanten für ganz verschiedene Gattungen, weil ihr Gebiß eine so con- stante auffallende Verschiedenheit zeigt, die sich un- möglich als bloße Folge der Degeneration gedenken läßt.
*)
Mercur 1788 I. B. S. 48. S. hiervon ausführlich Girtanner über das Kantische Princip für die Naturgeschichte. Göttingen 1796. 8.
<TEI><textxml:id="blume_hbnatur_000040"><body><divn="1"><divn="2"><p><noteplace="foot"n="*)"><p><pbfacs="#f0040"xml:id="pb036_0001"n="36"/>
Mercur 1788 I. B. S. 48. S. hiervon ausführlich<lb/><hirendition="#g">Girtanner</hi> über das Kantische Princip für die<lb/>
Naturgeschichte. Göttingen 1796. 8.</p></note>.</p><prendition="#et #smaller">Anm. Wenn sich gewisse Ausartungen seit unabsehlichen<lb/>
Reihen von Generationen fortgepflanzt haben, so<lb/>
hält es oft schwer zu bestimmen, ob das bloße Ras-<lb/>
sen oder ursprünglich verschiedene Gattungen (<hirendition="#aq">Spe-<lb/>
cies</hi>) sind? Wenigstens gibt es dann zur Entschei-<lb/>
dung in dergleichen Fällen keine andern in <hirendition="#aq">praxi</hi><lb/>
anwendbaren Regeln, als die, so aus der Analogie<lb/>
abstrahirt sind; da hingegen die, so <hirendition="#g">Ray, Büf-<lb/>
fon</hi> und andere angenommen haben, den Charak-<lb/>
ter von <hirendition="#aq">Species</hi> darnach zu bestimmen, wenn die<lb/>
Geschöpfe mit einander <hirendition="#g">fruchtbare</hi> Nachkommen-<lb/>
schaft zeugen, zu diesem Behuf sehr unzulänglich<lb/>
und schwankend ist.</p><prendition="#smaller">Denn abgerechnet, daß die Anwendung dieser<lb/>
Regel ohnehin bey den unzähligen Thieren und<lb/>
Pflanzen wegfällt, die sich ohne Paarung fortpflan-<lb/>
zen (– s. unten §. 20. –), so findet sie auch in<lb/>
unzähligen andern Fällen wegen unüberwindlicher<lb/>
Schwierigkeiten nicht Statt, wie z. B. bey Ent-<lb/>
scheidung der Frage, ob der asiatische und der afri-<lb/>
kanische Elephant zu einerley <hirendition="#aq">Species</hi> gehören oder<lb/>
nicht? Und selbst da, wo die Erfahrung Statt hat.<lb/>
wie z. B. bey der Vermischung von Pferd und Esel,<lb/>
fragt sich wieder, soll da der gewöhnliche, oder aber<lb/>
der äußerst seltene Erfolg als Regel angesehen wer-<lb/>
den? Denn gewöhnlich sind die Maulthiere steril,<lb/>
und nur in äußerst seltenen Fällen hat man sie zur<lb/>
Fortpflanzung fähig befunden. Wollte man also<lb/>
diesen wunderseltenen Fall als Regel gelten lassen,<lb/>
so müßte man Pferd und Esel für Thiere derselben<lb/><hirendition="#aq">Species</hi> halten, ungeachtet sie in ihrem ganzen Kör-<lb/>
perbau – zumahl im Innern (und nahmentlich in<lb/>
der ganz auffallend verschiedenen Einrichtung ihrer<lb/>
Stimmwerkzeuge), wenigstens eben so specifisch von<lb/>
einander differiren, als Löwe und Katze. Da stimmt<lb/>
hingegen alle Analogie dafür, sie als zwey ganz<lb/>
verschiedene Gattungen anzuerkennen. Und eben<lb/>
diesem Grundsatze der Analogie gemäß halte ich<lb/>
auch die gedachten beyderley Elephanten für ganz<lb/>
verschiedene Gattungen, weil ihr Gebiß eine so con-<lb/>
stante auffallende Verschiedenheit zeigt, die sich un-<lb/>
möglich als bloße Folge der Degeneration gedenken<lb/>
läßt.</p></div><divn="2"></div></div></body></text></TEI>
[36/0040]
*).
Anm. Wenn sich gewisse Ausartungen seit unabsehlichen
Reihen von Generationen fortgepflanzt haben, so
hält es oft schwer zu bestimmen, ob das bloße Ras-
sen oder ursprünglich verschiedene Gattungen (Spe-
cies) sind? Wenigstens gibt es dann zur Entschei-
dung in dergleichen Fällen keine andern in praxi
anwendbaren Regeln, als die, so aus der Analogie
abstrahirt sind; da hingegen die, so Ray, Büf-
fon und andere angenommen haben, den Charak-
ter von Species darnach zu bestimmen, wenn die
Geschöpfe mit einander fruchtbare Nachkommen-
schaft zeugen, zu diesem Behuf sehr unzulänglich
und schwankend ist.
Denn abgerechnet, daß die Anwendung dieser
Regel ohnehin bey den unzähligen Thieren und
Pflanzen wegfällt, die sich ohne Paarung fortpflan-
zen (– s. unten §. 20. –), so findet sie auch in
unzähligen andern Fällen wegen unüberwindlicher
Schwierigkeiten nicht Statt, wie z. B. bey Ent-
scheidung der Frage, ob der asiatische und der afri-
kanische Elephant zu einerley Species gehören oder
nicht? Und selbst da, wo die Erfahrung Statt hat.
wie z. B. bey der Vermischung von Pferd und Esel,
fragt sich wieder, soll da der gewöhnliche, oder aber
der äußerst seltene Erfolg als Regel angesehen wer-
den? Denn gewöhnlich sind die Maulthiere steril,
und nur in äußerst seltenen Fällen hat man sie zur
Fortpflanzung fähig befunden. Wollte man also
diesen wunderseltenen Fall als Regel gelten lassen,
so müßte man Pferd und Esel für Thiere derselben
Species halten, ungeachtet sie in ihrem ganzen Kör-
perbau – zumahl im Innern (und nahmentlich in
der ganz auffallend verschiedenen Einrichtung ihrer
Stimmwerkzeuge), wenigstens eben so specifisch von
einander differiren, als Löwe und Katze. Da stimmt
hingegen alle Analogie dafür, sie als zwey ganz
verschiedene Gattungen anzuerkennen. Und eben
diesem Grundsatze der Analogie gemäß halte ich
auch die gedachten beyderley Elephanten für ganz
verschiedene Gattungen, weil ihr Gebiß eine so con-
stante auffallende Verschiedenheit zeigt, die sich un-
möglich als bloße Folge der Degeneration gedenken
läßt.
*) Mercur 1788 I. B. S. 48. S. hiervon ausführlich
Girtanner über das Kantische Princip für die
Naturgeschichte. Göttingen 1796. 8.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 9. Ausg. Göttingen, 1815, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1815/40>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.