1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so merkwürdige Eigenschaften des Geistes und des Körpers von der ganzen übrigen thierischen Schö- pfung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller- dings in einer besondern Ordnung, von ihr abge- schieden werden muß. Er hat ausser dem Be- gattungstrieb wenig Spuren von Instinct: Kunsttriebe aber, daß er sich, wie tausend an- dere Thiere, ohne Unterricht und ohne Nachsinnen, aus blossem innern Drange, Wohnungen, Netze für seinen Raub u. s. w. verfertigen könnte, hat er gar nicht. Der Schöpfer hat ihn für diese Mangel durch den Gebrauch der Vernunft ent- schädiget, die ihm allein ausschließlich, und kei- nem andern Thiere zukommt, und wodurch er alle seine grossen Bestimmungen besser erfüllen, seine endlosen Bedürfnisse passender befriedigen kann, als wenn er selbst die Kunsttriebe mehre- rer Thiere in sich vereinte. Eine directe Folge der Vernunft, mithin ein abermaliges Eigenthum der Menschheit, ist die Rede oder Sprache (Lo- quela), die nicht mit der Stimme (vox) der Thiere verwechselt werden darf. Auch der Mensch hat Stimme, wie man an den unglücklichen Beyspielen in Wildniß aufgewachsener, oder taub- gebohrner Kinder sieht, und wie die unwillkürli-
*)Sanctius - animal, mentisque capacius altae ..... et quod dominari in caetera posset.ovid.
1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so merkwürdige Eigenschaften des Geistes und des Körpers von der ganzen übrigen thierischen Schö- pfung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller- dings in einer besondern Ordnung, von ihr abge- schieden werden muß. Er hat ausser dem Be- gattungstrieb wenig Spuren von Instinct: Kunsttriebe aber, daß er sich, wie tausend an- dere Thiere, ohne Unterricht und ohne Nachsinnen, aus blossem innern Drange, Wohnungen, Netze für seinen Raub u. s. w. verfertigen könnte, hat er gar nicht. Der Schöpfer hat ihn für diese Mangel durch den Gebrauch der Vernunft ent- schädiget, die ihm allein ausschließlich, und kei- nem andern Thiere zukommt, und wodurch er alle seine grossen Bestimmungen besser erfüllen, seine endlosen Bedürfnisse passender befriedigen kann, als wenn er selbst die Kunsttriebe mehre- rer Thiere in sich vereinte. Eine directe Folge der Vernunft, mithin ein abermaliges Eigenthum der Menschheit, ist die Rede oder Sprache (Lo- quela), die nicht mit der Stimme (vox) der Thiere verwechselt werden darf. Auch der Mensch hat Stimme, wie man an den unglücklichen Beyspielen in Wildniß aufgewachsener, oder taub- gebohrner Kinder sieht, und wie die unwillkürli-
*)Sanctius – animal, mentisque capacius altae ..... et quod dominari in caetera posset.ovid.
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I Ord. INERMIS.
1. Geschl. homo. Animal rationale, loquens,
erectum, bimanum. *)
1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so
merkwürdige Eigenschaften des Geistes und des
Körpers von der ganzen übrigen thierischen Schö-
pfung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht
blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller-
dings in einer besondern Ordnung, von ihr abge-
schieden werden muß. Er hat ausser dem Be-
gattungstrieb wenig Spuren von Instinct:
Kunsttriebe aber, daß er sich, wie tausend an-
dere Thiere, ohne Unterricht und ohne Nachsinnen,
aus blossem innern Drange, Wohnungen, Netze
für seinen Raub u. s. w. verfertigen könnte, hat
er gar nicht. Der Schöpfer hat ihn für diese
Mangel durch den Gebrauch der Vernunft ent-
schädiget, die ihm allein ausschließlich, und kei-
nem andern Thiere zukommt, und wodurch er
alle seine grossen Bestimmungen besser erfüllen,
seine endlosen Bedürfnisse passender befriedigen
kann, als wenn er selbst die Kunsttriebe mehre-
rer Thiere in sich vereinte. Eine directe Folge
der Vernunft, mithin ein abermaliges Eigenthum
der Menschheit, ist die Rede oder Sprache (Lo-
quela), die nicht mit der Stimme (vox) der
Thiere verwechselt werden darf. Auch der Mensch
hat Stimme, wie man an den unglücklichen
Beyspielen in Wildniß aufgewachsener, oder taub-
gebohrner Kinder sieht, und wie die unwillkürli-
*) Sanctius – animal, mentisque capacius altae
..... et quod dominari in caetera posset.
ovid.
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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/82>, abgerufen am 16.02.2025.
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