Daß das Barthaar bey den Amerikanern wie bey vielen mongolischen Nationen allerdings dünn und schwach sey, ist bekannt; doch kann man sie deshalb eben so wenig mit Recht bartlos nennen, als man etwa Menschen mit wenig Haaren kahl nennen könnte.
Die also die Amerikaner von Natur für bartlos hielten, fielen in denselben Fehler, welcher die Alten verleitete, sich und andere zu bereden, der Para- diesvogel, dem man die Füße abzuschneiden pflegt, habe von Natur keine Füße.
Die andere fabelhafte Sage, daß nämlich die Amerikanerinnen keinen monatlichen Veränderungen unterworfen wären, scheint dadurch entstanden zu seyn, daß die Europäer, welche in die neue Welt kamen, an den unzähligen, fast ganz nackten Ein- wohnern vom andern Geschlechte, welche sie sa- hen, niemals Spuren dieser Reinigung sahen 30). Davon giebt es aber wahrscheinlich einen doppelten Grund; theils werden bey jenen amerikanischen Völkern die Weiber, während ihrer Reinigungszeit, durch ein heilsames Vorurtheil gleichsam für giftig gehalten, und von allem gesellschaftlichen Umgange ausgeschlossen; und sie genießen indeß in abgelege- neren Hütten und von dem Anblick der andern ent-
fernt,
und bringen es endlich dahin, daß keine mehr wachsen."
30)Lery voyage faict en la terre du Bresil, S. 270.
Daß das Barthaar bey den Amerikanern wie bey vielen mongoliſchen Nationen allerdings duͤnn und ſchwach ſey, iſt bekannt; doch kann man ſie deshalb eben ſo wenig mit Recht bartlos nennen, als man etwa Menſchen mit wenig Haaren kahl nennen koͤnnte.
Die alſo die Amerikaner von Natur fuͤr bartlos hielten, fielen in denſelben Fehler, welcher die Alten verleitete, ſich und andere zu bereden, der Para- diesvogel, dem man die Fuͤße abzuſchneiden pflegt, habe von Natur keine Fuͤße.
Die andere fabelhafte Sage, daß naͤmlich die Amerikanerinnen keinen monatlichen Veraͤnderungen unterworfen waͤren, ſcheint dadurch entſtanden zu ſeyn, daß die Europaͤer, welche in die neue Welt kamen, an den unzaͤhligen, faſt ganz nackten Ein- wohnern vom andern Geſchlechte, welche ſie ſa- hen, niemals Spuren dieſer Reinigung ſahen 30). Davon giebt es aber wahrſcheinlich einen doppelten Grund; theils werden bey jenen amerikaniſchen Voͤlkern die Weiber, waͤhrend ihrer Reinigungszeit, durch ein heilſames Vorurtheil gleichſam fuͤr giftig gehalten, und von allem geſellſchaftlichen Umgange ausgeſchloſſen; und ſie genießen indeß in abgelege- neren Huͤtten und von dem Anblick der andern ent-
fernt,
und bringen es endlich dahin, daß keine mehr wachſen.“
30)Lery voyage faict en la terre du Bréſil, S. 270.
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Daß das Barthaar bey den Amerikanern wie
bey vielen mongoliſchen Nationen allerdings duͤnn
und ſchwach ſey, iſt bekannt; doch kann man ſie
deshalb eben ſo wenig mit Recht bartlos nennen,
als man etwa Menſchen mit wenig Haaren kahl
nennen koͤnnte.
Die alſo die Amerikaner von Natur fuͤr bartlos
hielten, fielen in denſelben Fehler, welcher die Alten
verleitete, ſich und andere zu bereden, der Para-
diesvogel, dem man die Fuͤße abzuſchneiden pflegt,
habe von Natur keine Fuͤße.
Die andere fabelhafte Sage, daß naͤmlich die
Amerikanerinnen keinen monatlichen Veraͤnderungen
unterworfen waͤren, ſcheint dadurch entſtanden zu
ſeyn, daß die Europaͤer, welche in die neue Welt
kamen, an den unzaͤhligen, faſt ganz nackten Ein-
wohnern vom andern Geſchlechte, welche ſie ſa-
hen, niemals Spuren dieſer Reinigung ſahen 30).
Davon giebt es aber wahrſcheinlich einen doppelten
Grund; theils werden bey jenen amerikaniſchen
Voͤlkern die Weiber, waͤhrend ihrer Reinigungszeit,
durch ein heilſames Vorurtheil gleichſam fuͤr giftig
gehalten, und von allem geſellſchaftlichen Umgange
ausgeſchloſſen; und ſie genießen indeß in abgelege-
neren Huͤtten und von dem Anblick der andern ent-
fernt,
29)
30) Lery voyage faict en la terre du Bréſil, S. 270.
29) und bringen es endlich dahin, daß keine
mehr wachſen.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/253>, abgerufen am 16.02.2025.
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