Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 2. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Es wird also eine Zeit für mich kom-
men, da ich mich von neuem fühlen; da
ich Gedanken aus Gedanken erzeugen;
Entwürfe erfinden, genehmigen, vollfüh-
ren werde. Ist es wahrscheinlich, dass
ich dann, wie aus dem Leibe meiner Mut-
ter, ohne von meinem vormaligen Leben
das mindeste zu wißen, die Bühne betre-
ten, und von einer neuen Kindheit des
Geistes, allmälig wieder zu einem reiferen
Alter fortschreiten werde? --

Nein! Lethe, mit deinen bluhmichten
Ufern, du bist nur ein reizend Gedicht!
Nur in der glühenden Einbildung der
Mantuanischen Muse bespülst du Elysiens
Fluren! Dich erkennt die überlegende
Vernunft nicht! -- Ich soll fortempfinden,
forturtheilen, fortbegehren? Warum nicht
auch einen vormaligen Gedanken wieder
denken? Warum nicht von einer gegen-

Es wird alſo eine Zeit für mich kom-
men, da ich mich von neuem fühlen; da
ich Gedanken aus Gedanken erzeugen;
Entwürfe erfinden, genehmigen, vollfüh-
ren werde. Iſt es wahrſcheinlich, daſs
ich dann, wie aus dem Leibe meiner Mut-
ter, ohne von meinem vormaligen Leben
das mindeſte zu wißen, die Bühne betre-
ten, und von einer neuen Kindheit des
Geiſtes, allmälig wieder zu einem reiferen
Alter fortſchreiten werde? —

Nein! Lethe, mit deinen bluhmichten
Ufern, du biſt nur ein reizend Gedicht!
Nur in der glühenden Einbildung der
Mantuaniſchen Muſe beſpülſt du Elyſiens
Fluren! Dich erkennt die überlegende
Vernunft nicht! — Ich ſoll fortempfinden,
forturtheilen, fortbegehren? Warum nicht
auch einen vormaligen Gedanken wieder
denken? Warum nicht von einer gegen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0114" n="108"/>
          <p>Es wird al&#x017F;o eine Zeit für mich kom-<lb/>
men, da ich mich von neuem fühlen; da<lb/>
ich Gedanken aus Gedanken erzeugen;<lb/>
Entwürfe erfinden, genehmigen, vollfüh-<lb/>
ren werde. I&#x017F;t es wahr&#x017F;cheinlich, da&#x017F;s<lb/>
ich dann, wie aus dem Leibe meiner Mut-<lb/>
ter, ohne von meinem vormaligen Leben<lb/>
das minde&#x017F;te zu wißen, die Bühne betre-<lb/>
ten, und von einer neuen Kindheit des<lb/>
Gei&#x017F;tes, allmälig wieder zu einem reiferen<lb/>
Alter fort&#x017F;chreiten werde? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nein! Lethe, mit deinen bluhmichten<lb/>
Ufern, du bi&#x017F;t nur ein reizend Gedicht!<lb/>
Nur in der glühenden Einbildung der<lb/>
Mantuani&#x017F;chen Mu&#x017F;e be&#x017F;pül&#x017F;t du Ely&#x017F;iens<lb/>
Fluren! Dich erkennt die überlegende<lb/>
Vernunft nicht! &#x2014; Ich &#x017F;oll fortempfinden,<lb/>
forturtheilen, fortbegehren? Warum nicht<lb/>
auch einen vormaligen Gedanken wieder<lb/>
denken? Warum nicht von einer gegen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0114] Es wird alſo eine Zeit für mich kom- men, da ich mich von neuem fühlen; da ich Gedanken aus Gedanken erzeugen; Entwürfe erfinden, genehmigen, vollfüh- ren werde. Iſt es wahrſcheinlich, daſs ich dann, wie aus dem Leibe meiner Mut- ter, ohne von meinem vormaligen Leben das mindeſte zu wißen, die Bühne betre- ten, und von einer neuen Kindheit des Geiſtes, allmälig wieder zu einem reiferen Alter fortſchreiten werde? — Nein! Lethe, mit deinen bluhmichten Ufern, du biſt nur ein reizend Gedicht! Nur in der glühenden Einbildung der Mantuaniſchen Muſe beſpülſt du Elyſiens Fluren! Dich erkennt die überlegende Vernunft nicht! — Ich ſoll fortempfinden, forturtheilen, fortbegehren? Warum nicht auch einen vormaligen Gedanken wieder denken? Warum nicht von einer gegen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge02_1775/114
Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 2. Berlin, 1775, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge02_1775/114>, abgerufen am 02.05.2024.