Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch empfinde; ich denke; ich handle;
Das hab' ich von Jhm. Dieser Leib ist
sein Werk, diese Seele kömmt mir von Ihm.
Er hat das Band geknüpft das beyde verbin-
det: Er erhält es. Dass meine Kenntniss
wuchs; dass es in meinem Verstande täg-
lich heller ward; dass ich mich meiner kin-
dischen Vorurtheile nach und nach schämen
lernte; dass ich eine kleine Thorheit nach
der andern verliess: das bin ich Jhm, und
Jhm allein schuldig.

Und so geh' ich denn, wenn ich es
nicht selbst hindre, meine Lebensjahre hin-
durch, von einer Vollkommenheit, von ei-
nem Guten zu dem andern fort. Und wo-
zu das? Um zu sterben? Um zu verwesen?
Um nach diesem Leben nicht mehr zu
seyn? Oder, was eben so viel ist: um es
nicht zu wissen, dass man ist? Um ewig zu
schlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

Jch empfinde; ich denke; ich handle;
Das hab’ ich von Jhm. Dieſer Leib iſt
ſein Werk, dieſe Seele kömmt mir von Ihm.
Er hat das Band geknüpft das beyde verbin-
det: Er erhält es. Daſs meine Kenntniſs
wuchs; daſs es in meinem Verſtande täg-
lich heller ward; daſs ich mich meiner kin-
diſchen Vorurtheile nach und nach ſchämen
lernte; daſs ich eine kleine Thorheit nach
der andern verlieſs: das bin ich Jhm, und
Jhm allein ſchuldig.

Und ſo geh’ ich denn, wenn ich es
nicht ſelbſt hindre, meine Lebensjahre hin-
durch, von einer Vollkommenheit, von ei-
nem Guten zu dem andern fort. Und wo-
zu das? Um zu ſterben? Um zu verweſen?
Um nach dieſem Leben nicht mehr zu
ſeyn? Oder, was eben ſo viel iſt: um es
nicht zu wiſsen, daſs man iſt? Um ewig zu
ſchlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0080" n="72"/>
          <p>Jch empfinde; ich denke; ich handle;<lb/>
Das hab&#x2019; ich von Jhm. Die&#x017F;er Leib i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ein Werk, die&#x017F;e Seele kömmt mir von Ihm.<lb/>
Er hat das Band geknüpft das beyde verbin-<lb/>
det: Er erhält es. Da&#x017F;s meine Kenntni&#x017F;s<lb/>
wuchs; da&#x017F;s es in meinem Ver&#x017F;tande täg-<lb/>
lich heller ward; da&#x017F;s ich mich meiner kin-<lb/>
di&#x017F;chen Vorurtheile nach und nach &#x017F;chämen<lb/>
lernte; da&#x017F;s ich eine kleine Thorheit nach<lb/>
der andern verlie&#x017F;s: das bin ich Jhm, und<lb/>
Jhm allein &#x017F;chuldig.</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o geh&#x2019; ich denn, wenn ich es<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t hindre, meine Lebensjahre hin-<lb/>
durch, von einer Vollkommenheit, von ei-<lb/>
nem Guten zu dem andern fort. Und wo-<lb/>
zu das? Um zu &#x017F;terben? Um zu verwe&#x017F;en?<lb/>
Um nach die&#x017F;em Leben nicht mehr zu<lb/>
&#x017F;eyn? Oder, was eben &#x017F;o viel i&#x017F;t: um es<lb/>
nicht zu wi&#x017F;sen, da&#x017F;s man i&#x017F;t? Um ewig zu<lb/>
&#x017F;chlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0080] Jch empfinde; ich denke; ich handle; Das hab’ ich von Jhm. Dieſer Leib iſt ſein Werk, dieſe Seele kömmt mir von Ihm. Er hat das Band geknüpft das beyde verbin- det: Er erhält es. Daſs meine Kenntniſs wuchs; daſs es in meinem Verſtande täg- lich heller ward; daſs ich mich meiner kin- diſchen Vorurtheile nach und nach ſchämen lernte; daſs ich eine kleine Thorheit nach der andern verlieſs: das bin ich Jhm, und Jhm allein ſchuldig. Und ſo geh’ ich denn, wenn ich es nicht ſelbſt hindre, meine Lebensjahre hin- durch, von einer Vollkommenheit, von ei- nem Guten zu dem andern fort. Und wo- zu das? Um zu ſterben? Um zu verweſen? Um nach dieſem Leben nicht mehr zu ſeyn? Oder, was eben ſo viel iſt: um es nicht zu wiſsen, daſs man iſt? Um ewig zu ſchlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/80
Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/80>, abgerufen am 21.11.2024.