Predigten gesehen, die von Griechischen, Hebräischen und Lateinischen Wörtern strotzten; ich habe Predigten gesehen, die nach dem Leisten einer Schul-Chrie ge- macht waren. Man hat noch in unsern Ta- gen ganze Kanzelreden, bis aufs Vater unfer und den Segen, in Verse gebracht. Zu einer andern Zeit wurden nur die Haupt- sätze mit Reimen versehen; dann wurde je- de Lücke, die der Redner nicht auszufüllen wusste, mit einem Verse aus einem Kir- chenliede besetzt: ein Stossseufzer machte den Anfang, und ein gereimter Denkspruch wurde dem Zuhörer mit nach Hause gege- ben. Dann wurden wieder einmal die elendesten Mährchen für Wahrheit erzählt, und mit der Geschichte des zeitigen Evan- gelii, mit der sie einige Aehnlichkeit hat- ten, so gut es nur immer angehn wollte, verbunden. Dann wurde das Allegorisiren
Predigten geſehen, die von Griechiſchen, Hebräiſchen und Lateiniſchen Wörtern ſtrotzten; ich habe Predigten geſehen, die nach dem Leiſten einer Schul-Chrie ge- macht waren. Man hat noch in unſern Ta- gen ganze Kanzelreden, bis aufs Vater unfer und den Segen, in Verſe gebracht. Zu einer andern Zeit wurden nur die Haupt- ſätze mit Reimen verſehen; dann wurde je- de Lücke, die der Redner nicht auszufüllen wuſste, mit einem Verſe aus einem Kir- chenliede beſetzt: ein Stoſsſeufzer machte den Anfang, und ein gereimter Denkſpruch wurde dem Zuhörer mit nach Hauſe gege- ben. Dann wurden wieder einmal die elendeſten Mährchen für Wahrheit erzählt, und mit der Geſchichte des zeitigen Evan- gelii, mit der ſie einige Aehnlichkeit hat- ten, ſo gut es nur immer angehn wollte, verbunden. Dann wurde das Allegoriſiren
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Predigten geſehen, die von Griechiſchen,
Hebräiſchen und Lateiniſchen Wörtern
ſtrotzten; ich habe Predigten geſehen, die
nach dem Leiſten einer Schul-Chrie ge-
macht waren. Man hat noch in unſern Ta-
gen ganze Kanzelreden, bis aufs Vater unfer
und den Segen, in Verſe gebracht. Zu
einer andern Zeit wurden nur die Haupt-
ſätze mit Reimen verſehen; dann wurde je-
de Lücke, die der Redner nicht auszufüllen
wuſste, mit einem Verſe aus einem Kir-
chenliede beſetzt: ein Stoſsſeufzer machte
den Anfang, und ein gereimter Denkſpruch
wurde dem Zuhörer mit nach Hauſe gege-
ben. Dann wurden wieder einmal die
elendeſten Mährchen für Wahrheit erzählt,
und mit der Geſchichte des zeitigen Evan-
gelii, mit der ſie einige Aehnlichkeit hat-
ten, ſo gut es nur immer angehn wollte,
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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