Endlich ist der wahre Gutherzige noth- wendig auch gerecht. Seine Wohlthaten können keinen Dritten beleidigen. Jn der That, es muss so seyn, meine Herren! wenn anders die sehende Vernunft eine sichrere Führerinn als die blinde Leidenschaft ist. Wie nennen sie den sanguinischen Richter, der jetzt noch auf der Seite des Rechts steht; bald aber durch das Geschrey des Schuldigen, durch seine falschen Thränen erweicht, der Unschuld Sache verräth, den listigen Bösewicht losspricht und den armen Unterdrückten verdammt, dessen jammern- de Stimme nicht bis zu seinen Ohren er- schallte? Gutherzig gewiss nicht; oder sie müssen seinen Kollegen einen Wirth nen- nen, weil er seinen Spruch für das höchste Gebot feil hat. Was denken sie von einem Patrone, der den Stümper befödert, weil er sein Mitleiden zu erregen weiss und den
Endlich iſt der wahre Gutherzige noth- wendig auch gerecht. Seine Wohlthaten können keinen Dritten beleidigen. Jn der That, es muſs ſo ſeyn, meine Herren! wenn anders die ſehende Vernunft eine ſichrere Führerinn als die blinde Leidenſchaft iſt. Wie nennen ſie den ſanguiniſchen Richter, der jetzt noch auf der Seite des Rechts ſteht; bald aber durch das Geſchrey des Schuldigen, durch ſeine falſchen Thränen erweicht, der Unſchuld Sache verräth, den liſtigen Böſewicht losſpricht und den armen Unterdrückten verdammt, deſſen jammern- de Stimme nicht bis zu ſeinen Ohren er- ſchallte? Gutherzig gewiſs nicht; oder ſie müſsen ſeinen Kollegen einen Wirth nen- nen, weil er ſeinen Spruch für das höchſte Gebot feil hat. Was denken ſie von einem Patrone, der den Stümper befödert, weil er ſein Mitleiden zu erregen weiſs und den
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Endlich iſt der wahre Gutherzige noth-
wendig auch gerecht. Seine Wohlthaten
können keinen Dritten beleidigen. Jn der
That, es muſs ſo ſeyn, meine Herren! wenn
anders die ſehende Vernunft eine ſichrere
Führerinn als die blinde Leidenſchaft iſt.
Wie nennen ſie den ſanguiniſchen Richter,
der jetzt noch auf der Seite des Rechts
ſteht; bald aber durch das Geſchrey des
Schuldigen, durch ſeine falſchen Thränen
erweicht, der Unſchuld Sache verräth, den
liſtigen Böſewicht losſpricht und den armen
Unterdrückten verdammt, deſſen jammern-
de Stimme nicht bis zu ſeinen Ohren er-
ſchallte? Gutherzig gewiſs nicht; oder ſie
müſsen ſeinen Kollegen einen Wirth nen-
nen, weil er ſeinen Spruch für das höchſte
Gebot feil hat. Was denken ſie von einem
Patrone, der den Stümper befödert, weil er
ſein Mitleiden zu erregen weiſs und den
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/136>, abgerufen am 04.05.2024.
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