Haltung des Auslandes gegenüber dem Siege Preußens.
Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf russischen Bei¬ stand würden zählen können, aber doch erst, wenn wir das Un¬ glück gehabt haben sollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarschaft einer siegreichen französisch-östreichischen Coalition an seinen pol¬ nischen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer solchen Nachbarschaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn statt des antipäpstlichen Königreichs Italien das Papstthum selbst der Dritte im Bunde der beiden katholischen Großmächte geworden wäre. Bis zum Näherrücken solcher Gefährlichkeit infolge preußischer Nieder¬ lagen hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht un¬ gern sähe, wenigstens es nicht hindern würde, wenn eine numerisch überlegne Coalition einiges Wasser in unsern Wein von 1866 ge¬ gossen hätte.
Von England durften wir einen activen Beistand gegen den Kaiser Napoleon nicht erwarten, obschon die englische Politik einer starken befreundeten Continentalmacht mit vielen Bataillonen be¬ darf und dieses Bedürfniß unter Pitt, Vater und Sohn, zu Gunsten Preußens, später Oestreichs, und dann unter Palmerston bis zu den spanischen Heirathen, dann wieder unter Clarendon zu Gunsten Frankreichs gepflegt hatte. Das Bedürfniß der eng¬ lischen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder Besitz eines starken Bundesgenossen gegen Frankreichs Feindschaft. England ist wohl bereit, das stärkere Deutsch-Preußen als Ersatz für Oestreich hinzunehmen, und in der Lage vom Herbst 1866 konnten wir auf platonisches Wohlwollen und belehrende Zeitungs¬ artikel dort allenfalls zählen; aber bis zum activen Beistande zu Wasser und zu Lande würde sich die theoretische Sympathie schwer¬ lich verdichtet haben. Die Vorgänge von 1870 haben gezeigt, daß ich in der Einschätzung Englands Recht hatte. Mit einer für uns jedenfalls verstimmenden Bereitwilligkeit übernahm man in London die Vertretung Frankreichs in Norddeutschland, und während des
Haltung des Auslandes gegenüber dem Siege Preußens.
Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf ruſſiſchen Bei¬ ſtand würden zählen können, aber doch erſt, wenn wir das Un¬ glück gehabt haben ſollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarſchaft einer ſiegreichen franzöſiſch-öſtreichiſchen Coalition an ſeinen pol¬ niſchen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer ſolchen Nachbarſchaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn ſtatt des antipäpſtlichen Königreichs Italien das Papſtthum ſelbſt der Dritte im Bunde der beiden katholiſchen Großmächte geworden wäre. Bis zum Näherrücken ſolcher Gefährlichkeit infolge preußiſcher Nieder¬ lagen hielt ich aber für wahrſcheinlich, daß Rußland es nicht un¬ gern ſähe, wenigſtens es nicht hindern würde, wenn eine numeriſch überlegne Coalition einiges Waſſer in unſern Wein von 1866 ge¬ goſſen hätte.
Von England durften wir einen activen Beiſtand gegen den Kaiſer Napoleon nicht erwarten, obſchon die engliſche Politik einer ſtarken befreundeten Continentalmacht mit vielen Bataillonen be¬ darf und dieſes Bedürfniß unter Pitt, Vater und Sohn, zu Gunſten Preußens, ſpäter Oeſtreichs, und dann unter Palmerſton bis zu den ſpaniſchen Heirathen, dann wieder unter Clarendon zu Gunſten Frankreichs gepflegt hatte. Das Bedürfniß der eng¬ liſchen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder Beſitz eines ſtarken Bundesgenoſſen gegen Frankreichs Feindſchaft. England iſt wohl bereit, das ſtärkere Deutſch-Preußen als Erſatz für Oeſtreich hinzunehmen, und in der Lage vom Herbſt 1866 konnten wir auf platoniſches Wohlwollen und belehrende Zeitungs¬ artikel dort allenfalls zählen; aber bis zum activen Beiſtande zu Waſſer und zu Lande würde ſich die theoretiſche Sympathie ſchwer¬ lich verdichtet haben. Die Vorgänge von 1870 haben gezeigt, daß ich in der Einſchätzung Englands Recht hatte. Mit einer für uns jedenfalls verſtimmenden Bereitwilligkeit übernahm man in London die Vertretung Frankreichs in Norddeutſchland, und während des
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Haltung des Auslandes gegenüber dem Siege Preußens.
Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die
Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf ruſſiſchen Bei¬
ſtand würden zählen können, aber doch erſt, wenn wir das Un¬
glück gehabt haben ſollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge
deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarſchaft
einer ſiegreichen franzöſiſch-öſtreichiſchen Coalition an ſeinen pol¬
niſchen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer ſolchen
Nachbarſchaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn ſtatt des
antipäpſtlichen Königreichs Italien das Papſtthum ſelbſt der Dritte
im Bunde der beiden katholiſchen Großmächte geworden wäre. Bis
zum Näherrücken ſolcher Gefährlichkeit infolge preußiſcher Nieder¬
lagen hielt ich aber für wahrſcheinlich, daß Rußland es nicht un¬
gern ſähe, wenigſtens es nicht hindern würde, wenn eine numeriſch
überlegne Coalition einiges Waſſer in unſern Wein von 1866 ge¬
goſſen hätte.
Von England durften wir einen activen Beiſtand gegen den
Kaiſer Napoleon nicht erwarten, obſchon die engliſche Politik einer
ſtarken befreundeten Continentalmacht mit vielen Bataillonen be¬
darf und dieſes Bedürfniß unter Pitt, Vater und Sohn, zu
Gunſten Preußens, ſpäter Oeſtreichs, und dann unter Palmerſton
bis zu den ſpaniſchen Heirathen, dann wieder unter Clarendon
zu Gunſten Frankreichs gepflegt hatte. Das Bedürfniß der eng¬
liſchen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder
Beſitz eines ſtarken Bundesgenoſſen gegen Frankreichs Feindſchaft.
England iſt wohl bereit, das ſtärkere Deutſch-Preußen als Erſatz
für Oeſtreich hinzunehmen, und in der Lage vom Herbſt 1866
konnten wir auf platoniſches Wohlwollen und belehrende Zeitungs¬
artikel dort allenfalls zählen; aber bis zum activen Beiſtande zu
Waſſer und zu Lande würde ſich die theoretiſche Sympathie ſchwer¬
lich verdichtet haben. Die Vorgänge von 1870 haben gezeigt, daß
ich in der Einſchätzung Englands Recht hatte. Mit einer für uns
jedenfalls verſtimmenden Bereitwilligkeit übernahm man in London
die Vertretung Frankreichs in Norddeutſchland, und während des
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/79>, abgerufen am 08.05.2024.
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