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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
auf Grund der persönlichen Freundschaft Victor Emanuels für
Louis Napoleon, sondern auch nach Maßgabe der durch Garibaldi im
Namen der öffentlichen Meinung Italiens bekundeten Parteinahme.
Der Bund Italiens mit Frankreich und Oestreich lag nicht blos
nach meiner Befürchtung, sondern nach der öffentlichen Meinung
in Europa nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit.

Von Rußland war einer solchen Coalition gegenüber activer
Beistand schwerlich zu erwarten. Mir selbst hatte der russenfreund¬
liche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Ent¬
schließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das
Wohlwollen des Kaisers Alexander erworben, und sein Vertrauen
zu mir war in der Zeit meiner Gesandschaft in Petersburg ge¬
wachsen. Inzwischen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter
Gortschakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer so be¬
deutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der
kaiserlichen Freundschaft für den König Wilhelm und der Dank¬
barkeit für unsre Politik in der polnischen Frage von 1863
aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig ist, die
Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckstädt*) gemacht
hat, so hat Gortschakow im Juli 1866 den Kaiser Napoleon zu
einem gemeinsamen Proteste gegen die Beseitigung des Deutschen
Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiser
Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung
Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Prä¬
liminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oest¬
reich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russi¬
schen "Gesellschaft" beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung
gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen
aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Ein¬
fluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich
knüpften.

*) London, Gastein und Sadowa. Stuttgart 1890. S. 248.

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
auf Grund der perſönlichen Freundſchaft Victor Emanuels für
Louis Napoleon, ſondern auch nach Maßgabe der durch Garibaldi im
Namen der öffentlichen Meinung Italiens bekundeten Parteinahme.
Der Bund Italiens mit Frankreich und Oeſtreich lag nicht blos
nach meiner Befürchtung, ſondern nach der öffentlichen Meinung
in Europa nicht außerhalb der Wahrſcheinlichkeit.

Von Rußland war einer ſolchen Coalition gegenüber activer
Beiſtand ſchwerlich zu erwarten. Mir ſelbſt hatte der ruſſenfreund¬
liche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Ent¬
ſchließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das
Wohlwollen des Kaiſers Alexander erworben, und ſein Vertrauen
zu mir war in der Zeit meiner Geſandſchaft in Petersburg ge¬
wachſen. Inzwiſchen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter
Gortſchakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer ſo be¬
deutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der
kaiſerlichen Freundſchaft für den König Wilhelm und der Dank¬
barkeit für unſre Politik in der polniſchen Frage von 1863
aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig iſt, die
Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckſtädt*) gemacht
hat, ſo hat Gortſchakow im Juli 1866 den Kaiſer Napoleon zu
einem gemeinſamen Proteſte gegen die Beſeitigung des Deutſchen
Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiſer
Alexander hatte in der erſten Ueberraſchung und nach der Sendung
Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Prä¬
liminarien generell und obiter zugeſtimmt; der Haß gegen Oeſt¬
reich, der ſeit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der ruſſi¬
ſchen „Geſellſchaft“ beherrſchte, hatte zunächſt ſeine Befriedigung
gefunden in den Niederlagen Oeſtreichs; dieſer Stimmung ſtanden
aber ruſſiſche Intereſſen gegenüber, die ſich an den zariſchen Ein¬
fluß in Deutſchland und an deſſen Bedrohung durch Frankreich
knüpften.

*) London, Gaſtein und Sadowa. Stuttgart 1890. S. 248.
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[54/0078] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. auf Grund der perſönlichen Freundſchaft Victor Emanuels für Louis Napoleon, ſondern auch nach Maßgabe der durch Garibaldi im Namen der öffentlichen Meinung Italiens bekundeten Parteinahme. Der Bund Italiens mit Frankreich und Oeſtreich lag nicht blos nach meiner Befürchtung, ſondern nach der öffentlichen Meinung in Europa nicht außerhalb der Wahrſcheinlichkeit. Von Rußland war einer ſolchen Coalition gegenüber activer Beiſtand ſchwerlich zu erwarten. Mir ſelbſt hatte der ruſſenfreund¬ liche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Ent¬ ſchließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das Wohlwollen des Kaiſers Alexander erworben, und ſein Vertrauen zu mir war in der Zeit meiner Geſandſchaft in Petersburg ge¬ wachſen. Inzwiſchen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter Gortſchakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer ſo be¬ deutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der kaiſerlichen Freundſchaft für den König Wilhelm und der Dank¬ barkeit für unſre Politik in der polniſchen Frage von 1863 aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig iſt, die Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckſtädt *) gemacht hat, ſo hat Gortſchakow im Juli 1866 den Kaiſer Napoleon zu einem gemeinſamen Proteſte gegen die Beſeitigung des Deutſchen Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiſer Alexander hatte in der erſten Ueberraſchung und nach der Sendung Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Prä¬ liminarien generell und obiter zugeſtimmt; der Haß gegen Oeſt¬ reich, der ſeit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der ruſſi¬ ſchen „Geſellſchaft“ beherrſchte, hatte zunächſt ſeine Befriedigung gefunden in den Niederlagen Oeſtreichs; dieſer Stimmung ſtanden aber ruſſiſche Intereſſen gegenüber, die ſich an den zariſchen Ein¬ fluß in Deutſchland und an deſſen Bedrohung durch Frankreich knüpften. *) London, Gaſtein und Sadowa. Stuttgart 1890. S. 248.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/78>, abgerufen am 25.11.2024.