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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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König Wilhelms Widerspruch und sein Nachgeben.
schen Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusetzen, meiner
Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung
des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmög¬
lich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt,
das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß
er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein
Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in
der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht besser
sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen,
und ich sah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich
vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz sei, an dessen Zim¬
mer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte seine
Hand auf meiner Schulter, während er sagte: "Sie wissen, daß
ich gegen den Krieg gewesen bin, Sie haben ihn für nothwendig
gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie
nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede
geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehn und
Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten." Er begab sich
dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in
derselben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten:
"Es hat sehr schwer gehalten, aber mein Vater hat zugestimmt."
Diese Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit
Bleistift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geschriebenen
Marginale ungefähr des Inhalts: "Nachdem mein Ministerpräsident
mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande
bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert,
und da sich derselbe der Auffassung des Ministerpräsidenten an¬
geschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach
so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu
beißen und einen so schmachvollen Frieden anzunehmen." -- Ich
glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obschon mir das Acten¬
stück gegenwärtig nicht zugänglich ist; der Sinn war jedenfalls
der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke

König Wilhelms Widerſpruch und ſein Nachgeben.
ſchen Erfolge und ſeiner Neigung, den Siegeslauf fortzuſetzen, meiner
Ueberzeugung gemäß leiſten mußte, führte eine ſo lebhafte Erregung
des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmög¬
lich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffaſſung ſei abgelehnt,
das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß
er mir erlauben möge, in meiner Eigenſchaft als Offizier in mein
Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in
der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht beſſer
ſei, aus dem offenſtehenden, vier Stock hohen Fenſter zu fallen,
und ich ſah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich
vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz ſei, an deſſen Zim¬
mer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte ſeine
Hand auf meiner Schulter, während er ſagte: „Sie wiſſen, daß
ich gegen den Krieg geweſen bin, Sie haben ihn für nothwendig
gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie
nun überzeugt ſind, daß der Zweck erreicht iſt und jetzt Friede
geſchloſſen werden muß, ſo bin ich bereit, Ihnen beizuſtehn und
Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.“ Er begab ſich
dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in
derſelben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten:
„Es hat ſehr ſchwer gehalten, aber mein Vater hat zugeſtimmt.“
Dieſe Zuſtimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit
Bleiſtift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geſchriebenen
Marginale ungefähr des Inhalts: „Nachdem mein Miniſterpräſident
mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande
bin, ihn zu erſetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert,
und da ſich derſelbe der Auffaſſung des Miniſterpräſidenten an¬
geſchloſſen hat, ſehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach
ſo glänzenden Siegen der Armee in dieſen ſauren Apfel zu
beißen und einen ſo ſchmachvollen Frieden anzunehmen.“ — Ich
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[47/0071] König Wilhelms Widerſpruch und ſein Nachgeben. ſchen Erfolge und ſeiner Neigung, den Siegeslauf fortzuſetzen, meiner Ueberzeugung gemäß leiſten mußte, führte eine ſo lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmög¬ lich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffaſſung ſei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenſchaft als Offizier in mein Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht beſſer ſei, aus dem offenſtehenden, vier Stock hohen Fenſter zu fallen, und ich ſah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz ſei, an deſſen Zim¬ mer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte ſeine Hand auf meiner Schulter, während er ſagte: „Sie wiſſen, daß ich gegen den Krieg geweſen bin, Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie nun überzeugt ſind, daß der Zweck erreicht iſt und jetzt Friede geſchloſſen werden muß, ſo bin ich bereit, Ihnen beizuſtehn und Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.“ Er begab ſich dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in derſelben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten: „Es hat ſehr ſchwer gehalten, aber mein Vater hat zugeſtimmt.“ Dieſe Zuſtimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleiſtift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geſchriebenen Marginale ungefähr des Inhalts: „Nachdem mein Miniſterpräſident mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande bin, ihn zu erſetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da ſich derſelbe der Auffaſſung des Miniſterpräſidenten an¬ geſchloſſen hat, ſehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach ſo glänzenden Siegen der Armee in dieſen ſauren Apfel zu beißen und einen ſo ſchmachvollen Frieden anzunehmen.“ — Ich glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obſchon mir das Acten¬ ſtück gegenwärtig nicht zugänglich iſt; der Sinn war jedenfalls der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/71>, abgerufen am 26.11.2024.