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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Verhandlungen über den Präliminarfrieden.
gegenüber eine Meinung bilden und einen Entschluß fassen mußte,
ohne sich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Gestalt
collegialischen Beschlusses oder höherer Befehle berufen zu können.
Ich konnte die Gestaltung der Zukunft und das von ihr abhängige
Urtheil der Welt ebenso wenig voraussehn wie irgend ein Andrer,
aber ich war der einzige Anwesende, der gesetzlich verpflichtet war,
eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte
sie mir in sorgsamer Ueberlegung der Zukunft unsrer Stellung in
Deutschland und unsrer Beziehungen zu Oestreich gebildet, war
bereit, sie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es
war mir bekannt, daß man mich im Generalstabe den "Questen¬
berg im Lager" nannte, und die Identificirung mit dem Wallen¬
steinschen Hofkriegsrath war mir nicht schmeichelhaft.

Am 23. Juli fand unter dem Vorsitze des Königs ein Kriegs¬
rath Statt, in dem beschlossen werden sollte, ob unter den gebotenen
Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzusetzen sei.
Eine schmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig,
die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der
einzige Civilist in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin
vor, daß auf die östreichischen Bedingungen der Friede geschlossen
werden müsse, blieb aber damit allein; der König trat der mili¬
tärischen Mehrheit bei. Meine Nerven widerstanden den mich Tag
und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich stand schweigend auf,
ging in mein anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem
heftigen Weinkrampf befallen. Während desselben hörte ich, wie
im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun
an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für
den Friedensschluß sprachen, und bat den König, wenn er diesen
meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner
Aemter als Minister bei Weiterführung des Krieges zu entheben.
Mit diesem Schriftstücke*) begab ich mich am folgenden Tage zum

*) Zum Theil abgedruckt in Sybel V 294 ff.

Verhandlungen über den Präliminarfrieden.
gegenüber eine Meinung bilden und einen Entſchluß faſſen mußte,
ohne ſich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Geſtalt
collegialiſchen Beſchluſſes oder höherer Befehle berufen zu können.
Ich konnte die Geſtaltung der Zukunft und das von ihr abhängige
Urtheil der Welt ebenſo wenig vorausſehn wie irgend ein Andrer,
aber ich war der einzige Anweſende, der geſetzlich verpflichtet war,
eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte
ſie mir in ſorgſamer Ueberlegung der Zukunft unſrer Stellung in
Deutſchland und unſrer Beziehungen zu Oeſtreich gebildet, war
bereit, ſie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es
war mir bekannt, daß man mich im Generalſtabe den „Queſten¬
berg im Lager“ nannte, und die Identificirung mit dem Wallen¬
ſteinſchen Hofkriegsrath war mir nicht ſchmeichelhaft.

Am 23. Juli fand unter dem Vorſitze des Königs ein Kriegs¬
rath Statt, in dem beſchloſſen werden ſollte, ob unter den gebotenen
Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzuſetzen ſei.
Eine ſchmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig,
die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der
einzige Civiliſt in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin
vor, daß auf die öſtreichiſchen Bedingungen der Friede geſchloſſen
werden müſſe, blieb aber damit allein; der König trat der mili¬
täriſchen Mehrheit bei. Meine Nerven widerſtanden den mich Tag
und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich ſtand ſchweigend auf,
ging in mein anſtoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem
heftigen Weinkrampf befallen. Während deſſelben hörte ich, wie
im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun
an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für
den Friedensſchluß ſprachen, und bat den König, wenn er dieſen
meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner
Aemter als Miniſter bei Weiterführung des Krieges zu entheben.
Mit dieſem Schriftſtücke*) begab ich mich am folgenden Tage zum

*) Zum Theil abgedruckt in Sybel V 294 ff.
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[43/0067] Verhandlungen über den Präliminarfrieden. gegenüber eine Meinung bilden und einen Entſchluß faſſen mußte, ohne ſich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Geſtalt collegialiſchen Beſchluſſes oder höherer Befehle berufen zu können. Ich konnte die Geſtaltung der Zukunft und das von ihr abhängige Urtheil der Welt ebenſo wenig vorausſehn wie irgend ein Andrer, aber ich war der einzige Anweſende, der geſetzlich verpflichtet war, eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte ſie mir in ſorgſamer Ueberlegung der Zukunft unſrer Stellung in Deutſchland und unſrer Beziehungen zu Oeſtreich gebildet, war bereit, ſie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es war mir bekannt, daß man mich im Generalſtabe den „Queſten¬ berg im Lager“ nannte, und die Identificirung mit dem Wallen¬ ſteinſchen Hofkriegsrath war mir nicht ſchmeichelhaft. Am 23. Juli fand unter dem Vorſitze des Königs ein Kriegs¬ rath Statt, in dem beſchloſſen werden ſollte, ob unter den gebotenen Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzuſetzen ſei. Eine ſchmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig, die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der einzige Civiliſt in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin vor, daß auf die öſtreichiſchen Bedingungen der Friede geſchloſſen werden müſſe, blieb aber damit allein; der König trat der mili¬ täriſchen Mehrheit bei. Meine Nerven widerſtanden den mich Tag und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich ſtand ſchweigend auf, ging in mein anſtoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen. Während deſſelben hörte ich, wie im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für den Friedensſchluß ſprachen, und bat den König, wenn er dieſen meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner Aemter als Miniſter bei Weiterführung des Krieges zu entheben. Mit dieſem Schriftſtücke *) begab ich mich am folgenden Tage zum *) Zum Theil abgedruckt in Sybel V 294 ff.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/67>, abgerufen am 26.11.2024.