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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Zwanzigstes Kapitel: Nikolsburg.
östreichischen folgen werde, lag in der historischen Consequenz,
selbst dann, wenn wir dem Kaiser Napoleon die kleinen Spesen,
die er für seine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen
können. Auch nach russischer Seite hin konnte man zweifeln, welche
Wirkung eintreten werde, wenn man sich dort klar machte, welche
Erstarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutschlands
lag. Wie sich die spätern Kriege um die Behauptung des Gewon¬
nenen gestalten würden, war nicht vorauszusehn; in allen Fällen
aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei
unsern Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden, die wir
ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden.
In dieser Erwägung lag für mich ein politischer Grund, einen
triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleonischer Art, eher zu
verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unsrige damals
war, ist es politisch geboten, sich nach einem Siege nicht zu fragen,
wie viel man dem Gegner abdrücken kann, sondern nur zu er¬
streben, was politisches Bedürfniß ist. Die Verstimmung, die
mein Verhalten mir in militärischen Kreisen eintrug, habe ich als
die Wirkung einer militärischen Ressortpolitik betrachtet, der ich
den entscheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft
nicht einräumen konnte.

III.

Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom
4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedens¬
bedingungen so skizzirt: Bundesreform unter preußischer Leitung,
Erwerb Schleswig-Holsteins, Oestreichisch-Schlesiens, eines böhmi¬
schen Grenzstrichs, Ostfrieslands, Ersetzung der feindlichen Sou¬
veräne von Hanover, Kurhessen, Meiningen, Nassau durch ihre
Thronfolger. Später traten andre Wünsche hervor, die theils in
dem Könige selbst entstanden, theils durch äußere Einflüsse erzeugt

Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.
öſtreichiſchen folgen werde, lag in der hiſtoriſchen Conſequenz,
ſelbſt dann, wenn wir dem Kaiſer Napoleon die kleinen Speſen,
die er für ſeine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen
können. Auch nach ruſſiſcher Seite hin konnte man zweifeln, welche
Wirkung eintreten werde, wenn man ſich dort klar machte, welche
Erſtarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutſchlands
lag. Wie ſich die ſpätern Kriege um die Behauptung des Gewon¬
nenen geſtalten würden, war nicht vorauszuſehn; in allen Fällen
aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei
unſern Gegnern hinterließen, unverſöhnlich, die Wunden, die wir
ihnen und ihrem Selbſtgefühl geſchlagen, unheilbar ſein würden.
In dieſer Erwägung lag für mich ein politiſcher Grund, einen
triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleoniſcher Art, eher zu
verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unſrige damals
war, iſt es politiſch geboten, ſich nach einem Siege nicht zu fragen,
wie viel man dem Gegner abdrücken kann, ſondern nur zu er¬
ſtreben, was politiſches Bedürfniß iſt. Die Verſtimmung, die
mein Verhalten mir in militäriſchen Kreiſen eintrug, habe ich als
die Wirkung einer militäriſchen Reſſortpolitik betrachtet, der ich
den entſcheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft
nicht einräumen konnte.

III.

Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom
4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedens¬
bedingungen ſo ſkizzirt: Bundesreform unter preußiſcher Leitung,
Erwerb Schleswig-Holſteins, Oeſtreichiſch-Schleſiens, eines böhmi¬
ſchen Grenzſtrichs, Oſtfrieslands, Erſetzung der feindlichen Sou¬
veräne von Hanover, Kurheſſen, Meiningen, Naſſau durch ihre
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[38/0062] Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. öſtreichiſchen folgen werde, lag in der hiſtoriſchen Conſequenz, ſelbſt dann, wenn wir dem Kaiſer Napoleon die kleinen Speſen, die er für ſeine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen können. Auch nach ruſſiſcher Seite hin konnte man zweifeln, welche Wirkung eintreten werde, wenn man ſich dort klar machte, welche Erſtarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutſchlands lag. Wie ſich die ſpätern Kriege um die Behauptung des Gewon¬ nenen geſtalten würden, war nicht vorauszuſehn; in allen Fällen aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei unſern Gegnern hinterließen, unverſöhnlich, die Wunden, die wir ihnen und ihrem Selbſtgefühl geſchlagen, unheilbar ſein würden. In dieſer Erwägung lag für mich ein politiſcher Grund, einen triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleoniſcher Art, eher zu verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unſrige damals war, iſt es politiſch geboten, ſich nach einem Siege nicht zu fragen, wie viel man dem Gegner abdrücken kann, ſondern nur zu er¬ ſtreben, was politiſches Bedürfniß iſt. Die Verſtimmung, die mein Verhalten mir in militäriſchen Kreiſen eintrug, habe ich als die Wirkung einer militäriſchen Reſſortpolitik betrachtet, der ich den entſcheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft nicht einräumen konnte. III. Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom 4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedens¬ bedingungen ſo ſkizzirt: Bundesreform unter preußiſcher Leitung, Erwerb Schleswig-Holſteins, Oeſtreichiſch-Schleſiens, eines böhmi¬ ſchen Grenzſtrichs, Oſtfrieslands, Erſetzung der feindlichen Sou¬ veräne von Hanover, Kurheſſen, Meiningen, Naſſau durch ihre Thronfolger. Später traten andre Wünſche hervor, die theils in dem Könige ſelbſt entſtanden, theils durch äußere Einflüſſe erzeugt

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/62>, abgerufen am 27.11.2024.