schränkung auf die Elblinie, inzwischen Führung des Krieges gegen Frankreich.
Dieses Gutachten befestigte mich noch mehr in meinem Ent¬ schlusse, Seiner Majestät den Frieden auf der Basis der terri¬ torialen Integrität Oestreichs anzurathen. Ich war der Ansicht, daß wir im Falle der französischen Einmischung entweder sofort unter mäßigen Bedingungen mit Oestreich Frieden und wo möglich ein Bündniß schließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß wir Oestreich durch raschen Anlauf und durch Förderung des Con¬ flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, schnell vollends lahm zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte, gegen Oestreich, uns nur defensiv zu verhalten hätten. Ich war des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie er sagte, zuerst und schnell führen wollte, nicht so leicht sein, daß Frankreich zwar für die Offensive wenig Kräfte übrig haben, aber in der Defensive nach geschichtlicher Erfahrung im Lande selbst bald stark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn, so daß wir dann vielleicht unsre Defensive gegen Oestreich an der Elbe nicht siegreich würden halten können, wenn wir einen In¬ vasionskrieg in Frankreich, mit Oestreich und Süddeutschland feind¬ lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch diese Perspec¬ tive zur lebhafteren Anstrengung im Sinne des Friedens bestimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬ leicht nur 60 000 Mann französischer Truppen sofort nach Deutsch¬ land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; diese Zuthat zu dem Bestande der süddeutschen Bundesarmee wäre jedoch aus¬ reichend gewesen, um für die letztre die einheitliche und energische Führung, wahrscheinlich unter französischem Obercommando, herzu¬ stellen. Allein die bairische Armee soll zur Zeit des Waffenstill¬ standes 100 000 Köpfe stark gewesen sein, und mit den übrigen ver¬ fügbaren deutschen Truppen, an sich guten und tapfern Soldaten, und 60 000 Franzosen wäre uns von Südwesten her eine Armee von 200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger französischer Leitung
Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.
ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegen Frankreich.
Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬ ſchluſſe, Seiner Majeſtät den Frieden auf der Baſis der terri¬ torialen Integrität Oeſtreichs anzurathen. Ich war der Anſicht, daß wir im Falle der franzöſiſchen Einmiſchung entweder ſofort unter mäßigen Bedingungen mit Oeſtreich Frieden und wo möglich ein Bündniß ſchließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß wir Oeſtreich durch raſchen Anlauf und durch Förderung des Con¬ flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, ſchnell vollends lahm zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte, gegen Oeſtreich, uns nur defenſiv zu verhalten hätten. Ich war des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie er ſagte, zuerſt und ſchnell führen wollte, nicht ſo leicht ſein, daß Frankreich zwar für die Offenſive wenig Kräfte übrig haben, aber in der Defenſive nach geſchichtlicher Erfahrung im Lande ſelbſt bald ſtark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn, ſo daß wir dann vielleicht unſre Defenſive gegen Oeſtreich an der Elbe nicht ſiegreich würden halten können, wenn wir einen In¬ vaſionskrieg in Frankreich, mit Oeſtreich und Süddeutſchland feind¬ lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch dieſe Perſpec¬ tive zur lebhafteren Anſtrengung im Sinne des Friedens beſtimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬ leicht nur 60 000 Mann franzöſiſcher Truppen ſofort nach Deutſch¬ land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; dieſe Zuthat zu dem Beſtande der ſüddeutſchen Bundesarmee wäre jedoch aus¬ reichend geweſen, um für die letztre die einheitliche und energiſche Führung, wahrſcheinlich unter franzöſiſchem Obercommando, herzu¬ ſtellen. Allein die bairiſche Armee ſoll zur Zeit des Waffenſtill¬ ſtandes 100 000 Köpfe ſtark geweſen ſein, und mit den übrigen ver¬ fügbaren deutſchen Truppen, an ſich guten und tapfern Soldaten, und 60 000 Franzoſen wäre uns von Südweſten her eine Armee von 200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger franzöſiſcher Leitung
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Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.
ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegen
Frankreich.
Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬
ſchluſſe, Seiner Majeſtät den Frieden auf der Baſis der terri¬
torialen Integrität Oeſtreichs anzurathen. Ich war der Anſicht,
daß wir im Falle der franzöſiſchen Einmiſchung entweder ſofort
unter mäßigen Bedingungen mit Oeſtreich Frieden und wo möglich
ein Bündniß ſchließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß
wir Oeſtreich durch raſchen Anlauf und durch Förderung des Con¬
flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, ſchnell vollends lahm
zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte,
gegen Oeſtreich, uns nur defenſiv zu verhalten hätten. Ich war
des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie
er ſagte, zuerſt und ſchnell führen wollte, nicht ſo leicht ſein, daß
Frankreich zwar für die Offenſive wenig Kräfte übrig haben, aber
in der Defenſive nach geſchichtlicher Erfahrung im Lande ſelbſt bald
ſtark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn,
ſo daß wir dann vielleicht unſre Defenſive gegen Oeſtreich an der
Elbe nicht ſiegreich würden halten können, wenn wir einen In¬
vaſionskrieg in Frankreich, mit Oeſtreich und Süddeutſchland feind¬
lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch dieſe Perſpec¬
tive zur lebhafteren Anſtrengung im Sinne des Friedens beſtimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬
leicht nur 60 000 Mann franzöſiſcher Truppen ſofort nach Deutſch¬
land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; dieſe Zuthat
zu dem Beſtande der ſüddeutſchen Bundesarmee wäre jedoch aus¬
reichend geweſen, um für die letztre die einheitliche und energiſche
Führung, wahrſcheinlich unter franzöſiſchem Obercommando, herzu¬
ſtellen. Allein die bairiſche Armee ſoll zur Zeit des Waffenſtill¬
ſtandes 100 000 Köpfe ſtark geweſen ſein, und mit den übrigen ver¬
fügbaren deutſchen Truppen, an ſich guten und tapfern Soldaten, und
60 000 Franzoſen wäre uns von Südweſten her eine Armee von
200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger franzöſiſcher Leitung
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/58>, abgerufen am 23.07.2024.
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