Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein.
zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu, im Gegen¬
theil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conservativ,
wie gegen alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht sehr bald über¬
zeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte
nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen staatsmännisch un¬
richtigen. Daß Sie dabei im Einverständniß mit Pfordten, Beust,
Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden, macht
für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären
noch zur conservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn
der Bierhaus-Enthusiasmus in London und Paris imponirt, so
freut mich das, es paßt ganz in unsern Kram; deshalb imponirt
er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß
und wenig Groschen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revo¬
lutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr
und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Stände und Länder,
das europäische Recht wird eben durch europäische Tractate ge¬
schaffen. Wenn man aber an letztre den Maßstab der Moral
und Gerechtigkeit legen wollte, so müßten sie ziemlich alle ab¬
geschafft werden.

Wenn Sie statt meiner hier im Amte wären, so glaube ich,
daß Sie sich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut
empfehlen und als so ausschließlich ,patriotisch' ansehn, daß Sie
die Freundschaft darüber kündigen, sehr bald überzeugen würden.
So kann ich nur sagen: la critique est aisee; die Regirung,
namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespennest hat
greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadeln, hat nichts
Schwieriges; beweist der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr,
so ist von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung
Fiasco in Dingen, die menschliche Einsicht und Wille überhaupt
nicht beherrschen, so hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergesagt
zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege sei. Ich habe
eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte
mich selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie

Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weiſe kriegsſcheu, im Gegen¬
theil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conſervativ,
wie gegen alle Phraſen; Sie werden ſich vielleicht ſehr bald über¬
zeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte
nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen ſtaatsmänniſch un¬
richtigen. Daß Sie dabei im Einverſtändniß mit Pfordten, Beuſt,
Dalwigk und wie unſre Gegner alle heißen, ſich befinden, macht
für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären
noch zur conſervativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn
der Bierhaus-Enthuſiasmus in London und Paris imponirt, ſo
freut mich das, es paßt ganz in unſern Kram; deshalb imponirt
er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß
und wenig Groſchen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revo¬
lutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr
und zehnmal ungerechter gegen viele Fürſten, Stände und Länder,
das europäiſche Recht wird eben durch europäiſche Tractate ge¬
ſchaffen. Wenn man aber an letztre den Maßſtab der Moral
und Gerechtigkeit legen wollte, ſo müßten ſie ziemlich alle ab¬
geſchafft werden.

Wenn Sie ſtatt meiner hier im Amte wären, ſo glaube ich,
daß Sie ſich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut
empfehlen und als ſo ausſchließlich ,patriotiſch‘ anſehn, daß Sie
die Freundſchaft darüber kündigen, ſehr bald überzeugen würden.
So kann ich nur ſagen: la critique est aisée; die Regirung,
namentlich eine ſolche, die ohnehin in manches Wespenneſt hat
greifen müſſen, unter dem Beifall der Maſſen zu tadeln, hat nichts
Schwieriges; beweiſt der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr,
ſo iſt von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung
Fiasco in Dingen, die menſchliche Einſicht und Wille überhaupt
nicht beherrſchen, ſo hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergeſagt
zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege ſei. Ich habe
eine hohe Meinung von Ihrer politiſchen Einſicht; aber ich halte
mich ſelbſt auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0030" n="6"/><fw place="top" type="header">Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Hol&#x017F;tein.<lb/></fw> zu bringen. Ich bin dabei in keiner Wei&#x017F;e kriegs&#x017F;cheu, im Gegen¬<lb/>
theil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Con&#x017F;ervativ,<lb/>
wie gegen alle Phra&#x017F;en; Sie werden &#x017F;ich vielleicht &#x017F;ehr bald über¬<lb/>
zeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte<lb/>
nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen &#x017F;taatsmänni&#x017F;ch un¬<lb/>
richtigen. Daß Sie dabei im Einver&#x017F;tändniß mit Pfordten, Beu&#x017F;t,<lb/>
Dalwigk und wie un&#x017F;re Gegner alle heißen, &#x017F;ich befinden, macht<lb/>
für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären<lb/>
noch zur con&#x017F;ervativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn<lb/>
der Bierhaus-Enthu&#x017F;iasmus in London und Paris imponirt, &#x017F;o<lb/>
freut mich das, es paßt ganz in un&#x017F;ern Kram; deshalb imponirt<lb/>
er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß<lb/>
und wenig Gro&#x017F;chen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revo¬<lb/>
lutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr<lb/>
und zehnmal ungerechter gegen viele Für&#x017F;ten, Stände und Länder,<lb/>
das europäi&#x017F;che Recht wird eben durch europäi&#x017F;che Tractate ge¬<lb/>
&#x017F;chaffen. Wenn man aber an letztre den Maß&#x017F;tab der Moral<lb/>
und Gerechtigkeit legen wollte, &#x017F;o müßten &#x017F;ie ziemlich alle ab¬<lb/>
ge&#x017F;chafft werden.</p><lb/>
          <p>Wenn Sie &#x017F;tatt meiner hier im Amte wären, &#x017F;o glaube ich,<lb/>
daß Sie &#x017F;ich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut<lb/>
empfehlen und als &#x017F;o aus&#x017F;chließlich ,patrioti&#x017F;ch&#x2018; an&#x017F;ehn, daß Sie<lb/>
die Freund&#x017F;chaft darüber kündigen, &#x017F;ehr bald überzeugen würden.<lb/>
So kann ich nur &#x017F;agen: <hi rendition="#aq">la critique est aisée</hi>; die Regirung,<lb/>
namentlich eine &#x017F;olche, die ohnehin in manches Wespenne&#x017F;t hat<lb/>
greifen mü&#x017F;&#x017F;en, unter dem Beifall der Ma&#x017F;&#x017F;en zu tadeln, hat nichts<lb/>
Schwieriges; bewei&#x017F;t der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung<lb/>
Fiasco in Dingen, die men&#x017F;chliche Ein&#x017F;icht und Wille überhaupt<lb/>
nicht beherr&#x017F;chen, &#x017F;o hat man den Ruhm, rechtzeitig vorherge&#x017F;agt<lb/>
zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege &#x017F;ei. Ich habe<lb/>
eine hohe Meinung von Ihrer politi&#x017F;chen Ein&#x017F;icht; aber ich halte<lb/>
mich &#x017F;elb&#x017F;t auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0030] Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weiſe kriegsſcheu, im Gegen¬ theil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conſervativ, wie gegen alle Phraſen; Sie werden ſich vielleicht ſehr bald über¬ zeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen ſtaatsmänniſch un¬ richtigen. Daß Sie dabei im Einverſtändniß mit Pfordten, Beuſt, Dalwigk und wie unſre Gegner alle heißen, ſich befinden, macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch zur conſervativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn der Bierhaus-Enthuſiasmus in London und Paris imponirt, ſo freut mich das, es paßt ganz in unſern Kram; deshalb imponirt er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß und wenig Groſchen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revo¬ lutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürſten, Stände und Länder, das europäiſche Recht wird eben durch europäiſche Tractate ge¬ ſchaffen. Wenn man aber an letztre den Maßſtab der Moral und Gerechtigkeit legen wollte, ſo müßten ſie ziemlich alle ab¬ geſchafft werden. Wenn Sie ſtatt meiner hier im Amte wären, ſo glaube ich, daß Sie ſich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als ſo ausſchließlich ,patriotiſch‘ anſehn, daß Sie die Freundſchaft darüber kündigen, ſehr bald überzeugen würden. So kann ich nur ſagen: la critique est aisée; die Regirung, namentlich eine ſolche, die ohnehin in manches Wespenneſt hat greifen müſſen, unter dem Beifall der Maſſen zu tadeln, hat nichts Schwieriges; beweiſt der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr, ſo iſt von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung Fiasco in Dingen, die menſchliche Einſicht und Wille überhaupt nicht beherrſchen, ſo hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergeſagt zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege ſei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politiſchen Einſicht; aber ich halte mich ſelbſt auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/30
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/30>, abgerufen am 27.04.2024.