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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Der Weg nach Petersburg muß Deutschland frei bleiben.
Petersburg frei bleibt. Unsre Aufgabe ist, unsre beiden kaiser¬
lichen Nachbarn in Frieden zu erhalten. Die Zukunft der vierten
großen Dynastie in Italien werden wir in demselben Maße sicher
zu stellen im Stande sein, in dem es uns gelingt, die drei
Kaiserreiche einig zu erhalten und den Ehrgeiz unsrer beiden öst¬
lichen Nachbarn entweder zu zügeln oder in beiderseitiger Ver¬
ständigung zu befriedigen. Jeder von beiden ist für uns nicht nur
in der europäischen Gleichgewichtsfrage unentbehrlich, -- wir könnten
keinen von beiden missen, ohne selbst gefährdet zu werden -- son¬
dern die Erhaltung eines Elementes monarchischer Ordnung in
Wien und Petersburg, und auf der Basis beider in Rom, ist für
uns in Deutschland eine Aufgabe, die mit der Erhaltung der staat¬
lichen Ordnung bei uns selbst zusammenfällt.

VII.

Der Vertrag, den wir mit Oestreich zu gemeinsamer Ab¬
wehr eines russischen Angriffs geschlossen haben, ist publici juris.
Ein analoger Defensivvertrag zwischen beiden Mächten gegenüber
Frankreich ist nicht bekannt. Das deutsch-östreichische Bündniß
enthält gegen einen französischen Krieg, von dem Deutschland in
erster Linie bedroht ist, nicht dieselbe Deckung wie gegen einen
russischen, der mehr für Oestreich als für Deutschland wahrschein¬
lich ist. Zwischen Deutschland und Rußland existiren keine Ver¬
schiedenheiten der Interessen, welche die Keime von Conflicten und
eines Bruches unabweislich in sich trügen. Dagegen gewähren die
übereinstimmenden Bedürfnisse in der polnischen Frage und die
Nachwirkung der hergebrachten dynastischen Solidarität im Gegen¬
satz zu den Umsturzbestrebungen Unterlagen für eine gemeinsame
Politik beider Cabinete. Dieselben sind abgeschwächt worden durch
eine zehnjährige Fälschung der öffentlichen Meinung seitens der
russischen Presse, die in dem lesenden Theile der Bevölkerung

Der Weg nach Petersburg muß Deutſchland frei bleiben.
Petersburg frei bleibt. Unſre Aufgabe iſt, unſre beiden kaiſer¬
lichen Nachbarn in Frieden zu erhalten. Die Zukunft der vierten
großen Dynaſtie in Italien werden wir in demſelben Maße ſicher
zu ſtellen im Stande ſein, in dem es uns gelingt, die drei
Kaiſerreiche einig zu erhalten und den Ehrgeiz unſrer beiden öſt¬
lichen Nachbarn entweder zu zügeln oder in beiderſeitiger Ver¬
ſtändigung zu befriedigen. Jeder von beiden iſt für uns nicht nur
in der europäiſchen Gleichgewichtsfrage unentbehrlich, — wir könnten
keinen von beiden miſſen, ohne ſelbſt gefährdet zu werden — ſon¬
dern die Erhaltung eines Elementes monarchiſcher Ordnung in
Wien und Petersburg, und auf der Baſis beider in Rom, iſt für
uns in Deutſchland eine Aufgabe, die mit der Erhaltung der ſtaat¬
lichen Ordnung bei uns ſelbſt zuſammenfällt.

VII.

Der Vertrag, den wir mit Oeſtreich zu gemeinſamer Ab¬
wehr eines ruſſiſchen Angriffs geſchloſſen haben, iſt publici juris.
Ein analoger Defenſivvertrag zwiſchen beiden Mächten gegenüber
Frankreich iſt nicht bekannt. Das deutſch-öſtreichiſche Bündniß
enthält gegen einen franzöſiſchen Krieg, von dem Deutſchland in
erſter Linie bedroht iſt, nicht dieſelbe Deckung wie gegen einen
ruſſiſchen, der mehr für Oeſtreich als für Deutſchland wahrſchein¬
lich iſt. Zwiſchen Deutſchland und Rußland exiſtiren keine Ver¬
ſchiedenheiten der Intereſſen, welche die Keime von Conflicten und
eines Bruches unabweislich in ſich trügen. Dagegen gewähren die
übereinſtimmenden Bedürfniſſe in der polniſchen Frage und die
Nachwirkung der hergebrachten dynaſtiſchen Solidarität im Gegen¬
ſatz zu den Umſturzbeſtrebungen Unterlagen für eine gemeinſame
Politik beider Cabinete. Dieſelben ſind abgeſchwächt worden durch
eine zehnjährige Fälſchung der öffentlichen Meinung ſeitens der
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[251/0275] Der Weg nach Petersburg muß Deutſchland frei bleiben. Petersburg frei bleibt. Unſre Aufgabe iſt, unſre beiden kaiſer¬ lichen Nachbarn in Frieden zu erhalten. Die Zukunft der vierten großen Dynaſtie in Italien werden wir in demſelben Maße ſicher zu ſtellen im Stande ſein, in dem es uns gelingt, die drei Kaiſerreiche einig zu erhalten und den Ehrgeiz unſrer beiden öſt¬ lichen Nachbarn entweder zu zügeln oder in beiderſeitiger Ver¬ ſtändigung zu befriedigen. Jeder von beiden iſt für uns nicht nur in der europäiſchen Gleichgewichtsfrage unentbehrlich, — wir könnten keinen von beiden miſſen, ohne ſelbſt gefährdet zu werden — ſon¬ dern die Erhaltung eines Elementes monarchiſcher Ordnung in Wien und Petersburg, und auf der Baſis beider in Rom, iſt für uns in Deutſchland eine Aufgabe, die mit der Erhaltung der ſtaat¬ lichen Ordnung bei uns ſelbſt zuſammenfällt. VII. Der Vertrag, den wir mit Oeſtreich zu gemeinſamer Ab¬ wehr eines ruſſiſchen Angriffs geſchloſſen haben, iſt publici juris. Ein analoger Defenſivvertrag zwiſchen beiden Mächten gegenüber Frankreich iſt nicht bekannt. Das deutſch-öſtreichiſche Bündniß enthält gegen einen franzöſiſchen Krieg, von dem Deutſchland in erſter Linie bedroht iſt, nicht dieſelbe Deckung wie gegen einen ruſſiſchen, der mehr für Oeſtreich als für Deutſchland wahrſchein¬ lich iſt. Zwiſchen Deutſchland und Rußland exiſtiren keine Ver¬ ſchiedenheiten der Intereſſen, welche die Keime von Conflicten und eines Bruches unabweislich in ſich trügen. Dagegen gewähren die übereinſtimmenden Bedürfniſſe in der polniſchen Frage und die Nachwirkung der hergebrachten dynaſtiſchen Solidarität im Gegen¬ ſatz zu den Umſturzbeſtrebungen Unterlagen für eine gemeinſame Politik beider Cabinete. Dieſelben ſind abgeſchwächt worden durch eine zehnjährige Fälſchung der öffentlichen Meinung ſeitens der ruſſiſchen Preſſe, die in dem leſenden Theile der Bevölkerung

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/275>, abgerufen am 22.11.2024.