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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage.
Deutschland und in Europa gekostet, und wir werden sie dadurch
nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben lassen
in der Meinung, ihn zu lenken, sondern nur dadurch, daß wir fest
auf eignen Füßen stehn und zuerst Großmacht, dann Bundes¬
staat sind. Das hat Oestreich zu unserm Schaden stets als richtig
für sich anerkannt, und es wird sich von der Komödie, die es mit
deutschen Sympathien spielt, nicht aus seinen europäischen Allianzen,
wenn es überhaupt solche hat, herausreißen lassen. Gehn wir ihm
zu weit, so wird es scheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich
mitschreiben, aber die 20 Procent Deutsche, die es in seiner Be¬
völkerung hat, sind kein in letzter Instanz zwingendes Element,
sich von uns wider eignes Interesse fortreißen zu lassen. Es wird
im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und seine Richtung
in die europäische Stellung zu finden wissen, sobald wir dieselbe
aufgeben. Die Schmerlingsche Politik, deren Seitenstück Ihnen
als Ideal für Preußen vorschwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unsre
von Ihnen im Frühjahr sehr lebhaft bekämpfte Politik hat sich in
der polnischen Sache bewährt, die Schmerlingsche bittre Früchte
für Oestreich getragen. Ist es denn nicht der vollständigste Sieg,
den wir erringen konnten, daß Oestreich zwei Monate nach dem
Reformversuch froh ist, wenn von demselben nicht mehr gesprochen
wird, und mit uns identische Noten an seine frühern Freunde
schreibt, mit uns seinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität,
drohend erklärt, es werde sich nicht majorisiren lassen? Wir haben
diesen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens
strebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oestreich hat
unser Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich ver¬
höhnte; es hat die preußische Allianz statt der Würzburger gesucht,
empfängt seine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den
Rücken kehren, so stürzen wir das Ministerium. Es ist noch nicht
dagewesen, daß die Wiener Politik in diesem Maße en gros
et en detail
von Berlin aus geleitet wurde. Dabei sind wir von
Frankreich gesucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unsre

Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage.
Deutſchland und in Europa gekoſtet, und wir werden ſie dadurch
nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben laſſen
in der Meinung, ihn zu lenken, ſondern nur dadurch, daß wir feſt
auf eignen Füßen ſtehn und zuerſt Großmacht, dann Bundes¬
ſtaat ſind. Das hat Oeſtreich zu unſerm Schaden ſtets als richtig
für ſich anerkannt, und es wird ſich von der Komödie, die es mit
deutſchen Sympathien ſpielt, nicht aus ſeinen europäiſchen Allianzen,
wenn es überhaupt ſolche hat, herausreißen laſſen. Gehn wir ihm
zu weit, ſo wird es ſcheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich
mitſchreiben, aber die 20 Procent Deutſche, die es in ſeiner Be¬
völkerung hat, ſind kein in letzter Inſtanz zwingendes Element,
ſich von uns wider eignes Intereſſe fortreißen zu laſſen. Es wird
im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und ſeine Richtung
in die europäiſche Stellung zu finden wiſſen, ſobald wir dieſelbe
aufgeben. Die Schmerlingſche Politik, deren Seitenſtück Ihnen
als Ideal für Preußen vorſchwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unſre
von Ihnen im Frühjahr ſehr lebhaft bekämpfte Politik hat ſich in
der polniſchen Sache bewährt, die Schmerlingſche bittre Früchte
für Oeſtreich getragen. Iſt es denn nicht der vollſtändigſte Sieg,
den wir erringen konnten, daß Oeſtreich zwei Monate nach dem
Reformverſuch froh iſt, wenn von demſelben nicht mehr geſprochen
wird, und mit uns identiſche Noten an ſeine frühern Freunde
ſchreibt, mit uns ſeinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität,
drohend erklärt, es werde ſich nicht majoriſiren laſſen? Wir haben
dieſen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens
ſtrebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oeſtreich hat
unſer Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich ver¬
höhnte; es hat die preußiſche Allianz ſtatt der Würzburger geſucht,
empfängt ſeine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den
Rücken kehren, ſo ſtürzen wir das Miniſterium. Es iſt noch nicht
dageweſen, daß die Wiener Politik in dieſem Maße en gros
et en détail
von Berlin aus geleitet wurde. Dabei ſind wir von
Frankreich geſucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unſre

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[3/0027] Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage. Deutſchland und in Europa gekoſtet, und wir werden ſie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben laſſen in der Meinung, ihn zu lenken, ſondern nur dadurch, daß wir feſt auf eignen Füßen ſtehn und zuerſt Großmacht, dann Bundes¬ ſtaat ſind. Das hat Oeſtreich zu unſerm Schaden ſtets als richtig für ſich anerkannt, und es wird ſich von der Komödie, die es mit deutſchen Sympathien ſpielt, nicht aus ſeinen europäiſchen Allianzen, wenn es überhaupt ſolche hat, herausreißen laſſen. Gehn wir ihm zu weit, ſo wird es ſcheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitſchreiben, aber die 20 Procent Deutſche, die es in ſeiner Be¬ völkerung hat, ſind kein in letzter Inſtanz zwingendes Element, ſich von uns wider eignes Intereſſe fortreißen zu laſſen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und ſeine Richtung in die europäiſche Stellung zu finden wiſſen, ſobald wir dieſelbe aufgeben. Die Schmerlingſche Politik, deren Seitenſtück Ihnen als Ideal für Preußen vorſchwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unſre von Ihnen im Frühjahr ſehr lebhaft bekämpfte Politik hat ſich in der polniſchen Sache bewährt, die Schmerlingſche bittre Früchte für Oeſtreich getragen. Iſt es denn nicht der vollſtändigſte Sieg, den wir erringen konnten, daß Oeſtreich zwei Monate nach dem Reformverſuch froh iſt, wenn von demſelben nicht mehr geſprochen wird, und mit uns identiſche Noten an ſeine frühern Freunde ſchreibt, mit uns ſeinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde ſich nicht majoriſiren laſſen? Wir haben dieſen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens ſtrebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oeſtreich hat unſer Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich ver¬ höhnte; es hat die preußiſche Allianz ſtatt der Würzburger geſucht, empfängt ſeine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den Rücken kehren, ſo ſtürzen wir das Miniſterium. Es iſt noch nicht dageweſen, daß die Wiener Politik in dieſem Maße en gros et en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei ſind wir von Frankreich geſucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unſre

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/27>, abgerufen am 27.04.2024.