Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Ein Traum als Offenbarung. Nervenkrisis. Roons Präsidium. Die Beschwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die Die Aufgaben eines leitenden Ministers einer europäischen Ein Traum als Offenbarung. Nervenkriſis. Roons Präſidium. Die Beſchwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die Die Aufgaben eines leitenden Miniſters einer europäiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0219" n="195"/> <fw place="top" type="header">Ein Traum als Offenbarung. Nervenkriſis. Roons Präſidium.<lb/></fw> <p>Die Beſchwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die<lb/> darin ſofort geſtellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um<lb/> ſo mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer<lb/> ſchweren Erkrankung litt, die durch die Einwirkung der auf den Kaiſer<lb/> gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in<lb/> dem Präſidium des Berliner Congreſſes hervorgerufen, zwar aus<lb/> amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gaſteiner<lb/> Kur mehr verſchärft als geheilt war. Dieſe Kur, der mein Mit¬<lb/> arbeiter, der Staatsminiſter Bernhard von Bülow, am 20. October<lb/> 1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn<lb/> ſie durch Arbeit oder Gemüthsbewegung geſtört wird.</p><lb/> <p>Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die<lb/> Vorlage des Socialiſtengeſetzes im Reichstage zu vertreten und fand<lb/> dabei die Erfahrung beſtätigt, daß die oratoriſche Leiſtung auf der<lb/> Tribüne eine geringere Nervenanſtrengung erfordert als die Correctur<lb/> einer langen ſchnell geſprochenen Rede, deren Wortlaut an leitender<lb/> Stelle vertreten werden ſoll. Während einer ſolchen Correctur<lb/> kam bei mir eine ſeit Monaten vorbereitete Nervenkriſis körperlich<lb/> zum Ausbruche, glücklicherweiſe in der leichtern Form der Neſſelſucht.</p><lb/> <p>Die Aufgaben eines leitenden Miniſters einer europäiſchen<lb/> Großmacht mit parlamentariſcher Verfaſſung ſind an ſich hin¬<lb/> reichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes<lb/> zu abſorbiren; ſie werden es in höherm Maße, wenn der Miniſter,<lb/> wie in Deutſchland und Italien, einer Nation über das Stadium<lb/> ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem ſtarken<lb/> Iſolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn<lb/> man Alles, was der Menſch an Kräften und Geſundheit beſitzt,<lb/> an die Löſung ſolcher Aufgaben ſetzt, ſo iſt man gegen alle Er¬<lb/> ſchwerungen derſelben, welche nicht ſachlich nothwendig ſind, doppelt<lb/> empfindlich. Ich glaubte ſchon zu Anfang der 70er Jahre mit<lb/> meiner Geſundheit zu Ende zu ſein und überließ deshalb das Prä¬<lb/> ſidium des Cabinets dem einzigen mir perſönlich Naheſtehenden<lb/> unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0219]
Ein Traum als Offenbarung. Nervenkriſis. Roons Präſidium.
Die Beſchwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die
darin ſofort geſtellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um
ſo mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer
ſchweren Erkrankung litt, die durch die Einwirkung der auf den Kaiſer
gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in
dem Präſidium des Berliner Congreſſes hervorgerufen, zwar aus
amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gaſteiner
Kur mehr verſchärft als geheilt war. Dieſe Kur, der mein Mit¬
arbeiter, der Staatsminiſter Bernhard von Bülow, am 20. October
1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn
ſie durch Arbeit oder Gemüthsbewegung geſtört wird.
Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die
Vorlage des Socialiſtengeſetzes im Reichstage zu vertreten und fand
dabei die Erfahrung beſtätigt, daß die oratoriſche Leiſtung auf der
Tribüne eine geringere Nervenanſtrengung erfordert als die Correctur
einer langen ſchnell geſprochenen Rede, deren Wortlaut an leitender
Stelle vertreten werden ſoll. Während einer ſolchen Correctur
kam bei mir eine ſeit Monaten vorbereitete Nervenkriſis körperlich
zum Ausbruche, glücklicherweiſe in der leichtern Form der Neſſelſucht.
Die Aufgaben eines leitenden Miniſters einer europäiſchen
Großmacht mit parlamentariſcher Verfaſſung ſind an ſich hin¬
reichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes
zu abſorbiren; ſie werden es in höherm Maße, wenn der Miniſter,
wie in Deutſchland und Italien, einer Nation über das Stadium
ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem ſtarken
Iſolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn
man Alles, was der Menſch an Kräften und Geſundheit beſitzt,
an die Löſung ſolcher Aufgaben ſetzt, ſo iſt man gegen alle Er¬
ſchwerungen derſelben, welche nicht ſachlich nothwendig ſind, doppelt
empfindlich. Ich glaubte ſchon zu Anfang der 70er Jahre mit
meiner Geſundheit zu Ende zu ſein und überließ deshalb das Prä¬
ſidium des Cabinets dem einzigen mir perſönlich Naheſtehenden
unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |