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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
meines vorhergehenden Vortrages, aber doch der Gesammtheit der
Eindrücke der letzten Tage, auf Grund der mündlichen Berichte von
Puttkamer, der Zeitungsartikel und meines Vortrags war. Die Bilder
des Wachens tauchen im Spiegel des Traumes nicht sofort, sondern
erst dann wieder auf, wenn der Geist durch Schlaf und Ruhe still ge¬
worden ist. Eurer Majestät Mittheilung ermuthigt mich zur Erzählung
eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den schwersten Conflicts¬
tagen hatte, aus denen ein menschliches Auge keinen gangbaren Aus¬
weg sah. Mir träumte, und ich erzählte es sofort am Morgen
meiner Frau und andern Zeugen, daß ich auf einem schmalen
Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde
schmaler, so daß das Pferd sich weigerte, und Umkehr und Absitzen
wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte
in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an;
die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine
Coulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel
und Waldland wie in Böhmen, Preußische Truppen mit Fahnen
und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das schleunig
Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich
erwachte froh und gestärkt aus ihm.

Der böse Traum, aus dem Eure Majestät nervös und agitirt
erwachten, kann doch nur so weit in Erfüllung gehn, daß wir noch
manche stürmische und lärmende Parlamentssitzung haben werden,
durch welche die Parlamente ihr Ansehn leider untergraben und die
Staatsgeschäfte hemmen; aber Eurer Majestät Gegenwart dabei ist
nicht möglich, und ich halte dergleichen Erscheinungen wie die letzten
Reichstagssitzungen zwar für bedauerlich als Maßstab unsrer Sitten
und unsrer politischen Bildung, vielleicht unsrer politischen Be¬
fähigung; aber für kein Unglück an sich: l'exces du mal en devient
le remede
.

Verzeihn Eure Majestät mit gewohnter Huld diese durch Aller¬
höchstdero Schreiben angeregte Ferienbetrachtung; denn seit gestern
bis zum 9. Januar haben wir Ferien und Ruhe."

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
meines vorhergehenden Vortrages, aber doch der Geſammtheit der
Eindrücke der letzten Tage, auf Grund der mündlichen Berichte von
Puttkamer, der Zeitungsartikel und meines Vortrags war. Die Bilder
des Wachens tauchen im Spiegel des Traumes nicht ſofort, ſondern
erſt dann wieder auf, wenn der Geiſt durch Schlaf und Ruhe ſtill ge¬
worden iſt. Eurer Majeſtät Mittheilung ermuthigt mich zur Erzählung
eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den ſchwerſten Conflicts¬
tagen hatte, aus denen ein menſchliches Auge keinen gangbaren Aus¬
weg ſah. Mir träumte, und ich erzählte es ſofort am Morgen
meiner Frau und andern Zeugen, daß ich auf einem ſchmalen
Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felſen; der Pfad wurde
ſchmaler, ſo daß das Pferd ſich weigerte, und Umkehr und Abſitzen
wegen Mangel an Platz unmöglich; da ſchlug ich mit meiner Gerte
in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an;
die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand ſtürzte wie eine
Couliſſe und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel
und Waldland wie in Böhmen, Preußiſche Truppen mit Fahnen
und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das ſchleunig
Eurer Majeſtät melden könnte. Dieſer Traum erfüllte ſich, und ich
erwachte froh und geſtärkt aus ihm.

Der böſe Traum, aus dem Eure Majeſtät nervös und agitirt
erwachten, kann doch nur ſo weit in Erfüllung gehn, daß wir noch
manche ſtürmiſche und lärmende Parlamentsſitzung haben werden,
durch welche die Parlamente ihr Anſehn leider untergraben und die
Staatsgeſchäfte hemmen; aber Eurer Majeſtät Gegenwart dabei iſt
nicht möglich, und ich halte dergleichen Erſcheinungen wie die letzten
Reichstagsſitzungen zwar für bedauerlich als Maßſtab unſrer Sitten
und unſrer politiſchen Bildung, vielleicht unſrer politiſchen Be¬
fähigung; aber für kein Unglück an ſich: l'excès du mal en devient
le remède
.

Verzeihn Eure Majeſtät mit gewohnter Huld dieſe durch Aller¬
höchſtdero Schreiben angeregte Ferienbetrachtung; denn ſeit geſtern
bis zum 9. Januar haben wir Ferien und Ruhe.“

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[194/0218] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. meines vorhergehenden Vortrages, aber doch der Geſammtheit der Eindrücke der letzten Tage, auf Grund der mündlichen Berichte von Puttkamer, der Zeitungsartikel und meines Vortrags war. Die Bilder des Wachens tauchen im Spiegel des Traumes nicht ſofort, ſondern erſt dann wieder auf, wenn der Geiſt durch Schlaf und Ruhe ſtill ge¬ worden iſt. Eurer Majeſtät Mittheilung ermuthigt mich zur Erzählung eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den ſchwerſten Conflicts¬ tagen hatte, aus denen ein menſchliches Auge keinen gangbaren Aus¬ weg ſah. Mir träumte, und ich erzählte es ſofort am Morgen meiner Frau und andern Zeugen, daß ich auf einem ſchmalen Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felſen; der Pfad wurde ſchmaler, ſo daß das Pferd ſich weigerte, und Umkehr und Abſitzen wegen Mangel an Platz unmöglich; da ſchlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an; die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand ſtürzte wie eine Couliſſe und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, Preußiſche Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das ſchleunig Eurer Majeſtät melden könnte. Dieſer Traum erfüllte ſich, und ich erwachte froh und geſtärkt aus ihm. Der böſe Traum, aus dem Eure Majeſtät nervös und agitirt erwachten, kann doch nur ſo weit in Erfüllung gehn, daß wir noch manche ſtürmiſche und lärmende Parlamentsſitzung haben werden, durch welche die Parlamente ihr Anſehn leider untergraben und die Staatsgeſchäfte hemmen; aber Eurer Majeſtät Gegenwart dabei iſt nicht möglich, und ich halte dergleichen Erſcheinungen wie die letzten Reichstagsſitzungen zwar für bedauerlich als Maßſtab unſrer Sitten und unſrer politiſchen Bildung, vielleicht unſrer politiſchen Be¬ fähigung; aber für kein Unglück an ſich: l'excès du mal en devient le remède. Verzeihn Eure Majeſtät mit gewohnter Huld dieſe durch Aller¬ höchſtdero Schreiben angeregte Ferienbetrachtung; denn ſeit geſtern bis zum 9. Januar haben wir Ferien und Ruhe.“

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/218>, abgerufen am 22.11.2024.