Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedlicher Charakter der deutschen Politik.
politischen Fragen mit entscheidender Autorität behandelten, zwar
nicht die constitutionelle Garantie einer ministeriellen Gegenzeich¬
nung, aber doch das Correctiv ministerieller Mitwirkung, voraus¬
gesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefsteller genau an das Concept
hielt. Darüber erhielt der Verfasser des letztern allerdings keine
Sicherheit, da die Reinschrift garnicht oder doch nur versiegelt in
seine Hände kam.

Wie weit verzweigt die Gontaut-Gortschakow'sche Intrige ge¬
wesen war, ergiebt folgendes Schreiben, das ich am 13. August 1875
aus Varzin an den Kaiser richtete1):

"Eurer Majestät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gastein
habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem
gefreut, daß Eurer Majestät die Kur gut bekommen ist, trotz alles
schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria
beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen,
wenn Ihre Majestät sich genauer über den Ursprung der damaligen
Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau
doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde Ihre Majestät sich
nicht von Neuem darauf berufen, und würde die englische Regirung
auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran
geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majestät es für thunlich
halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre
Majestät versichert, es sei Ihr ,ein Leichtes nachzuweisen, daß Ihre
Befürchtungen nicht übertrieben waren'. Es wäre sonst wohl von
Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so ,kräftige Irrthümer'
nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über
Personen, welche als ,Vertreter' der Regirung Eurer Majestät gelten
müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann
ja sehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademisch von der Nütz¬
lichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben,
obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden

1) Bismarck-Jahrbuch IV 35 ff.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 12

Friedlicher Charakter der deutſchen Politik.
politiſchen Fragen mit entſcheidender Autorität behandelten, zwar
nicht die conſtitutionelle Garantie einer miniſteriellen Gegenzeich¬
nung, aber doch das Correctiv miniſterieller Mitwirkung, voraus¬
geſetzt, daß ſich der Allerhöchſte Briefſteller genau an das Concept
hielt. Darüber erhielt der Verfaſſer des letztern allerdings keine
Sicherheit, da die Reinſchrift garnicht oder doch nur verſiegelt in
ſeine Hände kam.

Wie weit verzweigt die Gontaut-Gortſchakow'ſche Intrige ge¬
weſen war, ergiebt folgendes Schreiben, das ich am 13. Auguſt 1875
aus Varzin an den Kaiſer richtete1):

„Eurer Majeſtät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gaſtein
habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem
gefreut, daß Eurer Majeſtät die Kur gut bekommen iſt, trotz alles
ſchlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria
beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre ſehr intereſſant geweſen,
wenn Ihre Majeſtät ſich genauer über den Urſprung der damaligen
Kriegsgerüchte ausgelaſſen hätte. Die Quellen müſſen der hohen Frau
doch für ſehr ſicher gegolten haben, ſonſt würde Ihre Majeſtät ſich
nicht von Neuem darauf berufen, und würde die engliſche Regirung
auch nicht ſo gewichtige und für uns ſo unfreundliche Schritte daran
geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majeſtät es für thunlich
halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre
Majeſtät verſichert, es ſei Ihr ‚ein Leichtes nachzuweiſen, daß Ihre
Befürchtungen nicht übertrieben waren‘. Es wäre ſonſt wohl von
Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her ſo ‚kräftige Irrthümer‘
nach Windſor haben befördert werden können. Die Andeutung über
Perſonen, welche als ‚Vertreter‘ der Regirung Eurer Majeſtät gelten
müſſen, ſcheint auf den Grafen Münſter zu zielen. Derſelbe kann
ja ſehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademiſch von der Nütz¬
lichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich geſprochen haben,
obſchon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden

1) Bismarck-Jahrbuch IV 35 ff.
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0201" n="177"/><fw place="top" type="header">Friedlicher Charakter der deut&#x017F;chen Politik.<lb/></fw> politi&#x017F;chen Fragen mit ent&#x017F;cheidender Autorität behandelten, zwar<lb/>
nicht die con&#x017F;titutionelle Garantie einer mini&#x017F;teriellen Gegenzeich¬<lb/>
nung, aber doch das Correctiv mini&#x017F;terieller Mitwirkung, voraus¬<lb/>
ge&#x017F;etzt, daß &#x017F;ich der Allerhöch&#x017F;te Brief&#x017F;teller genau an das Concept<lb/>
hielt. Darüber erhielt der Verfa&#x017F;&#x017F;er des letztern allerdings keine<lb/>
Sicherheit, da die Rein&#x017F;chrift garnicht oder doch nur ver&#x017F;iegelt in<lb/>
&#x017F;eine Hände kam.</p><lb/>
          <p>Wie weit verzweigt die Gontaut-Gort&#x017F;chakow'&#x017F;che Intrige ge¬<lb/>
we&#x017F;en war, ergiebt folgendes Schreiben, das ich am 13. Augu&#x017F;t 1875<lb/>
aus Varzin an den Kai&#x017F;er richtete<note place="foot" n="1)">Bismarck-Jahrbuch <hi rendition="#aq">IV</hi> 35 ff.</note>:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Eurer Maje&#x017F;tät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Ga&#x017F;tein<lb/>
habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem<lb/>
gefreut, daß Eurer Maje&#x017F;tät die Kur gut bekommen i&#x017F;t, trotz alles<lb/>
&#x017F;chlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria<lb/>
beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;ant gewe&#x017F;en,<lb/>
wenn Ihre Maje&#x017F;tät &#x017F;ich genauer über den Ur&#x017F;prung der damaligen<lb/>
Kriegsgerüchte ausgela&#x017F;&#x017F;en hätte. Die Quellen mü&#x017F;&#x017F;en der hohen Frau<lb/>
doch für &#x017F;ehr &#x017F;icher gegolten haben, &#x017F;on&#x017F;t würde Ihre Maje&#x017F;tät &#x017F;ich<lb/>
nicht von Neuem darauf berufen, und würde die engli&#x017F;che Regirung<lb/>
auch nicht &#x017F;o gewichtige und für uns &#x017F;o unfreundliche Schritte daran<lb/>
geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Maje&#x017F;tät es für thunlich<lb/>
halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre<lb/>
Maje&#x017F;tät ver&#x017F;ichert, es &#x017F;ei Ihr &#x201A;ein Leichtes nachzuwei&#x017F;en, daß Ihre<lb/>
Befürchtungen nicht übertrieben waren&#x2018;. Es wäre &#x017F;on&#x017F;t wohl von<lb/>
Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her &#x017F;o &#x201A;kräftige Irrthümer&#x2018;<lb/>
nach Wind&#x017F;or haben befördert werden können. Die Andeutung über<lb/>
Per&#x017F;onen, welche als &#x201A;Vertreter&#x2018; der Regirung Eurer Maje&#x017F;tät gelten<lb/>&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;cheint auf den Grafen Mün&#x017F;ter zu zielen. Der&#x017F;elbe kann<lb/>
ja &#x017F;ehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademi&#x017F;ch von der Nütz¬<lb/>
lichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich ge&#x017F;prochen haben,<lb/>
ob&#x017F;chon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Otto Für&#x017F;t von Bismarck</hi>, Gedanken und Erinnerungen. <hi rendition="#aq">II</hi>. 12<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0201] Friedlicher Charakter der deutſchen Politik. politiſchen Fragen mit entſcheidender Autorität behandelten, zwar nicht die conſtitutionelle Garantie einer miniſteriellen Gegenzeich¬ nung, aber doch das Correctiv miniſterieller Mitwirkung, voraus¬ geſetzt, daß ſich der Allerhöchſte Briefſteller genau an das Concept hielt. Darüber erhielt der Verfaſſer des letztern allerdings keine Sicherheit, da die Reinſchrift garnicht oder doch nur verſiegelt in ſeine Hände kam. Wie weit verzweigt die Gontaut-Gortſchakow'ſche Intrige ge¬ weſen war, ergiebt folgendes Schreiben, das ich am 13. Auguſt 1875 aus Varzin an den Kaiſer richtete 1): „Eurer Majeſtät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gaſtein habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem gefreut, daß Eurer Majeſtät die Kur gut bekommen iſt, trotz alles ſchlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre ſehr intereſſant geweſen, wenn Ihre Majeſtät ſich genauer über den Urſprung der damaligen Kriegsgerüchte ausgelaſſen hätte. Die Quellen müſſen der hohen Frau doch für ſehr ſicher gegolten haben, ſonſt würde Ihre Majeſtät ſich nicht von Neuem darauf berufen, und würde die engliſche Regirung auch nicht ſo gewichtige und für uns ſo unfreundliche Schritte daran geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majeſtät es für thunlich halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre Majeſtät verſichert, es ſei Ihr ‚ein Leichtes nachzuweiſen, daß Ihre Befürchtungen nicht übertrieben waren‘. Es wäre ſonſt wohl von Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her ſo ‚kräftige Irrthümer‘ nach Windſor haben befördert werden können. Die Andeutung über Perſonen, welche als ‚Vertreter‘ der Regirung Eurer Majeſtät gelten müſſen, ſcheint auf den Grafen Münſter zu zielen. Derſelbe kann ja ſehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademiſch von der Nütz¬ lichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich geſprochen haben, obſchon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden 1) Bismarck-Jahrbuch IV 35 ff. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/201
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/201>, abgerufen am 09.05.2024.