Schüler zu sehn, der ich in Petersburg ihm gegenüber bereitwillig gewesen wäre, sondern jetzt mit der Thatsache zu rechnen, daß ich ein für die Politik meines Kaisers und eines großen Reiches ver¬ antwortlicher College sei.
Als 1875 während der Vacanz des Botschafterpostens ein Legationssekretär als Geschäftsträger fungirte, wurde Herr von Rado¬ witz, damals Gesandter in Athen, en mission extraordinaire nach Petersburg geschickt, um die Geschäftsführung auch äußerlich auf den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er hatte dadurch Gelegenheit, sich durch entschlossene Emancipation von Gortschakows präpotenter Beeinflussung dessen Abneigung in einem so hohen Grade zuzuziehn, daß die Abneigung des russischen Cabinets gegen ihn ungeachtet seiner russischen Heirath vielleicht noch heut nicht erloschen ist.
Die Rolle des Friedensengels, sehr geeignet, Gortschakows Selbstgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt sich annehmen, daß seine Gespräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, die später als Beweismittel für unsre krie¬ gerischen Absichten angeführt wurden, von ihm mit Geschick herbei¬ geführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beschützten Frankreich zur Anschauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortschakow unter dem Datum dieses Ortes ein zur Mittheilung bestimmtes telegraphisches Circular, welches mit den Worten anfing: "Main¬ tenant, also unter russischem Druck, la paix est assuree," als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Einer der dadurch avi¬ sirten außerdeutschen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt.
Ich machte dem Fürsten Gortschakow lebhafte Vorwürfe und sagte, es sei kein freundschaftliches Verhalten, wenn man einem ver¬ trauenden und nichts ahnenden Freunde plötzlich und hinterrücks auf die Schulter springe, um dort eine Circus-Vorstellung auf seine Kosten in Scene zu setzen, und daß dergleichen Vorgänge zwischen uns leitenden Ministern den beiden Monarchien und Staaten zum
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
Schüler zu ſehn, der ich in Petersburg ihm gegenüber bereitwillig geweſen wäre, ſondern jetzt mit der Thatſache zu rechnen, daß ich ein für die Politik meines Kaiſers und eines großen Reiches ver¬ antwortlicher College ſei.
Als 1875 während der Vacanz des Botſchafterpoſtens ein Legationsſekretär als Geſchäftsträger fungirte, wurde Herr von Rado¬ witz, damals Geſandter in Athen, en mission extraordinaire nach Petersburg geſchickt, um die Geſchäftsführung auch äußerlich auf den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er hatte dadurch Gelegenheit, ſich durch entſchloſſene Emancipation von Gortſchakows präpotenter Beeinfluſſung deſſen Abneigung in einem ſo hohen Grade zuzuziehn, daß die Abneigung des ruſſiſchen Cabinets gegen ihn ungeachtet ſeiner ruſſiſchen Heirath vielleicht noch heut nicht erloſchen iſt.
Die Rolle des Friedensengels, ſehr geeignet, Gortſchakows Selbſtgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt ſich annehmen, daß ſeine Geſpräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, die ſpäter als Beweismittel für unſre krie¬ geriſchen Abſichten angeführt wurden, von ihm mit Geſchick herbei¬ geführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beſchützten Frankreich zur Anſchauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortſchakow unter dem Datum dieſes Ortes ein zur Mittheilung beſtimmtes telegraphiſches Circular, welches mit den Worten anfing: „Main¬ tenant, alſo unter ruſſiſchem Druck, la paix est assurée,“ als ob das vorher nicht der Fall geweſen wäre. Einer der dadurch avi¬ ſirten außerdeutſchen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt.
Ich machte dem Fürſten Gortſchakow lebhafte Vorwürfe und ſagte, es ſei kein freundſchaftliches Verhalten, wenn man einem ver¬ trauenden und nichts ahnenden Freunde plötzlich und hinterrücks auf die Schulter ſpringe, um dort eine Circus-Vorſtellung auf ſeine Koſten in Scene zu ſetzen, und daß dergleichen Vorgänge zwiſchen uns leitenden Miniſtern den beiden Monarchien und Staaten zum
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Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
Schüler zu ſehn, der ich in Petersburg ihm gegenüber bereitwillig
geweſen wäre, ſondern jetzt mit der Thatſache zu rechnen, daß ich
ein für die Politik meines Kaiſers und eines großen Reiches ver¬
antwortlicher College ſei.
Als 1875 während der Vacanz des Botſchafterpoſtens ein
Legationsſekretär als Geſchäftsträger fungirte, wurde Herr von Rado¬
witz, damals Geſandter in Athen, en mission extraordinaire nach
Petersburg geſchickt, um die Geſchäftsführung auch äußerlich auf
den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er hatte dadurch Gelegenheit,
ſich durch entſchloſſene Emancipation von Gortſchakows präpotenter
Beeinfluſſung deſſen Abneigung in einem ſo hohen Grade zuzuziehn,
daß die Abneigung des ruſſiſchen Cabinets gegen ihn ungeachtet
ſeiner ruſſiſchen Heirath vielleicht noch heut nicht erloſchen iſt.
Die Rolle des Friedensengels, ſehr geeignet, Gortſchakows
Selbſtgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris
zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es
läßt ſich annehmen, daß ſeine Geſpräche mit dem Grafen Moltke
und mit Radowitz, die ſpäter als Beweismittel für unſre krie¬
geriſchen Abſichten angeführt wurden, von ihm mit Geſchick herbei¬
geführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten,
von Rußland beſchützten Frankreich zur Anſchauung zu bringen.
In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortſchakow
unter dem Datum dieſes Ortes ein zur Mittheilung beſtimmtes
telegraphiſches Circular, welches mit den Worten anfing: „Main¬
tenant, alſo unter ruſſiſchem Druck, la paix est assurée,“ als ob
das vorher nicht der Fall geweſen wäre. Einer der dadurch avi¬
ſirten außerdeutſchen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt.
Ich machte dem Fürſten Gortſchakow lebhafte Vorwürfe und
ſagte, es ſei kein freundſchaftliches Verhalten, wenn man einem ver¬
trauenden und nichts ahnenden Freunde plötzlich und hinterrücks auf
die Schulter ſpringe, um dort eine Circus-Vorſtellung auf ſeine
Koſten in Scene zu ſetzen, und daß dergleichen Vorgänge zwiſchen
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/198>, abgerufen am 20.07.2024.
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