Französische Sympathien der Kaiserin. Die Komödie von 1875.
Von wem der Gedanke ausgegangen ist, weiß ich nicht; wenn von Gontaut, so wird er bei Gortschakow einen empfänglichen Boden gefunden haben bei dessen eitler Natur, seiner Eifersucht auf mich und dem Widerstande, den ich seinen Ansprüchen auf Präpotenz zu leisten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Gespräch sagen müssen: "Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht, sondern comme un domestique, qui ne monte pas assez vite, quand on a sonne." Gortschakow beutete es aus, daß er dem Gesandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geschäfts¬ trägern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu Verhandlungen den Weg der Mittheilung seinerseits an unsre Ver¬ tretung in Petersburg unter Vermeidung der Instruirung des russi¬ schen Botschafters in Berlin behufs Besprechung mit mir. Ich halte es für Verleumdung, was Russen mir gesagt haben, das Motiv dieses Verfahrens sei gewesen, daß in dem Etat des aus¬ wärtigen Ministers ein Pauschquantum für Telegramme ausgeworfen sei und Gortschakow deshalb seine Mittheilungen lieber auf deutsche Kosten durch unsern Geschäftsträger als auf russische besorgt habe. Ich suche, obschon er sicher geizig war, das Motiv auf politischem Gebiete. Gortschakow war ein geistreicher und glänzender Redner und liebte es, sich als solchen namentlich den fremden, in Peters¬ burg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er sprach französisch und deutsch mit gleicher Beredsamkeit, und ich habe seinen docirenden Vorträgen oft stundenlang gern zugehört als Gesandter und später als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten und namentlich jüngere Geschäftsträger von Intelli¬ genz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen Ministers, bei dem sie beglaubigt waren, dem oratorischen Eindrucke zu Hülfe kam. Auf diesem Wege gingen mir die Gortschakowschen Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma locuta est erinnerten. Ich beschwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct über diese Form des Geschäftsbetriebes und über die Tonart seiner Eröffnungen und bat ihn, in mir nicht mehr den diplomatischen
Franzöſiſche Sympathien der Kaiſerin. Die Komödie von 1875.
Von wem der Gedanke ausgegangen iſt, weiß ich nicht; wenn von Gontaut, ſo wird er bei Gortſchakow einen empfänglichen Boden gefunden haben bei deſſen eitler Natur, ſeiner Eiferſucht auf mich und dem Widerſtande, den ich ſeinen Anſprüchen auf Präpotenz zu leiſten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Geſpräch ſagen müſſen: „Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht, ſondern comme un domestique, qui ne monte pas assez vite, quand on a sonné.“ Gortſchakow beutete es aus, daß er dem Geſandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geſchäfts¬ trägern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu Verhandlungen den Weg der Mittheilung ſeinerſeits an unſre Ver¬ tretung in Petersburg unter Vermeidung der Inſtruirung des ruſſi¬ ſchen Botſchafters in Berlin behufs Beſprechung mit mir. Ich halte es für Verleumdung, was Ruſſen mir geſagt haben, das Motiv dieſes Verfahrens ſei geweſen, daß in dem Etat des aus¬ wärtigen Miniſters ein Pauſchquantum für Telegramme ausgeworfen ſei und Gortſchakow deshalb ſeine Mittheilungen lieber auf deutſche Koſten durch unſern Geſchäftsträger als auf ruſſiſche beſorgt habe. Ich ſuche, obſchon er ſicher geizig war, das Motiv auf politiſchem Gebiete. Gortſchakow war ein geiſtreicher und glänzender Redner und liebte es, ſich als ſolchen namentlich den fremden, in Peters¬ burg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er ſprach franzöſiſch und deutſch mit gleicher Beredſamkeit, und ich habe ſeinen docirenden Vorträgen oft ſtundenlang gern zugehört als Geſandter und ſpäter als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten und namentlich jüngere Geſchäftsträger von Intelli¬ genz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen Miniſters, bei dem ſie beglaubigt waren, dem oratoriſchen Eindrucke zu Hülfe kam. Auf dieſem Wege gingen mir die Gortſchakowſchen Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma locuta est erinnerten. Ich beſchwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct über dieſe Form des Geſchäftsbetriebes und über die Tonart ſeiner Eröffnungen und bat ihn, in mir nicht mehr den diplomatiſchen
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Franzöſiſche Sympathien der Kaiſerin. Die Komödie von 1875.
Von wem der Gedanke ausgegangen iſt, weiß ich nicht; wenn
von Gontaut, ſo wird er bei Gortſchakow einen empfänglichen Boden
gefunden haben bei deſſen eitler Natur, ſeiner Eiferſucht auf mich
und dem Widerſtande, den ich ſeinen Anſprüchen auf Präpotenz zu
leiſten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Geſpräch ſagen
müſſen: „Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht,
ſondern comme un domestique, qui ne monte pas assez vite,
quand on a sonné.“ Gortſchakow beutete es aus, daß er dem
Geſandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geſchäfts¬
trägern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu
Verhandlungen den Weg der Mittheilung ſeinerſeits an unſre Ver¬
tretung in Petersburg unter Vermeidung der Inſtruirung des ruſſi¬
ſchen Botſchafters in Berlin behufs Beſprechung mit mir. Ich
halte es für Verleumdung, was Ruſſen mir geſagt haben, das
Motiv dieſes Verfahrens ſei geweſen, daß in dem Etat des aus¬
wärtigen Miniſters ein Pauſchquantum für Telegramme ausgeworfen
ſei und Gortſchakow deshalb ſeine Mittheilungen lieber auf deutſche
Koſten durch unſern Geſchäftsträger als auf ruſſiſche beſorgt habe.
Ich ſuche, obſchon er ſicher geizig war, das Motiv auf politiſchem
Gebiete. Gortſchakow war ein geiſtreicher und glänzender Redner
und liebte es, ſich als ſolchen namentlich den fremden, in Peters¬
burg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er ſprach
franzöſiſch und deutſch mit gleicher Beredſamkeit, und ich habe ſeinen
docirenden Vorträgen oft ſtundenlang gern zugehört als Geſandter
und ſpäter als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde
Diplomaten und namentlich jüngere Geſchäftsträger von Intelli¬
genz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen
Miniſters, bei dem ſie beglaubigt waren, dem oratoriſchen Eindrucke
zu Hülfe kam. Auf dieſem Wege gingen mir die Gortſchakowſchen
Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma locuta est
erinnerten. Ich beſchwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct
über dieſe Form des Geſchäftsbetriebes und über die Tonart ſeiner
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/197>, abgerufen am 09.05.2024.
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