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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
lern, die wir fordern, den evangelischen Staat auf den Kopf stellen.
Wären diese Uebertreibungen nicht geschehn, so wären die bedauer¬
lichen Streitigkeiten und Reibungen bei diesem Gesetz vollständig über¬
flüssig gewesen; das Gesetz hat seine übertriebene Wichtigkeit erst durch
den uns ganz unerwarteten Widerstand der conservativen Partei evan¬
gelischer Confession erhalten, einen Widerstand, in dessen Genesis ich
hier nicht näher eingehn will -- ich könnte es nicht, ohne persönlich
zu werden -- der aber für die Staatsregirung eine tief schmerzliche
und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem
ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conservative Leute die Staats¬
regirung niemals zwingen sollten, die Genesis und Tendenz dieses
Gesetzes dargelegt habe, sollten Sie die Nothwendigkeit, daß unsre
bisher nicht deutsch sprechenden Landsleute Deutsch lernen, aner¬
kennen. Das ist für mich der Hauptpunkt dieses Gesetzes"1).

In einem Hause von 202 stimmten 76 gegen das Gesetz.
Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anstrengung versucht,
Herrn von Kleist die muthmaßlichen Folgen der Politik darzustellen,
zu der er seine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti
pris
gegenüber, bezüglich dessen Unterlage ich keine Conjectur
machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit
einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus der ebenso viel persönliche
als politische Leidenschaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß
dieser mir persönlich nahestehende Parteimann das Land und die
conservative Sache schwer geschädigt hat, währt bis auf den heutigen
Tag. Wenn die conservative Partei, anstatt mit mir zu brechen
und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen,
worin sie keiner staatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Re¬
girung des Kaisers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinsamer Arbeit
die Reichsgesetzgebung auszubauen, so würde der Ausbau nicht ohne
tiefe Spuren solcher conservativen Mitarbeit geblieben sein. Aus¬
gebaut mußte werden, wenn die politischen und militärischen Er¬

1) Politische Reden V 304 f.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
lern, die wir fordern, den evangeliſchen Staat auf den Kopf ſtellen.
Wären dieſe Uebertreibungen nicht geſchehn, ſo wären die bedauer¬
lichen Streitigkeiten und Reibungen bei dieſem Geſetz vollſtändig über¬
flüſſig geweſen; das Geſetz hat ſeine übertriebene Wichtigkeit erſt durch
den uns ganz unerwarteten Widerſtand der conſervativen Partei evan¬
geliſcher Confeſſion erhalten, einen Widerſtand, in deſſen Geneſis ich
hier nicht näher eingehn will — ich könnte es nicht, ohne perſönlich
zu werden — der aber für die Staatsregirung eine tief ſchmerzliche
und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem
ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conſervative Leute die Staats¬
regirung niemals zwingen ſollten, die Geneſis und Tendenz dieſes
Geſetzes dargelegt habe, ſollten Sie die Nothwendigkeit, daß unſre
bisher nicht deutſch ſprechenden Landsleute Deutſch lernen, aner¬
kennen. Das iſt für mich der Hauptpunkt dieſes Geſetzes“1).

In einem Hauſe von 202 ſtimmten 76 gegen das Geſetz.
Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anſtrengung verſucht,
Herrn von Kleiſt die muthmaßlichen Folgen der Politik darzuſtellen,
zu der er ſeine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti
pris
gegenüber, bezüglich deſſen Unterlage ich keine Conjectur
machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit
einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus der ebenſo viel perſönliche
als politiſche Leidenſchaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß
dieſer mir perſönlich naheſtehende Parteimann das Land und die
conſervative Sache ſchwer geſchädigt hat, währt bis auf den heutigen
Tag. Wenn die conſervative Partei, anſtatt mit mir zu brechen
und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen,
worin ſie keiner ſtaatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Re¬
girung des Kaiſers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinſamer Arbeit
die Reichsgeſetzgebung auszubauen, ſo würde der Ausbau nicht ohne
tiefe Spuren ſolcher conſervativen Mitarbeit geblieben ſein. Aus¬
gebaut mußte werden, wenn die politiſchen und militäriſchen Er¬

1) Politiſche Reden V 304 f.
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[150/0174] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. lern, die wir fordern, den evangeliſchen Staat auf den Kopf ſtellen. Wären dieſe Uebertreibungen nicht geſchehn, ſo wären die bedauer¬ lichen Streitigkeiten und Reibungen bei dieſem Geſetz vollſtändig über¬ flüſſig geweſen; das Geſetz hat ſeine übertriebene Wichtigkeit erſt durch den uns ganz unerwarteten Widerſtand der conſervativen Partei evan¬ geliſcher Confeſſion erhalten, einen Widerſtand, in deſſen Geneſis ich hier nicht näher eingehn will — ich könnte es nicht, ohne perſönlich zu werden — der aber für die Staatsregirung eine tief ſchmerzliche und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conſervative Leute die Staats¬ regirung niemals zwingen ſollten, die Geneſis und Tendenz dieſes Geſetzes dargelegt habe, ſollten Sie die Nothwendigkeit, daß unſre bisher nicht deutſch ſprechenden Landsleute Deutſch lernen, aner¬ kennen. Das iſt für mich der Hauptpunkt dieſes Geſetzes“ 1). In einem Hauſe von 202 ſtimmten 76 gegen das Geſetz. Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anſtrengung verſucht, Herrn von Kleiſt die muthmaßlichen Folgen der Politik darzuſtellen, zu der er ſeine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti pris gegenüber, bezüglich deſſen Unterlage ich keine Conjectur machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus der ebenſo viel perſönliche als politiſche Leidenſchaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß dieſer mir perſönlich naheſtehende Parteimann das Land und die conſervative Sache ſchwer geſchädigt hat, währt bis auf den heutigen Tag. Wenn die conſervative Partei, anſtatt mit mir zu brechen und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen, worin ſie keiner ſtaatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Re¬ girung des Kaiſers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinſamer Arbeit die Reichsgeſetzgebung auszubauen, ſo würde der Ausbau nicht ohne tiefe Spuren ſolcher conſervativen Mitarbeit geblieben ſein. Aus¬ gebaut mußte werden, wenn die politiſchen und militäriſchen Er¬ 1) Politiſche Reden V 304 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/174>, abgerufen am 23.11.2024.