Fünfundzwanzigstes Kapitel. Bruch mit den Conservativen.
I.
Der Bruch der Conservativen mit mir, der 1872 mit Geräusch vollzogen wurde, hatte zuerst 1868 vorgespukt in den Debatten über den hanöverschen Provinzialfonds. Nachdem der Gesetzent¬ wurf, den die Regirung in Erfüllung einer den Hanoveranern im Jahr zuvor gemachten Zusage dem Landtage vorgelegt hatte, schon in der Commission von den conservativen Mitgliedern lebhaft be¬ kämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitsch und von Diest im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage wesent¬ lich einschränkte. Der erstre entwickelte als Wortführer die Gründe, aus denen die conservative Partei nicht für das Gesetz stimmen könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den Worten geschlossen: "Es ist eine constitutionelle Regirung nicht möglich, wenn die Regirung nicht auf eine der größern Parteien mit voller Sicherheit zählen kann, auch in solchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, -- wenn nicht diese Partei das Facit ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehn im Großen und Ganzen mit der Regirung; wir finden zwar, daß sie ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger Thorheiten brachte, als annehmbare Maßregeln; um deswillen wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regi¬ rung nicht wenigstens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auf¬ fassungen und Richtungen in dieser Art eingeht, dann ist ihr das
Fünfundzwanzigſtes Kapitel. Bruch mit den Conſervativen.
I.
Der Bruch der Conſervativen mit mir, der 1872 mit Geräuſch vollzogen wurde, hatte zuerſt 1868 vorgeſpukt in den Debatten über den hanöverſchen Provinzialfonds. Nachdem der Geſetzent¬ wurf, den die Regirung in Erfüllung einer den Hanoveranern im Jahr zuvor gemachten Zuſage dem Landtage vorgelegt hatte, ſchon in der Commiſſion von den conſervativen Mitgliedern lebhaft be¬ kämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitſch und von Dieſt im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage weſent¬ lich einſchränkte. Der erſtre entwickelte als Wortführer die Gründe, aus denen die conſervative Partei nicht für das Geſetz ſtimmen könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den Worten geſchloſſen: „Es iſt eine conſtitutionelle Regirung nicht möglich, wenn die Regirung nicht auf eine der größern Parteien mit voller Sicherheit zählen kann, auch in ſolchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, — wenn nicht dieſe Partei das Facit ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehn im Großen und Ganzen mit der Regirung; wir finden zwar, daß ſie ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger Thorheiten brachte, als annehmbare Maßregeln; um deswillen wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regi¬ rung nicht wenigſtens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auf¬ faſſungen und Richtungen in dieſer Art eingeht, dann iſt ihr das
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Fünfundzwanzigſtes Kapitel.
Bruch mit den Conſervativen.
I.
Der Bruch der Conſervativen mit mir, der 1872 mit Geräuſch
vollzogen wurde, hatte zuerſt 1868 vorgeſpukt in den Debatten
über den hanöverſchen Provinzialfonds. Nachdem der Geſetzent¬
wurf, den die Regirung in Erfüllung einer den Hanoveranern im
Jahr zuvor gemachten Zuſage dem Landtage vorgelegt hatte, ſchon
in der Commiſſion von den conſervativen Mitgliedern lebhaft be¬
kämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitſch und
von Dieſt im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage weſent¬
lich einſchränkte. Der erſtre entwickelte als Wortführer die Gründe,
aus denen die conſervative Partei nicht für das Geſetz ſtimmen
könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den
Worten geſchloſſen: „Es iſt eine conſtitutionelle Regirung nicht
möglich, wenn die Regirung nicht auf eine der größern Parteien
mit voller Sicherheit zählen kann, auch in ſolchen Einzelheiten, die
der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, — wenn nicht dieſe
Partei das Facit ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehn im
Großen und Ganzen mit der Regirung; wir finden zwar, daß ſie
ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger
Thorheiten brachte, als annehmbare Maßregeln; um deswillen
wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regi¬
rung nicht wenigſtens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auf¬
faſſungen und Richtungen in dieſer Art eingeht, dann iſt ihr das
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. [142]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/166>, abgerufen am 23.11.2024.
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