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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
dies zweifellos der Fall1). Mangel an Klarheit zeigt sich in seinem
Briefe an Roon vom April 18742), in welchem er gleichzeitig von
seiner Ablehnung und von meinem Fallenlassen Falk gegenüber spricht.
Wenn die conservative Partei in der Person ihrer damaligen Haupt¬
redner und Führer Blanckenburg und Kleist-Retzow bereitwillig mit
mir gegangen wäre, so würde die Mischung des Ministeriums eine
andre und das, was in dem Briefe die Falksche Sackgasse genannt
ist, vielleicht nicht nothwendig geworden sein. Die Ablehnung der
Ministerstellung ist aber, wie der Brief documentirt, von Blancken¬
burg selbst ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Re¬
siduen der Kämpfe der "armen Lutheraner", der "Alt-Lutheraner",
zu denen Blanckenburg sich hielt, in den dreißiger Jahren. Als
er sich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß
er mich im Stiche ließ.

Daß ich den Widerstand des Kaisers Wilhelm gegen die
Civilehe gebrochen hätte, ist eine der Erfindungen des demokrati¬
schen Jesuitismus, den die "Germania"3) vertritt. Die Abneigung
des Kaisers wurde überwunden durch den Druck, den die Majo¬
rität der ohne mich und unter Roons formalem Präsidium in
Berlin anwesenden Minister auf Se. Majestät ausübte, und der so
weit ging, daß der Kaiser zwischen Annahme des Gesetzentwurfs
und Neubildung des Ministeriums zu wählen hatte. In meinem
damaligen Gesundheitszustande wäre ich der Aufgabe nicht ge¬
wachsen gewesen, aus den mir und sich unter einander feindlichen
Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortsetzung der Kämpfe nach
allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiser in dem Briefe
vom 8. Mai 1874 retrospectiv sagt, daß er trotz seiner Hinfällig¬
keit noch zwei Mal dagegen geschrieben habe, so waren diese

1) Deutsche Revue October 1891 S. 140, Roon's Denkwürdigkeiten
III 4 370 ff.
2) Deutsche Revue December 1891 S. 270, Roon's Denkwürdigkeiten
III 4 406.
3) 1891. Nro. 281.

Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
dies zweifellos der Fall1). Mangel an Klarheit zeigt ſich in ſeinem
Briefe an Roon vom April 18742), in welchem er gleichzeitig von
ſeiner Ablehnung und von meinem Fallenlaſſen Falk gegenüber ſpricht.
Wenn die conſervative Partei in der Perſon ihrer damaligen Haupt¬
redner und Führer Blanckenburg und Kleiſt-Retzow bereitwillig mit
mir gegangen wäre, ſo würde die Miſchung des Miniſteriums eine
andre und das, was in dem Briefe die Falkſche Sackgaſſe genannt
iſt, vielleicht nicht nothwendig geworden ſein. Die Ablehnung der
Miniſterſtellung iſt aber, wie der Brief documentirt, von Blancken¬
burg ſelbſt ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Re¬
ſiduen der Kämpfe der „armen Lutheraner“, der „Alt-Lutheraner“,
zu denen Blanckenburg ſich hielt, in den dreißiger Jahren. Als
er ſich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß
er mich im Stiche ließ.

Daß ich den Widerſtand des Kaiſers Wilhelm gegen die
Civilehe gebrochen hätte, iſt eine der Erfindungen des demokrati¬
ſchen Jeſuitismus, den die „Germania“3) vertritt. Die Abneigung
des Kaiſers wurde überwunden durch den Druck, den die Majo¬
rität der ohne mich und unter Roons formalem Präſidium in
Berlin anweſenden Miniſter auf Se. Majeſtät ausübte, und der ſo
weit ging, daß der Kaiſer zwiſchen Annahme des Geſetzentwurfs
und Neubildung des Miniſteriums zu wählen hatte. In meinem
damaligen Geſundheitszuſtande wäre ich der Aufgabe nicht ge¬
wachſen geweſen, aus den mir und ſich unter einander feindlichen
Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortſetzung der Kämpfe nach
allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiſer in dem Briefe
vom 8. Mai 1874 retroſpectiv ſagt, daß er trotz ſeiner Hinfällig¬
keit noch zwei Mal dagegen geſchrieben habe, ſo waren dieſe

1) Deutſche Revue October 1891 S. 140, Roon's Denkwürdigkeiten
III 4 370 ff.
2) Deutſche Revue December 1891 S. 270, Roon's Denkwürdigkeiten
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[140/0164] Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf. dies zweifellos der Fall 1). Mangel an Klarheit zeigt ſich in ſeinem Briefe an Roon vom April 1874 2), in welchem er gleichzeitig von ſeiner Ablehnung und von meinem Fallenlaſſen Falk gegenüber ſpricht. Wenn die conſervative Partei in der Perſon ihrer damaligen Haupt¬ redner und Führer Blanckenburg und Kleiſt-Retzow bereitwillig mit mir gegangen wäre, ſo würde die Miſchung des Miniſteriums eine andre und das, was in dem Briefe die Falkſche Sackgaſſe genannt iſt, vielleicht nicht nothwendig geworden ſein. Die Ablehnung der Miniſterſtellung iſt aber, wie der Brief documentirt, von Blancken¬ burg ſelbſt ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Re¬ ſiduen der Kämpfe der „armen Lutheraner“, der „Alt-Lutheraner“, zu denen Blanckenburg ſich hielt, in den dreißiger Jahren. Als er ſich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß er mich im Stiche ließ. Daß ich den Widerſtand des Kaiſers Wilhelm gegen die Civilehe gebrochen hätte, iſt eine der Erfindungen des demokrati¬ ſchen Jeſuitismus, den die „Germania“ 3) vertritt. Die Abneigung des Kaiſers wurde überwunden durch den Druck, den die Majo¬ rität der ohne mich und unter Roons formalem Präſidium in Berlin anweſenden Miniſter auf Se. Majeſtät ausübte, und der ſo weit ging, daß der Kaiſer zwiſchen Annahme des Geſetzentwurfs und Neubildung des Miniſteriums zu wählen hatte. In meinem damaligen Geſundheitszuſtande wäre ich der Aufgabe nicht ge¬ wachſen geweſen, aus den mir und ſich unter einander feindlichen Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortſetzung der Kämpfe nach allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiſer in dem Briefe vom 8. Mai 1874 retroſpectiv ſagt, daß er trotz ſeiner Hinfällig¬ keit noch zwei Mal dagegen geſchrieben habe, ſo waren dieſe 1) Deutſche Revue October 1891 S. 140, Roon's Denkwürdigkeiten III 4 370 ff. 2) Deutſche Revue December 1891 S. 270, Roon's Denkwürdigkeiten III 4 406. 3) 1891. Nro. 281.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/164>, abgerufen am 23.11.2024.