Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
III.

Auf die juristische Detailarbeit der Maigesetze würde ich nie
verfallen sein; sie lag mir ressortmäßig fern, und weder in meiner
Absicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juristen zu con¬
trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Ministerpräsident über¬
haupt nicht gleichzeitig den Dienst des Cultusministers thun, auch
wenn ich vollkommen gesund gewesen wäre. Erst durch die Praxis
überzeugte ich mich, daß die juristischen Einzelheiten psychologisch
nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an
dem Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die
mit Sporen und Schleppsäbel hinter gewandten und leichtfüßigen
Priestern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachsetzten. Wer
annimmt, daß solche in mir auftauchende kritische Erwägungen
sofort in Gestalt einer Cabinetskrisis zwischen Falk und mir sich
hätten verkörpern lassen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬
rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaschine
in sich und in ihrem Zusammenhange mit dem Monarchen und
den Parlamentswahlen. Diese Maschine ist zu plötzlichen Evolu¬
tionen nicht im Stande, und Minister von der Begabung Falks
wachsen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenossen
von dieser Befähigung und Tapferkeit in dem Ministerium zu haben,
als durch Eingriffe in die verfassungsmäßige Unabhängigkeit seines
Ressorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubesetzung
des Cultusministeriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieser Auf¬
fassung verharrt, so lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte.
Erst nachdem er gegen meinen Wunsch durch weibliche Hofeinflüsse
und ungnädige königliche Handschreiben derartig verstimmt worden
war, daß er sich nicht halten ließ, bin ich an eine Revision seiner
Hinterlassenschaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, so
lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.

Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
III.

Auf die juriſtiſche Detailarbeit der Maigeſetze würde ich nie
verfallen ſein; ſie lag mir reſſortmäßig fern, und weder in meiner
Abſicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juriſten zu con¬
trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Miniſterpräſident über¬
haupt nicht gleichzeitig den Dienſt des Cultusminiſters thun, auch
wenn ich vollkommen geſund geweſen wäre. Erſt durch die Praxis
überzeugte ich mich, daß die juriſtiſchen Einzelheiten pſychologiſch
nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an
dem Bilde ehrlicher, aber ungeſchickter preußiſcher Gendarmen, die
mit Sporen und Schleppſäbel hinter gewandten und leichtfüßigen
Prieſtern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachſetzten. Wer
annimmt, daß ſolche in mir auftauchende kritiſche Erwägungen
ſofort in Geſtalt einer Cabinetskriſis zwiſchen Falk und mir ſich
hätten verkörpern laſſen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬
rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaſchine
in ſich und in ihrem Zuſammenhange mit dem Monarchen und
den Parlamentswahlen. Dieſe Maſchine iſt zu plötzlichen Evolu¬
tionen nicht im Stande, und Miniſter von der Begabung Falks
wachſen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenoſſen
von dieſer Befähigung und Tapferkeit in dem Miniſterium zu haben,
als durch Eingriffe in die verfaſſungsmäßige Unabhängigkeit ſeines
Reſſorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubeſetzung
des Cultusminiſteriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieſer Auf¬
faſſung verharrt, ſo lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte.
Erſt nachdem er gegen meinen Wunſch durch weibliche Hofeinflüſſe
und ungnädige königliche Handſchreiben derartig verſtimmt worden
war, daß er ſich nicht halten ließ, bin ich an eine Reviſion ſeiner
Hinterlaſſenſchaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, ſo
lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0154" n="130"/>
          <fw place="top" type="header">Vierundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Culturkampf.<lb/></fw>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Auf die juri&#x017F;ti&#x017F;che Detailarbeit der Maige&#x017F;etze würde ich nie<lb/>
verfallen &#x017F;ein; &#x017F;ie lag mir re&#x017F;&#x017F;ortmäßig fern, und weder in meiner<lb/>
Ab&#x017F;icht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juri&#x017F;ten zu con¬<lb/>
trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Mini&#x017F;terprä&#x017F;ident über¬<lb/>
haupt nicht gleichzeitig den Dien&#x017F;t des Cultusmini&#x017F;ters thun, auch<lb/>
wenn ich vollkommen ge&#x017F;und gewe&#x017F;en wäre. Er&#x017F;t durch die Praxis<lb/>
überzeugte ich mich, daß die juri&#x017F;ti&#x017F;chen Einzelheiten p&#x017F;ychologi&#x017F;ch<lb/>
nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an<lb/>
dem Bilde ehrlicher, aber unge&#x017F;chickter preußi&#x017F;cher Gendarmen, die<lb/>
mit Sporen und Schlepp&#x017F;äbel hinter gewandten und leichtfüßigen<lb/>
Prie&#x017F;tern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nach&#x017F;etzten. Wer<lb/>
annimmt, daß &#x017F;olche in mir auftauchende kriti&#x017F;che Erwägungen<lb/>
&#x017F;ofort in Ge&#x017F;talt einer Cabinetskri&#x017F;is zwi&#x017F;chen Falk und mir &#x017F;ich<lb/>
hätten verkörpern la&#x017F;&#x017F;en, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬<lb/>
rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsma&#x017F;chine<lb/>
in &#x017F;ich und in ihrem Zu&#x017F;ammenhange mit dem Monarchen und<lb/>
den Parlamentswahlen. Die&#x017F;e Ma&#x017F;chine i&#x017F;t zu plötzlichen Evolu¬<lb/>
tionen nicht im Stande, und Mini&#x017F;ter von der Begabung Falks<lb/>
wach&#x017F;en bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von die&#x017F;er Befähigung und Tapferkeit in dem Mini&#x017F;terium zu haben,<lb/>
als durch Eingriffe in die verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Unabhängigkeit &#x017F;eines<lb/>
Re&#x017F;&#x017F;orts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neube&#x017F;etzung<lb/>
des Cultusmini&#x017F;teriums auf mich zu nehmen. Ich bin in die&#x017F;er Auf¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung verharrt, &#x017F;o lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte.<lb/>
Er&#x017F;t nachdem er gegen meinen Wun&#x017F;ch durch weibliche Hofeinflü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und ungnädige königliche Hand&#x017F;chreiben derartig ver&#x017F;timmt worden<lb/>
war, daß er &#x017F;ich nicht halten ließ, bin ich an eine Revi&#x017F;ion &#x017F;einer<lb/>
Hinterla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, &#x017F;o<lb/>
lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0154] Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf. III. Auf die juriſtiſche Detailarbeit der Maigeſetze würde ich nie verfallen ſein; ſie lag mir reſſortmäßig fern, und weder in meiner Abſicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juriſten zu con¬ trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Miniſterpräſident über¬ haupt nicht gleichzeitig den Dienſt des Cultusminiſters thun, auch wenn ich vollkommen geſund geweſen wäre. Erſt durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juriſtiſchen Einzelheiten pſychologiſch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeſchickter preußiſcher Gendarmen, die mit Sporen und Schleppſäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Prieſtern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachſetzten. Wer annimmt, daß ſolche in mir auftauchende kritiſche Erwägungen ſofort in Geſtalt einer Cabinetskriſis zwiſchen Falk und mir ſich hätten verkörpern laſſen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬ rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaſchine in ſich und in ihrem Zuſammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Dieſe Maſchine iſt zu plötzlichen Evolu¬ tionen nicht im Stande, und Miniſter von der Begabung Falks wachſen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenoſſen von dieſer Befähigung und Tapferkeit in dem Miniſterium zu haben, als durch Eingriffe in die verfaſſungsmäßige Unabhängigkeit ſeines Reſſorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubeſetzung des Cultusminiſteriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieſer Auf¬ faſſung verharrt, ſo lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erſt nachdem er gegen meinen Wunſch durch weibliche Hofeinflüſſe und ungnädige königliche Handſchreiben derartig verſtimmt worden war, daß er ſich nicht halten ließ, bin ich an eine Reviſion ſeiner Hinterlaſſenſchaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, ſo lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/154
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/154>, abgerufen am 23.11.2024.