Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Bildung des Centrums. Polnische Seite des Culturkampfs.
Cardinal-Staatssekretärs Franchi zu denken, dahingestellt sein. Von
Rußland hat man gesagt: gouvernement absolu tempere par le
regicide
. Ist ein Papst, der in der Nichtachtung der in der Kirchen¬
politik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen "Nihi¬
listen" sichrer als der Zar? Gegenüber Bischöfen, die im Vatican
versammelt sind, ist der Papst stark; und wenn er mit dem
Jesuitenorden geht, stärker, als wenn er außerhalb seiner Residenz
versucht, den Widerstand der weltlichen Jesuiten zu brechen, die
die Träger des parlamentarischen Katholicismus zu sein pflegen.

II.

Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend
bestimmt durch seine polnische Seite. Seit dem Verzicht auf die
Politik der Flottwell und Grolman, seit der Consolidirung des
Radziwill'schen Einflusses auf den König und der Einrichtung der
"katholischen Abtheilung" im geistlichen Ministerium, stellten die
statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Natio¬
nalität auf Kosten der Deutschen in Posen und Westpreußen
außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm
preußische Element der "Wasserpolacken" polonisirt; Schaffranek
wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von
der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutschen und der Polen
in polnischer Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Der¬
gleichen war in Schlesien nur möglich auf Grund der amtlichen
Autorität der katholischen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürst¬
bischof wurde dem Schaffranek untersagt, bei Wiederwahl auf der
Linken zu "sitzen"; in Folge dessen stand dieser kräftig gebaute
Priester 5 und 6 Stunden und bei Doppelsitzungen 10 Stunden
am Tage vor den Bänken der Linken, stramm wie eine Schild¬
wache, und brauchte nicht erst aufzustehn, wenn er zu antideutscher

Bildung des Centrums. Polniſche Seite des Culturkampfs.
Cardinal-Staatsſekretärs Franchi zu denken, dahingeſtellt ſein. Von
Rußland hat man geſagt: gouvernement absolu tempéré par le
régicide
. Iſt ein Papſt, der in der Nichtachtung der in der Kirchen¬
politik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen „Nihi¬
liſten“ ſichrer als der Zar? Gegenüber Biſchöfen, die im Vatican
verſammelt ſind, iſt der Papſt ſtark; und wenn er mit dem
Jeſuitenorden geht, ſtärker, als wenn er außerhalb ſeiner Reſidenz
verſucht, den Widerſtand der weltlichen Jeſuiten zu brechen, die
die Träger des parlamentariſchen Katholicismus zu ſein pflegen.

II.

Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend
beſtimmt durch ſeine polniſche Seite. Seit dem Verzicht auf die
Politik der Flottwell und Grolman, ſeit der Conſolidirung des
Radziwill'ſchen Einfluſſes auf den König und der Einrichtung der
„katholiſchen Abtheilung“ im geiſtlichen Miniſterium, ſtellten die
ſtatiſtiſchen Data einen ſchnellen Fortſchritt der polniſchen Natio¬
nalität auf Koſten der Deutſchen in Poſen und Weſtpreußen
außer Zweifel, und in Oberſchleſien wurde das bis dahin ſtramm
preußiſche Element der „Waſſerpolacken“ poloniſirt; Schaffranek
wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von
der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutſchen und der Polen
in polniſcher Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Der¬
gleichen war in Schleſien nur möglich auf Grund der amtlichen
Autorität der katholiſchen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürſt¬
biſchof wurde dem Schaffranek unterſagt, bei Wiederwahl auf der
Linken zu „ſitzen“; in Folge deſſen ſtand dieſer kräftig gebaute
Prieſter 5 und 6 Stunden und bei Doppelſitzungen 10 Stunden
am Tage vor den Bänken der Linken, ſtramm wie eine Schild¬
wache, und brauchte nicht erſt aufzuſtehn, wenn er zu antideutſcher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0151" n="127"/><fw place="top" type="header">Bildung des Centrums. Polni&#x017F;che Seite des Culturkampfs.<lb/></fw> Cardinal-Staats&#x017F;ekretärs Franchi zu denken, dahinge&#x017F;tellt &#x017F;ein. Von<lb/>
Rußland hat man ge&#x017F;agt: <hi rendition="#aq">gouvernement absolu tempéré par le<lb/>
régicide</hi>. I&#x017F;t ein Pap&#x017F;t, der in der Nichtachtung der in der Kirchen¬<lb/>
politik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen &#x201E;Nihi¬<lb/>
li&#x017F;ten&#x201C; &#x017F;ichrer als der Zar? Gegenüber Bi&#x017F;chöfen, die im Vatican<lb/>
ver&#x017F;ammelt &#x017F;ind, i&#x017F;t der Pap&#x017F;t &#x017F;tark; und wenn er <hi rendition="#g">mit</hi> dem<lb/>
Je&#x017F;uitenorden geht, &#x017F;tärker, als wenn er außerhalb &#x017F;einer Re&#x017F;idenz<lb/>
ver&#x017F;ucht, den Wider&#x017F;tand der weltlichen Je&#x017F;uiten zu brechen, die<lb/>
die Träger des parlamentari&#x017F;chen Katholicismus zu &#x017F;ein pflegen.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend<lb/>
be&#x017F;timmt durch &#x017F;eine polni&#x017F;che Seite. Seit dem Verzicht auf die<lb/>
Politik der Flottwell und Grolman, &#x017F;eit der Con&#x017F;olidirung des<lb/>
Radziwill'&#x017F;chen Einflu&#x017F;&#x017F;es auf den König und der Einrichtung der<lb/>
&#x201E;katholi&#x017F;chen Abtheilung&#x201C; im gei&#x017F;tlichen Mini&#x017F;terium, &#x017F;tellten die<lb/>
&#x017F;tati&#x017F;ti&#x017F;chen Data einen &#x017F;chnellen Fort&#x017F;chritt der polni&#x017F;chen Natio¬<lb/>
nalität auf Ko&#x017F;ten der Deut&#x017F;chen in Po&#x017F;en und We&#x017F;tpreußen<lb/>
außer Zweifel, und in Ober&#x017F;chle&#x017F;ien wurde das bis dahin &#x017F;tramm<lb/>
preußi&#x017F;che Element der &#x201E;Wa&#x017F;&#x017F;erpolacken&#x201C; poloni&#x017F;irt; Schaffranek<lb/>
wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von<lb/>
der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deut&#x017F;chen und der Polen<lb/>
in polni&#x017F;cher Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Der¬<lb/>
gleichen war in Schle&#x017F;ien nur möglich auf Grund der amtlichen<lb/>
Autorität der katholi&#x017F;chen Abtheilung. Auf Klage bei dem Für&#x017F;<lb/>
bi&#x017F;chof wurde dem Schaffranek unter&#x017F;agt, bei Wiederwahl auf der<lb/>
Linken zu &#x201E;&#x017F;itzen&#x201C;; in Folge de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tand die&#x017F;er kräftig gebaute<lb/>
Prie&#x017F;ter 5 und 6 Stunden und bei Doppel&#x017F;itzungen 10 Stunden<lb/>
am Tage vor den Bänken der Linken, &#x017F;tramm wie eine Schild¬<lb/>
wache, und brauchte nicht er&#x017F;t aufzu&#x017F;tehn, wenn er zu antideut&#x017F;cher<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0151] Bildung des Centrums. Polniſche Seite des Culturkampfs. Cardinal-Staatsſekretärs Franchi zu denken, dahingeſtellt ſein. Von Rußland hat man geſagt: gouvernement absolu tempéré par le régicide. Iſt ein Papſt, der in der Nichtachtung der in der Kirchen¬ politik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen „Nihi¬ liſten“ ſichrer als der Zar? Gegenüber Biſchöfen, die im Vatican verſammelt ſind, iſt der Papſt ſtark; und wenn er mit dem Jeſuitenorden geht, ſtärker, als wenn er außerhalb ſeiner Reſidenz verſucht, den Widerſtand der weltlichen Jeſuiten zu brechen, die die Träger des parlamentariſchen Katholicismus zu ſein pflegen. II. Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend beſtimmt durch ſeine polniſche Seite. Seit dem Verzicht auf die Politik der Flottwell und Grolman, ſeit der Conſolidirung des Radziwill'ſchen Einfluſſes auf den König und der Einrichtung der „katholiſchen Abtheilung“ im geiſtlichen Miniſterium, ſtellten die ſtatiſtiſchen Data einen ſchnellen Fortſchritt der polniſchen Natio¬ nalität auf Koſten der Deutſchen in Poſen und Weſtpreußen außer Zweifel, und in Oberſchleſien wurde das bis dahin ſtramm preußiſche Element der „Waſſerpolacken“ poloniſirt; Schaffranek wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutſchen und der Polen in polniſcher Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Der¬ gleichen war in Schleſien nur möglich auf Grund der amtlichen Autorität der katholiſchen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürſt¬ biſchof wurde dem Schaffranek unterſagt, bei Wiederwahl auf der Linken zu „ſitzen“; in Folge deſſen ſtand dieſer kräftig gebaute Prieſter 5 und 6 Stunden und bei Doppelſitzungen 10 Stunden am Tage vor den Bänken der Linken, ſtramm wie eine Schild¬ wache, und brauchte nicht erſt aufzuſtehn, wenn er zu antideutſcher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/151
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/151>, abgerufen am 23.11.2024.