Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Streitende Richtungen in Italien. Verhandlung mit Ketteler. tung aufgenommen von dem Bischof von Mainz, Freiherrn vonKetteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufsuchte. Ich war 1865 mit ihm in Ver¬ bindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Posen annehmen würde, wobei mich die Absicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholisch, sondern nur antipolnisch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polnischen Sprache. 1871 stellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfassung die Artikel der preußischen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholi¬ schen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18) durch das Gesetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden sind. Für mich war die Richtung unsrer Politik nicht durch ein con¬ fessionelles Ziel bestimmt, sondern lediglich durch das Bestreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichst dauerhaft zu festigen. Ich bin in confessioneller Beziehung jeder Zeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zu¬ sammenlebens verschiedener Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staate ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Betheiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist und auf ihre Mitarbeiter die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht, und daß die Kirche überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über Diocletianische Verfolgung zu klagen. In diesem Sinne hatte ich einige Auseinandersetzungen mit Streitende Richtungen in Italien. Verhandlung mit Ketteler. tung aufgenommen von dem Biſchof von Mainz, Freiherrn vonKetteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufſuchte. Ich war 1865 mit ihm in Ver¬ bindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Poſen annehmen würde, wobei mich die Abſicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholiſch, ſondern nur antipolniſch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polniſchen Sprache. 1871 ſtellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfaſſung die Artikel der preußiſchen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholi¬ ſchen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18) durch das Geſetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden ſind. Für mich war die Richtung unſrer Politik nicht durch ein con¬ feſſionelles Ziel beſtimmt, ſondern lediglich durch das Beſtreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichſt dauerhaft zu feſtigen. Ich bin in confeſſioneller Beziehung jeder Zeit tolerant geweſen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zu¬ ſammenlebens verſchiedener Bekenntniſſe in demſelben ſtaatlichen Organismus den Anſprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutiſche Behandlung der katholiſchen Kirche in einem weltlichen Staate iſt aber dadurch erſchwert, daß die katholiſche Geiſtlichkeit, wenn ſie ihren theoretiſchen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anſpruch auf Betheiligung an weltlicher Herrſchaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politiſche Inſtitution iſt und auf ihre Mitarbeiter die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrſchaft beſteht, und daß die Kirche überall, wo ſie nicht herrſcht, berechtigt iſt, über Diocletianiſche Verfolgung zu klagen. In dieſem Sinne hatte ich einige Auseinanderſetzungen mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0149" n="125"/><fw place="top" type="header">Streitende Richtungen in Italien. Verhandlung mit Ketteler.<lb/></fw> tung aufgenommen von dem Biſchof von Mainz, Freiherrn von<lb/> Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags,<lb/> 1871, mehrmals aufſuchte. Ich war 1865 mit ihm in Ver¬<lb/> bindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum<lb/> Poſen annehmen würde, wobei mich die Abſicht leitete, zu zeigen,<lb/> daß wir nicht antikatholiſch, ſondern nur antipolniſch wären.<lb/> Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen<lb/> Unkenntniß der polniſchen Sprache. 1871 ſtellte er mir im Großen<lb/> und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfaſſung die Artikel<lb/> der preußiſchen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholi¬<lb/> ſchen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18)<lb/> durch das Geſetz vom 18. 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Streitende Richtungen in Italien. Verhandlung mit Ketteler.
tung aufgenommen von dem Biſchof von Mainz, Freiherrn von
Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags,
1871, mehrmals aufſuchte. Ich war 1865 mit ihm in Ver¬
bindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum
Poſen annehmen würde, wobei mich die Abſicht leitete, zu zeigen,
daß wir nicht antikatholiſch, ſondern nur antipolniſch wären.
Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen
Unkenntniß der polniſchen Sprache. 1871 ſtellte er mir im Großen
und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfaſſung die Artikel
der preußiſchen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholi¬
ſchen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18)
durch das Geſetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden ſind.
Für mich war die Richtung unſrer Politik nicht durch ein con¬
feſſionelles Ziel beſtimmt, ſondern lediglich durch das Beſtreben,
die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichſt dauerhaft
zu feſtigen. Ich bin in confeſſioneller Beziehung jeder Zeit tolerant
geweſen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zu¬
ſammenlebens verſchiedener Bekenntniſſe in demſelben ſtaatlichen
Organismus den Anſprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht.
Die therapeutiſche Behandlung der katholiſchen Kirche in einem
weltlichen Staate iſt aber dadurch erſchwert, daß die katholiſche
Geiſtlichkeit, wenn ſie ihren theoretiſchen Beruf voll erfüllen will,
über das kirchliche Gebiet hinaus den Anſpruch auf Betheiligung
an weltlicher Herrſchaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen
eine politiſche Inſtitution iſt und auf ihre Mitarbeiter die eigne
Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrſchaft
beſteht, und daß die Kirche überall, wo ſie nicht herrſcht, berechtigt
iſt, über Diocletianiſche Verfolgung zu klagen.
In dieſem Sinne hatte ich einige Auseinanderſetzungen mit
Herrn von Ketteler bezüglich ſeines genauer accentuirten Anſpruchs
auf ein verfaſſungsmäßiges Recht ſeiner Kirche, das heißt der Geiſt¬
lichkeit, auf Verfügung über den weltlichen Arm. Er verwandte
in ſeinen politiſchen Argumenten auch das mehr ad hominem
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