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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Gortschakows Haltung auf dem Berliner Congreß.
damaligen russischen Kaiserin, den Prinzen von Battenberg, in un¬
sichre Hände gab, war eine Entwicklung, die auf dem Berliner
Congresse nicht vorausgesehn werden konnte. Der Prinz von Batten¬
berg war der russische Candidat für Bulgarien, und bei seiner nahen
Verwandschaft mit dem Kaiserhause war auch anzunehmen, daß
diese Beziehungen dauerhaft und haltbar sein würden. Der Kaiser
Alexander III. erklärte sich den Abfall seines Vetters einfach mit
dessen polnischer Abstammung: "Polskaja mat" war sein erster
Ausruf bei der Enttäuschung über das Verhalten seines Vetters.

Die russische Entrüstung über das Ergebniß des Berliner
Congresses war eine der Erscheinungen, die bei einer dem Volk so
wenig verständlichen Presse, wie es die russische in auswärtigen
Beziehungen ist, und bei dem Zwange, der auf sie mit Leichtigkeit
geübt wird, sich im Widerspruche mit aller Wahrheit und Vernunft
ermöglichen ließ. Die ganzen Gortschakowschen Einflüsse, die er,
angespornt durch Aerger und Neid über seinen frühern Mitarbeiter,
den deutschen Reichskanzler, in Rußland übte, unterstützt von fran¬
zösischen Gesinnungsgenossen und ihren französischen Verschwäge¬
rungen (Wannowski, Obrutschew) waren stark genug, um in der
Presse, die Moskauer Wedomosti an der Spitze, einen Schein von
Entrüstung herzustellen über die Schädigung, welche Rußland auf
dem Berliner Congresse durch deutsche Untreue erlitten hätte. Nun
ist auf dem Berliner Congresse kein russischer Wunsch ausgesprochen
worden, den Deutschland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter
Umständen durch energisches Auftreten bei dem englischen Premier¬
minister, obschon letztrer krank und bettlägerig war. Anstatt hier¬
für dankbar zu sein, fand man es der russischen Politik entsprechend,
unter Führung des lebensmüden, aber immer noch krankhaft eitlen
Fürsten Gortschakow und der Moskauer Blätter, an der weitern
Entfremdung zwischen Rußland und Deutschland fortzuarbeiten, für
die weder im Interesse des einen noch des andern dieser großen
Nachbarreiche das mindeste Bedürfniß vorliegt. Wir beneiden uns
nichts und haben nichts von einander zu gewinnen, was wir brauchen

Gortſchakows Haltung auf dem Berliner Congreß.
damaligen ruſſiſchen Kaiſerin, den Prinzen von Battenberg, in un¬
ſichre Hände gab, war eine Entwicklung, die auf dem Berliner
Congreſſe nicht vorausgeſehn werden konnte. Der Prinz von Batten¬
berg war der ruſſiſche Candidat für Bulgarien, und bei ſeiner nahen
Verwandſchaft mit dem Kaiſerhauſe war auch anzunehmen, daß
dieſe Beziehungen dauerhaft und haltbar ſein würden. Der Kaiſer
Alexander III. erklärte ſich den Abfall ſeines Vetters einfach mit
deſſen polniſcher Abſtammung: „Polskaja mat“ war ſein erſter
Ausruf bei der Enttäuſchung über das Verhalten ſeines Vetters.

Die ruſſiſche Entrüſtung über das Ergebniß des Berliner
Congreſſes war eine der Erſcheinungen, die bei einer dem Volk ſo
wenig verſtändlichen Preſſe, wie es die ruſſiſche in auswärtigen
Beziehungen iſt, und bei dem Zwange, der auf ſie mit Leichtigkeit
geübt wird, ſich im Widerſpruche mit aller Wahrheit und Vernunft
ermöglichen ließ. Die ganzen Gortſchakowſchen Einflüſſe, die er,
angeſpornt durch Aerger und Neid über ſeinen frühern Mitarbeiter,
den deutſchen Reichskanzler, in Rußland übte, unterſtützt von fran¬
zöſiſchen Geſinnungsgenoſſen und ihren franzöſiſchen Verſchwäge¬
rungen (Wannowſki, Obrutſchew) waren ſtark genug, um in der
Preſſe, die Moskauer Wedomoſti an der Spitze, einen Schein von
Entrüſtung herzuſtellen über die Schädigung, welche Rußland auf
dem Berliner Congreſſe durch deutſche Untreue erlitten hätte. Nun
iſt auf dem Berliner Congreſſe kein ruſſiſcher Wunſch ausgeſprochen
worden, den Deutſchland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter
Umſtänden durch energiſches Auftreten bei dem engliſchen Premier¬
miniſter, obſchon letztrer krank und bettlägerig war. Anſtatt hier¬
für dankbar zu ſein, fand man es der ruſſiſchen Politik entſprechend,
unter Führung des lebensmüden, aber immer noch krankhaft eitlen
Fürſten Gortſchakow und der Moskauer Blätter, an der weitern
Entfremdung zwiſchen Rußland und Deutſchland fortzuarbeiten, für
die weder im Intereſſe des einen noch des andern dieſer großen
Nachbarreiche das mindeſte Bedürfniß vorliegt. Wir beneiden uns
nichts und haben nichts von einander zu gewinnen, was wir brauchen

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[107/0131] Gortſchakows Haltung auf dem Berliner Congreß. damaligen ruſſiſchen Kaiſerin, den Prinzen von Battenberg, in un¬ ſichre Hände gab, war eine Entwicklung, die auf dem Berliner Congreſſe nicht vorausgeſehn werden konnte. Der Prinz von Batten¬ berg war der ruſſiſche Candidat für Bulgarien, und bei ſeiner nahen Verwandſchaft mit dem Kaiſerhauſe war auch anzunehmen, daß dieſe Beziehungen dauerhaft und haltbar ſein würden. Der Kaiſer Alexander III. erklärte ſich den Abfall ſeines Vetters einfach mit deſſen polniſcher Abſtammung: „Polskaja mat“ war ſein erſter Ausruf bei der Enttäuſchung über das Verhalten ſeines Vetters. Die ruſſiſche Entrüſtung über das Ergebniß des Berliner Congreſſes war eine der Erſcheinungen, die bei einer dem Volk ſo wenig verſtändlichen Preſſe, wie es die ruſſiſche in auswärtigen Beziehungen iſt, und bei dem Zwange, der auf ſie mit Leichtigkeit geübt wird, ſich im Widerſpruche mit aller Wahrheit und Vernunft ermöglichen ließ. Die ganzen Gortſchakowſchen Einflüſſe, die er, angeſpornt durch Aerger und Neid über ſeinen frühern Mitarbeiter, den deutſchen Reichskanzler, in Rußland übte, unterſtützt von fran¬ zöſiſchen Geſinnungsgenoſſen und ihren franzöſiſchen Verſchwäge¬ rungen (Wannowſki, Obrutſchew) waren ſtark genug, um in der Preſſe, die Moskauer Wedomoſti an der Spitze, einen Schein von Entrüſtung herzuſtellen über die Schädigung, welche Rußland auf dem Berliner Congreſſe durch deutſche Untreue erlitten hätte. Nun iſt auf dem Berliner Congreſſe kein ruſſiſcher Wunſch ausgeſprochen worden, den Deutſchland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter Umſtänden durch energiſches Auftreten bei dem engliſchen Premier¬ miniſter, obſchon letztrer krank und bettlägerig war. Anſtatt hier¬ für dankbar zu ſein, fand man es der ruſſiſchen Politik entſprechend, unter Führung des lebensmüden, aber immer noch krankhaft eitlen Fürſten Gortſchakow und der Moskauer Blätter, an der weitern Entfremdung zwiſchen Rußland und Deutſchland fortzuarbeiten, für die weder im Intereſſe des einen noch des andern dieſer großen Nachbarreiche das mindeſte Bedürfniß vorliegt. Wir beneiden uns nichts und haben nichts von einander zu gewinnen, was wir brauchen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/131>, abgerufen am 23.11.2024.