Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. doivent accabler le vaincu 1). Daß die Gefühle der Franzosenüber die erlittene Niederlage heut uns gegenüber weniger bitter sein würden, wenn die Neutralen uns genöthigt hätten, uns mit weniger zu begnügen, das wird ein so guter Kenner der französi¬ schen Geschichte und des französischen Nationalcharakters, wie der Graf Beust, schwerlich geglaubt haben. Eine Einmischung konnte nur die Tendenz haben, uns Deutschen 1) Depesche an Graf Chotek vom 12. October, Beust a. a. O. II 397.
Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles. doivent accabler le vaincu 1). Daß die Gefühle der Franzoſenüber die erlittene Niederlage heut uns gegenüber weniger bitter ſein würden, wenn die Neutralen uns genöthigt hätten, uns mit weniger zu begnügen, das wird ein ſo guter Kenner der franzöſi¬ ſchen Geſchichte und des franzöſiſchen Nationalcharakters, wie der Graf Beuſt, ſchwerlich geglaubt haben. Eine Einmiſchung konnte nur die Tendenz haben, uns Deutſchen 1) Depeſche an Graf Chotek vom 12. October, Beuſt a. a. O. II 397.
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Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
doivent accabler le vaincu 1). Daß die Gefühle der Franzoſen
über die erlittene Niederlage heut uns gegenüber weniger bitter
ſein würden, wenn die Neutralen uns genöthigt hätten, uns mit
weniger zu begnügen, das wird ein ſo guter Kenner der franzöſi¬
ſchen Geſchichte und des franzöſiſchen Nationalcharakters, wie der
Graf Beuſt, ſchwerlich geglaubt haben.
Eine Einmiſchung konnte nur die Tendenz haben, uns Deutſchen
den Siegespreis vermittelſt eines Congreſſes zu beſchneiden. Dieſe
mich Tag und Nacht beunruhigende Gefahr erzeugte in mir das
Bedürfniß, den Friedensſchluß zu beſchleunigen, um ihn ohne Ein¬
miſchung der Neutralen herſtellen zu können. Daß dies vor der
Eroberung von Paris nicht thunlich ſein würde, ließ ſich nach dem
herkömmlichen Vorgewicht der Hauptſtadt in Frankreich voraus¬
ſehn. So lange Paris ſich hielt, war auch von den leitenden
Kreiſen in Tours und Bordeaux und von den Provinzen nicht
anzunehmen, daß ſie die Hoffnung auf einen Umſchwung aufgeben
würden, mochte derſelbe von neuen levées en masse, wie ſie in
der Schlacht an der Liſaine zur Geltung kamen, oder von der
endlichen „Auffindung Europas“, oder von dem Glanznebel er¬
wartet werden, der die engliſchen reſp. weſtmächtlichen Schlag¬
worte: „Humanität, Civiliſation“ in deutſchen, namentlich weib¬
lichen Gemüthern an großen Höfen umgab — ſo lange bot ſich
an den auswärtigen Höfen, die über die Situation in Frank¬
reich doch mehr durch franzöſiſche als durch deutſche Berichte
orientirt waren, die Möglichkeit, den Franzoſen in ihrem Friedens¬
ſchluſſe beiſtändig zu ſein. Für mich ſpitzte ſich daher meine Auf¬
gabe dahin zu, mit Frankreich abzuſchließen, bevor eine Verſtändi¬
gung der neutralen Mächte über ihre Einflußnahme auf den Frieden
zu Stande gekommen wäre, grade ſo, wie es 1866 unſer Be¬
dürfniß war, mit Oeſtreich abzuſchließen, bevor franzöſiſche Ein¬
miſchung in Süddeutſchland wirkſam werden konnte.
1) Depeſche an Graf Chotek vom 12. October, Beuſt a. a. O. II 397.
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