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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Wechselbeziehung zwischen Heeresleitung und Diplomatie.
erforderlich, die dem Militär nicht geläufig zu sein brauchen, In¬
formationen, die ihm nicht zugänglich sein können. Die Verhand¬
lungen in Nikolsburg 1866 beweisen, daß die Frage von Krieg
und Frieden auch im Kriege stets zur Competenz des verantwort¬
lichen politischen Ministers gehört und nicht von der technischen
Armeeleitung entschieden werden kann; der competente Minister
aber kann dem Könige nur dann sachkundigen Rath ertheilen, wenn
er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der
Kriegführung hat.

Im fünften Kapitel ist der Plan zur Zerstückelung Ru߬
lands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunsen in
einer dem Minister von Manteuffel eingereichten Denkschrift in
aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte1). Den damals unmög¬
lichen Fall angenommen, daß der König für diese Utopie ge¬
wonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußischen Heere und
ihre etwaigen Verbündeten in siegreichem Vorschreiten waren, so
würde sich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben:
ob uns der weitre Erwerb polnischer Landstriche und Bevölke¬
rungen wünschenswerth sei, ob es nothwendig, die vorspringende
Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt russischer Heere weiter
nach Osten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Be¬
dürfnisse, im Westen den Druck zu beseitigen, den Straßburg
und die Weißenburger Linien auf Süddeutschland ausübten, ob
Warschau in polnischen Händen für uns unbequemer werden
könnte als in russischen. Das alles sind rein politische Fragen,
und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entscheidung einen voll¬
berechtigten Einfluß auf die Richtung, die Art, den Umfang der
Kriegführung hätte fordern, daß zwischen Diplomatie und Strategie
eine Wechselwirkung in Berathung des Monarchen hätte bestehn
müssen?

1) S. Bd. I 110 ff.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 7

Wechſelbeziehung zwiſchen Heeresleitung und Diplomatie.
erforderlich, die dem Militär nicht geläufig zu ſein brauchen, In¬
formationen, die ihm nicht zugänglich ſein können. Die Verhand¬
lungen in Nikolsburg 1866 beweiſen, daß die Frage von Krieg
und Frieden auch im Kriege ſtets zur Competenz des verantwort¬
lichen politiſchen Miniſters gehört und nicht von der techniſchen
Armeeleitung entſchieden werden kann; der competente Miniſter
aber kann dem Könige nur dann ſachkundigen Rath ertheilen, wenn
er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der
Kriegführung hat.

Im fünften Kapitel iſt der Plan zur Zerſtückelung Ru߬
lands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunſen in
einer dem Miniſter von Manteuffel eingereichten Denkſchrift in
aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte1). Den damals unmög¬
lichen Fall angenommen, daß der König für dieſe Utopie ge¬
wonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußiſchen Heere und
ihre etwaigen Verbündeten in ſiegreichem Vorſchreiten waren, ſo
würde ſich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben:
ob uns der weitre Erwerb polniſcher Landſtriche und Bevölke¬
rungen wünſchenswerth ſei, ob es nothwendig, die vorſpringende
Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt ruſſiſcher Heere weiter
nach Oſten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Be¬
dürfniſſe, im Weſten den Druck zu beſeitigen, den Straßburg
und die Weißenburger Linien auf Süddeutſchland ausübten, ob
Warſchau in polniſchen Händen für uns unbequemer werden
könnte als in ruſſiſchen. Das alles ſind rein politiſche Fragen,
und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entſcheidung einen voll¬
berechtigten Einfluß auf die Richtung, die Art, den Umfang der
Kriegführung hätte fordern, daß zwiſchen Diplomatie und Strategie
eine Wechſelwirkung in Berathung des Monarchen hätte beſtehn
müſſen?

1) S. Bd. I 110 ff.
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[97/0121] Wechſelbeziehung zwiſchen Heeresleitung und Diplomatie. erforderlich, die dem Militär nicht geläufig zu ſein brauchen, In¬ formationen, die ihm nicht zugänglich ſein können. Die Verhand¬ lungen in Nikolsburg 1866 beweiſen, daß die Frage von Krieg und Frieden auch im Kriege ſtets zur Competenz des verantwort¬ lichen politiſchen Miniſters gehört und nicht von der techniſchen Armeeleitung entſchieden werden kann; der competente Miniſter aber kann dem Könige nur dann ſachkundigen Rath ertheilen, wenn er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der Kriegführung hat. Im fünften Kapitel iſt der Plan zur Zerſtückelung Ru߬ lands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunſen in einer dem Miniſter von Manteuffel eingereichten Denkſchrift in aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte 1). Den damals unmög¬ lichen Fall angenommen, daß der König für dieſe Utopie ge¬ wonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußiſchen Heere und ihre etwaigen Verbündeten in ſiegreichem Vorſchreiten waren, ſo würde ſich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben: ob uns der weitre Erwerb polniſcher Landſtriche und Bevölke¬ rungen wünſchenswerth ſei, ob es nothwendig, die vorſpringende Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt ruſſiſcher Heere weiter nach Oſten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Be¬ dürfniſſe, im Weſten den Druck zu beſeitigen, den Straßburg und die Weißenburger Linien auf Süddeutſchland ausübten, ob Warſchau in polniſchen Händen für uns unbequemer werden könnte als in ruſſiſchen. Das alles ſind rein politiſche Fragen, und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entſcheidung einen voll¬ berechtigten Einfluß auf die Richtung, die Art, den Umfang der Kriegführung hätte fordern, daß zwiſchen Diplomatie und Strategie eine Wechſelwirkung in Berathung des Monarchen hätte beſtehn müſſen? 1) S. Bd. I 110 ff. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 7

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/121>, abgerufen am 27.11.2024.