Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870
mir gegenüber bei dem militärischen Boycott, wie man heut sagen
würde.

Wenn man die Theorie, welche der Generalstab mir gegen¬
über zur Anwendung brachte und die auch kriegswissenschaftlich ge¬
lehrt werden soll, so ausdrücken kann: der Minister der Aus¬
wärtigen Angelegenheiten kommt erst wieder zum Wort, wenn die
Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu schließen,
so liegt schon in dem doppelten Gesicht des Janus die Mahnung,
daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern
Richtungen zu sehn hat, als nach dem Kriegsschauplatze. Aufgabe
der Heeresleitung ist die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte;
Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingun¬
gen, die der von dem Staate verfolgten Politik entsprechen. Die
Feststellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg er¬
reicht werden sollen, die Berathung des Monarchen in Betreff
derselben ist und bleibt während des Krieges wie vor demselben
eine politische Aufgabe, und die Art ihrer Lösung kann nicht ohne
Einfluß auf die Art der Kriegführung sein. Die Wege und Mittel
der letztern werden immer davon abhängig sein, ob man das
schließlich gewonnene Resultat oder mehr oder weniger hat erreichen
wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf solche verzichten,
ob man Pfandbesitz und auf wie lange gewinnen will.

Noch schwerer wirkt in gleicher Richtung die Frage, ob und
aus welchen Motiven andre Mächte geneigt sein könnten, dem
Gegner zunächst diplomatisch, eventuell militärisch beizustehn, welche
Aussicht die Vertreter einer solchen Einmischung haben, an fremden
Höfen ihren Zweck zu erreichen, wie die Parteien sich gruppiren
würden, wenn es zu Conferenzen oder zu einem Congresse käme,
ob Gefahr vorhanden, daß aus der Einmischung der Neutralen sich
weitre Kriege entwickeln. Namentlich aber zu beurtheilen, wann
der richtige Moment eingetreten sei, den Uebergang vom Kriege
zum Frieden einzuleiten, dazu sind Kenntnisse der europäischen Lage

Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870
mir gegenüber bei dem militäriſchen Boycott, wie man heut ſagen
würde.

Wenn man die Theorie, welche der Generalſtab mir gegen¬
über zur Anwendung brachte und die auch kriegswiſſenſchaftlich ge¬
lehrt werden ſoll, ſo ausdrücken kann: der Miniſter der Aus¬
wärtigen Angelegenheiten kommt erſt wieder zum Wort, wenn die
Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu ſchließen,
ſo liegt ſchon in dem doppelten Geſicht des Janus die Mahnung,
daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern
Richtungen zu ſehn hat, als nach dem Kriegsſchauplatze. Aufgabe
der Heeresleitung iſt die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte;
Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingun¬
gen, die der von dem Staate verfolgten Politik entſprechen. Die
Feſtſtellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg er¬
reicht werden ſollen, die Berathung des Monarchen in Betreff
derſelben iſt und bleibt während des Krieges wie vor demſelben
eine politiſche Aufgabe, und die Art ihrer Löſung kann nicht ohne
Einfluß auf die Art der Kriegführung ſein. Die Wege und Mittel
der letztern werden immer davon abhängig ſein, ob man das
ſchließlich gewonnene Reſultat oder mehr oder weniger hat erreichen
wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf ſolche verzichten,
ob man Pfandbeſitz und auf wie lange gewinnen will.

Noch ſchwerer wirkt in gleicher Richtung die Frage, ob und
aus welchen Motiven andre Mächte geneigt ſein könnten, dem
Gegner zunächſt diplomatiſch, eventuell militäriſch beizuſtehn, welche
Ausſicht die Vertreter einer ſolchen Einmiſchung haben, an fremden
Höfen ihren Zweck zu erreichen, wie die Parteien ſich gruppiren
würden, wenn es zu Conferenzen oder zu einem Congreſſe käme,
ob Gefahr vorhanden, daß aus der Einmiſchung der Neutralen ſich
weitre Kriege entwickeln. Namentlich aber zu beurtheilen, wann
der richtige Moment eingetreten ſei, den Uebergang vom Kriege
zum Frieden einzuleiten, dazu ſind Kenntniſſe der europäiſchen Lage

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="96"/><fw place="top" type="header">Dreiundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Ver&#x017F;ailles.<lb/></fw>als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870<lb/>
mir gegenüber bei dem militäri&#x017F;chen Boycott, wie man heut &#x017F;agen<lb/>
würde.</p><lb/>
          <p>Wenn man die Theorie, welche der General&#x017F;tab mir gegen¬<lb/>
über zur Anwendung brachte und die auch kriegswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich ge¬<lb/>
lehrt werden &#x017F;oll, &#x017F;o ausdrücken kann: der Mini&#x017F;ter der Aus¬<lb/>
wärtigen Angelegenheiten kommt er&#x017F;t wieder zum Wort, wenn die<lb/>
Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu &#x017F;chließen,<lb/>
&#x017F;o liegt &#x017F;chon in dem doppelten Ge&#x017F;icht des Janus die Mahnung,<lb/>
daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern<lb/>
Richtungen zu &#x017F;ehn hat, als nach dem Kriegs&#x017F;chauplatze. Aufgabe<lb/>
der Heeresleitung i&#x017F;t die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte;<lb/>
Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingun¬<lb/>
gen, die der von dem Staate verfolgten Politik ent&#x017F;prechen. Die<lb/>
Fe&#x017F;t&#x017F;tellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg er¬<lb/>
reicht werden &#x017F;ollen, die Berathung des Monarchen in Betreff<lb/>
der&#x017F;elben i&#x017F;t und bleibt während des Krieges wie vor dem&#x017F;elben<lb/>
eine politi&#x017F;che Aufgabe, und die Art ihrer Lö&#x017F;ung kann nicht ohne<lb/>
Einfluß auf die Art der Kriegführung &#x017F;ein. Die Wege und Mittel<lb/>
der letztern werden immer davon abhängig &#x017F;ein, ob man das<lb/>
&#x017F;chließlich gewonnene Re&#x017F;ultat oder mehr oder weniger hat erreichen<lb/>
wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf &#x017F;olche verzichten,<lb/>
ob man Pfandbe&#x017F;itz und auf wie lange gewinnen will.</p><lb/>
          <p>Noch &#x017F;chwerer wirkt in gleicher Richtung die Frage, ob und<lb/>
aus welchen Motiven <hi rendition="#g">andre Mächte</hi> geneigt &#x017F;ein könnten, dem<lb/>
Gegner zunäch&#x017F;t diplomati&#x017F;ch, eventuell militäri&#x017F;ch beizu&#x017F;tehn, welche<lb/>
Aus&#x017F;icht die Vertreter einer &#x017F;olchen Einmi&#x017F;chung haben, an fremden<lb/>
Höfen ihren Zweck zu erreichen, wie die Parteien &#x017F;ich gruppiren<lb/>
würden, wenn es zu Conferenzen oder zu einem Congre&#x017F;&#x017F;e käme,<lb/>
ob Gefahr vorhanden, daß aus der Einmi&#x017F;chung der Neutralen &#x017F;ich<lb/>
weitre Kriege entwickeln. Namentlich aber zu beurtheilen, wann<lb/>
der richtige Moment eingetreten &#x017F;ei, den Uebergang vom Kriege<lb/>
zum Frieden einzuleiten, dazu &#x017F;ind Kenntni&#x017F;&#x017F;e der europäi&#x017F;chen Lage<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0120] Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles. als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870 mir gegenüber bei dem militäriſchen Boycott, wie man heut ſagen würde. Wenn man die Theorie, welche der Generalſtab mir gegen¬ über zur Anwendung brachte und die auch kriegswiſſenſchaftlich ge¬ lehrt werden ſoll, ſo ausdrücken kann: der Miniſter der Aus¬ wärtigen Angelegenheiten kommt erſt wieder zum Wort, wenn die Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu ſchließen, ſo liegt ſchon in dem doppelten Geſicht des Janus die Mahnung, daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern Richtungen zu ſehn hat, als nach dem Kriegsſchauplatze. Aufgabe der Heeresleitung iſt die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte; Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingun¬ gen, die der von dem Staate verfolgten Politik entſprechen. Die Feſtſtellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg er¬ reicht werden ſollen, die Berathung des Monarchen in Betreff derſelben iſt und bleibt während des Krieges wie vor demſelben eine politiſche Aufgabe, und die Art ihrer Löſung kann nicht ohne Einfluß auf die Art der Kriegführung ſein. Die Wege und Mittel der letztern werden immer davon abhängig ſein, ob man das ſchließlich gewonnene Reſultat oder mehr oder weniger hat erreichen wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf ſolche verzichten, ob man Pfandbeſitz und auf wie lange gewinnen will. Noch ſchwerer wirkt in gleicher Richtung die Frage, ob und aus welchen Motiven andre Mächte geneigt ſein könnten, dem Gegner zunächſt diplomatiſch, eventuell militäriſch beizuſtehn, welche Ausſicht die Vertreter einer ſolchen Einmiſchung haben, an fremden Höfen ihren Zweck zu erreichen, wie die Parteien ſich gruppiren würden, wenn es zu Conferenzen oder zu einem Congreſſe käme, ob Gefahr vorhanden, daß aus der Einmiſchung der Neutralen ſich weitre Kriege entwickeln. Namentlich aber zu beurtheilen, wann der richtige Moment eingetreten ſei, den Uebergang vom Kriege zum Frieden einzuleiten, dazu ſind Kenntniſſe der europäiſchen Lage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/120
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/120>, abgerufen am 27.11.2024.