Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit. reichs Leitung beschwichtigt, theils aus süddeutscher Vorliebe fürden alten Kaiserstaat, theils in dem Glauben an die militärische Ueberlegenheit desselben über Preußen. Nachdem die Ereignisse den Irrthum der Schätzung festgestellt hatten, war grade die Hülflosigkeit der süddeutschen Staaten, in der Oestreich sie bei dem Friedensschlusse gelassen hatte, ein Motiv für das politische Da¬ mascus, das zwischen Varnbülers "Vae Victis" zu dem bereit¬ willigen Abschlusse des Schutz- und Trutzbündnisses mit Preußen lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte germanische Kraft und die Anziehung, welche einer entschlossenen und tapfern Politik innewohnt, wenn sie Erfolg hat und dann sich in vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Diesen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im Volke Platz griff, daß die französische Insulte "La Prusse cane" einen thatsächlichen Hintergrund habe. In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864 Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit. reichs Leitung beſchwichtigt, theils aus ſüddeutſcher Vorliebe fürden alten Kaiſerſtaat, theils in dem Glauben an die militäriſche Ueberlegenheit deſſelben über Preußen. Nachdem die Ereigniſſe den Irrthum der Schätzung feſtgeſtellt hatten, war grade die Hülfloſigkeit der ſüddeutſchen Staaten, in der Oeſtreich ſie bei dem Friedensſchluſſe gelaſſen hatte, ein Motiv für das politiſche Da¬ mascus, das zwiſchen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereit¬ willigen Abſchluſſe des Schutz- und Trutzbündniſſes mit Preußen lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte germaniſche Kraft und die Anziehung, welche einer entſchloſſenen und tapfern Politik innewohnt, wenn ſie Erfolg hat und dann ſich in vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Dieſen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im Volke Platz griff, daß die franzöſiſche Inſulte „La Prusse cane“ einen thatſächlichen Hintergrund habe. In derſelben pſychologiſchen Auffaſſung, in welcher ich 1864 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="89"/><fw place="top" type="header">Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit.<lb/></fw> reichs Leitung beſchwichtigt, theils aus ſüddeutſcher Vorliebe für<lb/> den alten Kaiſerſtaat, theils in dem Glauben an die militäriſche<lb/> Ueberlegenheit deſſelben über Preußen. Nachdem die Ereigniſſe<lb/> den Irrthum der Schätzung feſtgeſtellt hatten, war grade die<lb/> Hülfloſigkeit der ſüddeutſchen Staaten, in der Oeſtreich ſie bei dem<lb/> Friedensſchluſſe gelaſſen hatte, ein Motiv für das politiſche Da¬<lb/> mascus, das zwiſchen Varnbülers „<hi rendition="#aq">Vae Victis</hi>“ zu dem bereit¬<lb/> willigen Abſchluſſe des Schutz- und Trutzbündniſſes mit Preußen<lb/> lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte<lb/> germaniſche Kraft und die Anziehung, welche einer entſchloſſenen und<lb/> tapfern Politik innewohnt, wenn ſie Erfolg hat und dann ſich in<lb/> vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Dieſen Nimbus hatte<lb/> Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit<lb/> verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im<lb/> Volke Platz griff, daß die franzöſiſche Inſulte „<hi rendition="#aq">La Prusse cane</hi>“<lb/> einen thatſächlichen Hintergrund habe.</p><lb/> <p>In derſelben pſychologiſchen Auffaſſung, in welcher ich 1864<lb/> im däniſchen Kriege aus politiſchen Gründen gewünſcht hatte, daß<lb/> nicht den altpreußiſchen, ſondern den weſtfäliſchen Bataillonen, die<lb/> bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußiſcher Füh¬<lb/> rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelaſſen werde,<lb/> und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunſche<lb/> entgegen gehandelt hatte, in derſelben Auffaſſung war ich über¬<lb/> zeugt, daß die Kluft, die die Verſchiedenheit des dynaſtiſchen und<lb/> Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwiſchen dem Süden<lb/> und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geſchichte geſchaffen<lb/> hatte, nicht wirkſamer überbrückt werden könne als durch einen<lb/> gemeinſamen nationalen Krieg gegen den ſeit Jahrhunderten<lb/> aggreſſiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß ſchon in dem kurzen<lb/> Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle<lb/> Alliance, der gemeinſame und ſiegreiche Kampf gegen Frankreich<lb/> die Beſeitigung des Gegenſatzes ermöglicht hatte zwiſchen einer<lb/> hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutſchen Auf¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [89/0113]
Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit.
reichs Leitung beſchwichtigt, theils aus ſüddeutſcher Vorliebe für
den alten Kaiſerſtaat, theils in dem Glauben an die militäriſche
Ueberlegenheit deſſelben über Preußen. Nachdem die Ereigniſſe
den Irrthum der Schätzung feſtgeſtellt hatten, war grade die
Hülfloſigkeit der ſüddeutſchen Staaten, in der Oeſtreich ſie bei dem
Friedensſchluſſe gelaſſen hatte, ein Motiv für das politiſche Da¬
mascus, das zwiſchen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereit¬
willigen Abſchluſſe des Schutz- und Trutzbündniſſes mit Preußen
lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte
germaniſche Kraft und die Anziehung, welche einer entſchloſſenen und
tapfern Politik innewohnt, wenn ſie Erfolg hat und dann ſich in
vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Dieſen Nimbus hatte
Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit
verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im
Volke Platz griff, daß die franzöſiſche Inſulte „La Prusse cane“
einen thatſächlichen Hintergrund habe.
In derſelben pſychologiſchen Auffaſſung, in welcher ich 1864
im däniſchen Kriege aus politiſchen Gründen gewünſcht hatte, daß
nicht den altpreußiſchen, ſondern den weſtfäliſchen Bataillonen, die
bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußiſcher Füh¬
rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelaſſen werde,
und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunſche
entgegen gehandelt hatte, in derſelben Auffaſſung war ich über¬
zeugt, daß die Kluft, die die Verſchiedenheit des dynaſtiſchen und
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwiſchen dem Süden
und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geſchichte geſchaffen
hatte, nicht wirkſamer überbrückt werden könne als durch einen
gemeinſamen nationalen Krieg gegen den ſeit Jahrhunderten
aggreſſiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß ſchon in dem kurzen
Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle
Alliance, der gemeinſame und ſiegreiche Kampf gegen Frankreich
die Beſeitigung des Gegenſatzes ermöglicht hatte zwiſchen einer
hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutſchen Auf¬
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