Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit.
reichs Leitung beschwichtigt, theils aus süddeutscher Vorliebe für
den alten Kaiserstaat, theils in dem Glauben an die militärische
Ueberlegenheit desselben über Preußen. Nachdem die Ereignisse
den Irrthum der Schätzung festgestellt hatten, war grade die
Hülflosigkeit der süddeutschen Staaten, in der Oestreich sie bei dem
Friedensschlusse gelassen hatte, ein Motiv für das politische Da¬
mascus, das zwischen Varnbülers "Vae Victis" zu dem bereit¬
willigen Abschlusse des Schutz- und Trutzbündnisses mit Preußen
lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte
germanische Kraft und die Anziehung, welche einer entschlossenen und
tapfern Politik innewohnt, wenn sie Erfolg hat und dann sich in
vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Diesen Nimbus hatte
Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit
verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im
Volke Platz griff, daß die französische Insulte "La Prusse cane"
einen thatsächlichen Hintergrund habe.

In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864
im dänischen Kriege aus politischen Gründen gewünscht hatte, daß
nicht den altpreußischen, sondern den westfälischen Bataillonen, die
bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußischer Füh¬
rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelassen werde,
und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunsche
entgegen gehandelt hatte, in derselben Auffassung war ich über¬
zeugt, daß die Kluft, die die Verschiedenheit des dynastischen und
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwischen dem Süden
und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geschichte geschaffen
hatte, nicht wirksamer überbrückt werden könne als durch einen
gemeinsamen nationalen Krieg gegen den seit Jahrhunderten
aggressiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß schon in dem kurzen
Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle
Alliance, der gemeinsame und siegreiche Kampf gegen Frankreich
die Beseitigung des Gegensatzes ermöglicht hatte zwischen einer
hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutschen Auf¬

Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit.
reichs Leitung beſchwichtigt, theils aus ſüddeutſcher Vorliebe für
den alten Kaiſerſtaat, theils in dem Glauben an die militäriſche
Ueberlegenheit deſſelben über Preußen. Nachdem die Ereigniſſe
den Irrthum der Schätzung feſtgeſtellt hatten, war grade die
Hülfloſigkeit der ſüddeutſchen Staaten, in der Oeſtreich ſie bei dem
Friedensſchluſſe gelaſſen hatte, ein Motiv für das politiſche Da¬
mascus, das zwiſchen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereit¬
willigen Abſchluſſe des Schutz- und Trutzbündniſſes mit Preußen
lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte
germaniſche Kraft und die Anziehung, welche einer entſchloſſenen und
tapfern Politik innewohnt, wenn ſie Erfolg hat und dann ſich in
vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Dieſen Nimbus hatte
Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit
verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im
Volke Platz griff, daß die franzöſiſche Inſulte „La Prusse cane
einen thatſächlichen Hintergrund habe.

In derſelben pſychologiſchen Auffaſſung, in welcher ich 1864
im däniſchen Kriege aus politiſchen Gründen gewünſcht hatte, daß
nicht den altpreußiſchen, ſondern den weſtfäliſchen Bataillonen, die
bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußiſcher Füh¬
rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelaſſen werde,
und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunſche
entgegen gehandelt hatte, in derſelben Auffaſſung war ich über¬
zeugt, daß die Kluft, die die Verſchiedenheit des dynaſtiſchen und
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwiſchen dem Süden
und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geſchichte geſchaffen
hatte, nicht wirkſamer überbrückt werden könne als durch einen
gemeinſamen nationalen Krieg gegen den ſeit Jahrhunderten
aggreſſiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß ſchon in dem kurzen
Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle
Alliance, der gemeinſame und ſiegreiche Kampf gegen Frankreich
die Beſeitigung des Gegenſatzes ermöglicht hatte zwiſchen einer
hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutſchen Auf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="89"/><fw place="top" type="header">Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit.<lb/></fw> reichs Leitung be&#x017F;chwichtigt, theils aus &#x017F;üddeut&#x017F;cher Vorliebe für<lb/>
den alten Kai&#x017F;er&#x017F;taat, theils in dem Glauben an die militäri&#x017F;che<lb/>
Ueberlegenheit de&#x017F;&#x017F;elben über Preußen. Nachdem die Ereigni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
den Irrthum der Schätzung fe&#x017F;tge&#x017F;tellt hatten, war grade die<lb/>
Hülflo&#x017F;igkeit der &#x017F;üddeut&#x017F;chen Staaten, in der Oe&#x017F;treich &#x017F;ie bei dem<lb/>
Friedens&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e gela&#x017F;&#x017F;en hatte, ein Motiv für das politi&#x017F;che Da¬<lb/>
mascus, das zwi&#x017F;chen Varnbülers &#x201E;<hi rendition="#aq">Vae Victis</hi>&#x201C; zu dem bereit¬<lb/>
willigen Ab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Schutz- und Trutzbündni&#x017F;&#x017F;es mit Preußen<lb/>
lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte<lb/>
germani&#x017F;che Kraft und die Anziehung, welche einer ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen und<lb/>
tapfern Politik innewohnt, wenn &#x017F;ie Erfolg hat und dann &#x017F;ich in<lb/>
vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Die&#x017F;en Nimbus hatte<lb/>
Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit<lb/>
verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im<lb/>
Volke Platz griff, daß die franzö&#x017F;i&#x017F;che In&#x017F;ulte &#x201E;<hi rendition="#aq">La Prusse cane</hi>&#x201C;<lb/>
einen that&#x017F;ächlichen Hintergrund habe.</p><lb/>
        <p>In der&#x017F;elben p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Auffa&#x017F;&#x017F;ung, in welcher ich 1864<lb/>
im däni&#x017F;chen Kriege aus politi&#x017F;chen Gründen gewün&#x017F;cht hatte, daß<lb/>
nicht den altpreußi&#x017F;chen, &#x017F;ondern den we&#x017F;tfäli&#x017F;chen Bataillonen, die<lb/>
bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußi&#x017F;cher Füh¬<lb/>
rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gela&#x017F;&#x017F;en werde,<lb/>
und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wun&#x017F;che<lb/>
entgegen gehandelt hatte, in der&#x017F;elben Auffa&#x017F;&#x017F;ung war ich über¬<lb/>
zeugt, daß die Kluft, die die Ver&#x017F;chiedenheit des dyna&#x017F;ti&#x017F;chen und<lb/>
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwi&#x017F;chen dem Süden<lb/>
und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Ge&#x017F;chichte ge&#x017F;chaffen<lb/>
hatte, nicht wirk&#x017F;amer überbrückt werden könne als durch einen<lb/>
gemein&#x017F;amen nationalen Krieg gegen den &#x017F;eit Jahrhunderten<lb/>
aggre&#x017F;&#x017F;iven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß &#x017F;chon in dem kurzen<lb/>
Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle<lb/>
Alliance, der gemein&#x017F;ame und &#x017F;iegreiche Kampf gegen Frankreich<lb/>
die Be&#x017F;eitigung des Gegen&#x017F;atzes ermöglicht hatte zwi&#x017F;chen einer<lb/>
hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeut&#x017F;chen Auf¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0113] Der Krieg eine nationale Nothwendigkeit. reichs Leitung beſchwichtigt, theils aus ſüddeutſcher Vorliebe für den alten Kaiſerſtaat, theils in dem Glauben an die militäriſche Ueberlegenheit deſſelben über Preußen. Nachdem die Ereigniſſe den Irrthum der Schätzung feſtgeſtellt hatten, war grade die Hülfloſigkeit der ſüddeutſchen Staaten, in der Oeſtreich ſie bei dem Friedensſchluſſe gelaſſen hatte, ein Motiv für das politiſche Da¬ mascus, das zwiſchen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereit¬ willigen Abſchluſſe des Schutz- und Trutzbündniſſes mit Preußen lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte germaniſche Kraft und die Anziehung, welche einer entſchloſſenen und tapfern Politik innewohnt, wenn ſie Erfolg hat und dann ſich in vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Dieſen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im Volke Platz griff, daß die franzöſiſche Inſulte „La Prusse cane“ einen thatſächlichen Hintergrund habe. In derſelben pſychologiſchen Auffaſſung, in welcher ich 1864 im däniſchen Kriege aus politiſchen Gründen gewünſcht hatte, daß nicht den altpreußiſchen, ſondern den weſtfäliſchen Bataillonen, die bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußiſcher Füh¬ rung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelaſſen werde, und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunſche entgegen gehandelt hatte, in derſelben Auffaſſung war ich über¬ zeugt, daß die Kluft, die die Verſchiedenheit des dynaſtiſchen und Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwiſchen dem Süden und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geſchichte geſchaffen hatte, nicht wirkſamer überbrückt werden könne als durch einen gemeinſamen nationalen Krieg gegen den ſeit Jahrhunderten aggreſſiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß ſchon in dem kurzen Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle Alliance, der gemeinſame und ſiegreiche Kampf gegen Frankreich die Beſeitigung des Gegenſatzes ermöglicht hatte zwiſchen einer hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutſchen Auf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/113
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/113>, abgerufen am 23.11.2024.