Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
girung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger
Blick in das hiesige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt
habe. Der Adreßentwurf nennt diese Zeit eine große; ich habe
hier nichts Großes gefunden als persönliche Ehrsucht, nichts Großes
als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das sind drei
Größen, die in meinem Urtheile diese Zeit zu einer kleinlichen
stempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unsre
Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreisen, die
ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große
Worte, bei denen sich Jeder das Seine denkt. Von dem Ver¬
trauen, das das Land beseelt, von dem hingebenden Vertrauen,
gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majestät den König,
gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Ministerium,
welches ihm zwei Jahre lang vorsteht, gut gefahren ist, habe ich
in der Adresse und in ihren Amendements nichts gespürt. Ich
hätte dies um so nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß schien,
daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in
Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Ein¬
heit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke,
wo uns unsre Nachbarn in Waffen gegenüberstehn, wo wir in
Waffen nach unsern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein
Geist des Vertrauens selbst in solchen herrscht, denen er sonst nicht
angebracht schien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adresse,
welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem
Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug
einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militärische
Promenade durch unruhige Provinzen, sondern einen Krieg in
großem Maßstabe gegen zwei unter den drei großen Continental¬
mächten, während die dritte beutelustig an unsern Grenzen rüstet
und sehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden
ist, welches geeignet wäre, die französische Revolution zu schließen
und die dortigen Machthaber zu befestigen, nämlich die französische
Kaiserkrone. ...

Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
girung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger
Blick in das hieſige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt
habe. Der Adreßentwurf nennt dieſe Zeit eine große; ich habe
hier nichts Großes gefunden als perſönliche Ehrſucht, nichts Großes
als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das ſind drei
Größen, die in meinem Urtheile dieſe Zeit zu einer kleinlichen
ſtempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unſre
Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreiſen, die
ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große
Worte, bei denen ſich Jeder das Seine denkt. Von dem Ver¬
trauen, das das Land beſeelt, von dem hingebenden Vertrauen,
gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majeſtät den König,
gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Miniſterium,
welches ihm zwei Jahre lang vorſteht, gut gefahren iſt, habe ich
in der Adreſſe und in ihren Amendements nichts geſpürt. Ich
hätte dies um ſo nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß ſchien,
daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in
Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Ein¬
heit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke,
wo uns unſre Nachbarn in Waffen gegenüberſtehn, wo wir in
Waffen nach unſern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein
Geiſt des Vertrauens ſelbſt in ſolchen herrſcht, denen er ſonſt nicht
angebracht ſchien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adreſſe,
welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem
Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug
einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militäriſche
Promenade durch unruhige Provinzen, ſondern einen Krieg in
großem Maßſtabe gegen zwei unter den drei großen Continental¬
mächten, während die dritte beuteluſtig an unſern Grenzen rüſtet
und ſehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden
iſt, welches geeignet wäre, die franzöſiſche Revolution zu ſchließen
und die dortigen Machthaber zu befeſtigen, nämlich die franzöſiſche
Kaiſerkrone. ...

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="72"/><fw place="top" type="header">Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.<lb/></fw> girung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger<lb/>
Blick in das hie&#x017F;ige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt<lb/>
habe. Der Adreßentwurf nennt die&#x017F;e Zeit eine große; ich habe<lb/>
hier nichts Großes gefunden als per&#x017F;önliche Ehr&#x017F;ucht, nichts Großes<lb/>
als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das &#x017F;ind drei<lb/>
Größen, die in meinem Urtheile die&#x017F;e Zeit zu einer kleinlichen<lb/>
&#x017F;tempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in un&#x017F;re<lb/>
Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Krei&#x017F;en, die<lb/>
ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große<lb/>
Worte, bei denen &#x017F;ich Jeder das Seine denkt. Von dem Ver¬<lb/>
trauen, das das Land be&#x017F;eelt, von dem hingebenden Vertrauen,<lb/>
gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Maje&#x017F;tät den König,<lb/>
gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Mini&#x017F;terium,<lb/>
welches ihm zwei Jahre lang vor&#x017F;teht, gut gefahren i&#x017F;t, habe ich<lb/>
in der Adre&#x017F;&#x017F;e und in ihren Amendements nichts ge&#x017F;pürt. Ich<lb/>
hätte dies um &#x017F;o nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß &#x017F;chien,<lb/>
daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in<lb/>
Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Ein¬<lb/>
heit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke,<lb/>
wo uns un&#x017F;re Nachbarn in Waffen gegenüber&#x017F;tehn, wo wir in<lb/>
Waffen nach un&#x017F;ern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein<lb/>
Gei&#x017F;t des Vertrauens &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;olchen herr&#x017F;cht, denen er &#x017F;on&#x017F;t nicht<lb/>
angebracht &#x017F;chien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adre&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem<lb/>
Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug<lb/>
einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militäri&#x017F;che<lb/>
Promenade durch unruhige Provinzen, &#x017F;ondern einen Krieg in<lb/>
großem Maß&#x017F;tabe gegen zwei unter den drei großen Continental¬<lb/>
mächten, während die dritte beutelu&#x017F;tig an un&#x017F;ern Grenzen rü&#x017F;tet<lb/>
und &#x017F;ehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden<lb/>
i&#x017F;t, welches geeignet wäre, die franzö&#x017F;i&#x017F;che Revolution zu &#x017F;chließen<lb/>
und die dortigen Machthaber zu befe&#x017F;tigen, nämlich die franzö&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Kai&#x017F;erkrone. ...</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0099] Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. girung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger Blick in das hieſige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt habe. Der Adreßentwurf nennt dieſe Zeit eine große; ich habe hier nichts Großes gefunden als perſönliche Ehrſucht, nichts Großes als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das ſind drei Größen, die in meinem Urtheile dieſe Zeit zu einer kleinlichen ſtempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unſre Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreiſen, die ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große Worte, bei denen ſich Jeder das Seine denkt. Von dem Ver¬ trauen, das das Land beſeelt, von dem hingebenden Vertrauen, gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majeſtät den König, gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Miniſterium, welches ihm zwei Jahre lang vorſteht, gut gefahren iſt, habe ich in der Adreſſe und in ihren Amendements nichts geſpürt. Ich hätte dies um ſo nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß ſchien, daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Ein¬ heit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke, wo uns unſre Nachbarn in Waffen gegenüberſtehn, wo wir in Waffen nach unſern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein Geiſt des Vertrauens ſelbſt in ſolchen herrſcht, denen er ſonſt nicht angebracht ſchien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adreſſe, welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militäriſche Promenade durch unruhige Provinzen, ſondern einen Krieg in großem Maßſtabe gegen zwei unter den drei großen Continental¬ mächten, während die dritte beuteluſtig an unſern Grenzen rüſtet und ſehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden iſt, welches geeignet wäre, die franzöſiſche Revolution zu ſchließen und die dortigen Machthaber zu befeſtigen, nämlich die franzöſiſche Kaiſerkrone. ...

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/99
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/99>, abgerufen am 10.05.2024.