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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Mangelnde Kriegsbereitschaft Preußens.
in zwei Centren außerhalb der Hauptstadt, etwa in Danzig und
in Westfalen, mobilisiren; vorwärts Berlin können wir erst in
14 Tagen etwa 70000 Mann haben, und auch die würden
nicht reichen gegen die Streitkräfte, die Oestreich jetzt schon gegen
uns in Bereitschaft hat." Es sei, fuhr er fort, vor Allem nöthig,
wenn wir schlagen wollten, Zeit zu gewinnen, und deshalb zu
wünschen, daß die bevorstehenden Verhandlungen im Abgeordneten¬
hause nicht den Bruch beschleunigten durch Erörterungen und Be¬
schlüsse, wie man sich deren nach den herrschenden Stimmen in der
Presse versehn müsse. Er bäte mich daher, in Berlin zu bleiben und
auf die bereits anwesenden und nächstens eintreffenden befreun¬
deten Abgeordneten vertraulich im Sinne der Mäßigung einzu¬
wirken. Er klagte über die Verzettelung der Stämme, die in ihrer
Friedensformation ausgerückt und verwendet wären und sich nun
fern von ihren Ersatzbezirken und Zeughäusern befänden, theils im
Inlande, zum großen Theil aber im Südwesten Deutschlands, also
in Oertlichkeiten, wo eine schleunige Mobilmachung auf Kriegsfuß
sich schwer ausführen lasse1).

Die badischen Truppen hatte man damals auf wenig gang¬
baren Wegen mit Benutzung des braunschweigischen Weserdistricts
nach Preußen kommen lassen -- ein Beweis von der Aengstlichkeit,
mit welcher man damals die Gebietsgrenzen der Bundesfürsten
respectirte, während sonstige Attribute ihrer Landeshoheit in den
Verfassungsentwürfen für das Reich und den Dreikönigsbund mit
Leichtigkeit ignorirt oder abgeschafft wurden. Man ging in den
Entwürfen bis nahe an die Mediatisirung, aber man wagte nicht,
ein Marschquartier außerhalb der vertragsmäßig vorhandenen
Etappenstraßen zu beanspruchen. Erst bei Ausbruch des dänischen
Krieges 1864 wurde in Schwartau mit dieser schüchternen Tradi¬

1) Vgl. die Reichstagsrede Bismarck's vom 24. Januar 1882, Politische
Reden IX 234; diese Mittheilungen geben den Schlüssel zum richtigen Ver¬
ständniß der Rede vom 3. December 1850.

Mangelnde Kriegsbereitſchaft Preußens.
in zwei Centren außerhalb der Hauptſtadt, etwa in Danzig und
in Weſtfalen, mobiliſiren; vorwärts Berlin können wir erſt in
14 Tagen etwa 70000 Mann haben, und auch die würden
nicht reichen gegen die Streitkräfte, die Oeſtreich jetzt ſchon gegen
uns in Bereitſchaft hat.“ Es ſei, fuhr er fort, vor Allem nöthig,
wenn wir ſchlagen wollten, Zeit zu gewinnen, und deshalb zu
wünſchen, daß die bevorſtehenden Verhandlungen im Abgeordneten¬
hauſe nicht den Bruch beſchleunigten durch Erörterungen und Be¬
ſchlüſſe, wie man ſich deren nach den herrſchenden Stimmen in der
Preſſe verſehn müſſe. Er bäte mich daher, in Berlin zu bleiben und
auf die bereits anweſenden und nächſtens eintreffenden befreun¬
deten Abgeordneten vertraulich im Sinne der Mäßigung einzu¬
wirken. Er klagte über die Verzettelung der Stämme, die in ihrer
Friedensformation ausgerückt und verwendet wären und ſich nun
fern von ihren Erſatzbezirken und Zeughäuſern befänden, theils im
Inlande, zum großen Theil aber im Südweſten Deutſchlands, alſo
in Oertlichkeiten, wo eine ſchleunige Mobilmachung auf Kriegsfuß
ſich ſchwer ausführen laſſe1).

Die badiſchen Truppen hatte man damals auf wenig gang¬
baren Wegen mit Benutzung des braunſchweigiſchen Weſerdiſtricts
nach Preußen kommen laſſen — ein Beweis von der Aengſtlichkeit,
mit welcher man damals die Gebietsgrenzen der Bundesfürſten
reſpectirte, während ſonſtige Attribute ihrer Landeshoheit in den
Verfaſſungsentwürfen für das Reich und den Dreikönigsbund mit
Leichtigkeit ignorirt oder abgeſchafft wurden. Man ging in den
Entwürfen bis nahe an die Mediatiſirung, aber man wagte nicht,
ein Marſchquartier außerhalb der vertragsmäßig vorhandenen
Etappenſtraßen zu beanſpruchen. Erſt bei Ausbruch des däniſchen
Krieges 1864 wurde in Schwartau mit dieſer ſchüchternen Tradi¬

1) Vgl. die Reichstagsrede Bismarck's vom 24. Januar 1882, Politiſche
Reden IX 234; dieſe Mittheilungen geben den Schlüſſel zum richtigen Ver¬
ſtändniß der Rede vom 3. December 1850.
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[69/0096] Mangelnde Kriegsbereitſchaft Preußens. in zwei Centren außerhalb der Hauptſtadt, etwa in Danzig und in Weſtfalen, mobiliſiren; vorwärts Berlin können wir erſt in 14 Tagen etwa 70000 Mann haben, und auch die würden nicht reichen gegen die Streitkräfte, die Oeſtreich jetzt ſchon gegen uns in Bereitſchaft hat.“ Es ſei, fuhr er fort, vor Allem nöthig, wenn wir ſchlagen wollten, Zeit zu gewinnen, und deshalb zu wünſchen, daß die bevorſtehenden Verhandlungen im Abgeordneten¬ hauſe nicht den Bruch beſchleunigten durch Erörterungen und Be¬ ſchlüſſe, wie man ſich deren nach den herrſchenden Stimmen in der Preſſe verſehn müſſe. Er bäte mich daher, in Berlin zu bleiben und auf die bereits anweſenden und nächſtens eintreffenden befreun¬ deten Abgeordneten vertraulich im Sinne der Mäßigung einzu¬ wirken. Er klagte über die Verzettelung der Stämme, die in ihrer Friedensformation ausgerückt und verwendet wären und ſich nun fern von ihren Erſatzbezirken und Zeughäuſern befänden, theils im Inlande, zum großen Theil aber im Südweſten Deutſchlands, alſo in Oertlichkeiten, wo eine ſchleunige Mobilmachung auf Kriegsfuß ſich ſchwer ausführen laſſe 1). Die badiſchen Truppen hatte man damals auf wenig gang¬ baren Wegen mit Benutzung des braunſchweigiſchen Weſerdiſtricts nach Preußen kommen laſſen — ein Beweis von der Aengſtlichkeit, mit welcher man damals die Gebietsgrenzen der Bundesfürſten reſpectirte, während ſonſtige Attribute ihrer Landeshoheit in den Verfaſſungsentwürfen für das Reich und den Dreikönigsbund mit Leichtigkeit ignorirt oder abgeſchafft wurden. Man ging in den Entwürfen bis nahe an die Mediatiſirung, aber man wagte nicht, ein Marſchquartier außerhalb der vertragsmäßig vorhandenen Etappenſtraßen zu beanſpruchen. Erſt bei Ausbruch des däniſchen Krieges 1864 wurde in Schwartau mit dieſer ſchüchternen Tradi¬ 1) Vgl. die Reichstagsrede Bismarck's vom 24. Januar 1882, Politiſche Reden IX 234; dieſe Mittheilungen geben den Schlüſſel zum richtigen Ver¬ ſtändniß der Rede vom 3. December 1850.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/96>, abgerufen am 10.05.2024.