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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Gespräch mit dem Könige. Seine Rechtsauffassung.
Aussichten Preußens zu schädigen, in dem Moment, wo er meine
Dienste gewinnen wollte, nicht aussprach. Ich erwiderte, daß das
formale Recht und seine Grenzen in der vorliegenden Situation
verwischt erschienen und von den Gegnern, sobald sie die Macht
hätten, ebenso wenig respectirt werden würden, wie am 18. März,
ich sähe die Situation mehr in dem Lichte von Krieg und Noth¬
wehr, als von rechtlichen Argumentationen. Der König beharrte
jedoch dabei, daß seine Stellung zu schwach werde, wenn er von
dem Rechtsboden abweiche, und der Eindruck ist mir geblieben, daß
er dem von Radowitz bei ihm gepflegten Gedankengange, dem
schwarz-roth-goldnen, wie man damals sagte, die Möglichkeit der
Herstellung der Ordnung in Preußen zunächst unterordnete.

Aus den zahlreichen Gesprächen, die auf jenes erste folgten,
ist mir das Wort des Königs erinnerlich: "Ich will den Kampf
gegen die Tendenzen der Nationalversammlung durchführen, aber
wie die Sache heut liegt, so mag ich zwar von meinem Rechte
vollständig überzeugt sein, es ist aber nicht gewiß, daß Andre,
und daß schließlich die großen Massen es auch sein werden: damit ich
dessen gewiß werde, muß die Versammlung sich noch mehr und in
solchen Fragen in's Unrecht setzen, in denen mein Recht, mich mit Gewalt
zu wehren, nicht nur für mich, sondern allgemein einleuchtend ist."

Meine Ueberzeugung, daß die Zweifel des Königs an seiner
Macht unbegründet seien, und daß es deshalb nur darauf an¬
komme, ob er an sein Recht glaube, wenn er sich gegen die Ueber¬
griffe der Versammlung wehren wolle, konnte ich bei ihm nicht
zur Anerkennung bringen. Daß sie richtig war, ist demnächst da¬
durch bestätigt worden, daß den großen und kleinen Aufständen
gegenüber jede militärische Anordnung unbedenklich und mit Eifer
durchgeführt wurde, und zwar unter Umständen, wo die Bethätigung
des militärischen Gehorsams schon von Hause aus mit dem Nieder¬
werfen bereits vorhandenen bewaffneten Widerstandes verbunden
war, während eine Auflösung der Versammlung, sobald man ihre
Wirksamkeit als staatsgefährlich erkannte, in den Reihen der Truppen

Geſpräch mit dem Könige. Seine Rechtsauffaſſung.
Ausſichten Preußens zu ſchädigen, in dem Moment, wo er meine
Dienſte gewinnen wollte, nicht ausſprach. Ich erwiderte, daß das
formale Recht und ſeine Grenzen in der vorliegenden Situation
verwiſcht erſchienen und von den Gegnern, ſobald ſie die Macht
hätten, ebenſo wenig reſpectirt werden würden, wie am 18. März,
ich ſähe die Situation mehr in dem Lichte von Krieg und Noth¬
wehr, als von rechtlichen Argumentationen. Der König beharrte
jedoch dabei, daß ſeine Stellung zu ſchwach werde, wenn er von
dem Rechtsboden abweiche, und der Eindruck iſt mir geblieben, daß
er dem von Radowitz bei ihm gepflegten Gedankengange, dem
ſchwarz-roth-goldnen, wie man damals ſagte, die Möglichkeit der
Herſtellung der Ordnung in Preußen zunächſt unterordnete.

Aus den zahlreichen Geſprächen, die auf jenes erſte folgten,
iſt mir das Wort des Königs erinnerlich: „Ich will den Kampf
gegen die Tendenzen der Nationalverſammlung durchführen, aber
wie die Sache heut liegt, ſo mag ich zwar von meinem Rechte
vollſtändig überzeugt ſein, es iſt aber nicht gewiß, daß Andre,
und daß ſchließlich die großen Maſſen es auch ſein werden: damit ich
deſſen gewiß werde, muß die Verſammlung ſich noch mehr und in
ſolchen Fragen in's Unrecht ſetzen, in denen mein Recht, mich mit Gewalt
zu wehren, nicht nur für mich, ſondern allgemein einleuchtend iſt.“

Meine Ueberzeugung, daß die Zweifel des Königs an ſeiner
Macht unbegründet ſeien, und daß es deshalb nur darauf an¬
komme, ob er an ſein Recht glaube, wenn er ſich gegen die Ueber¬
griffe der Verſammlung wehren wolle, konnte ich bei ihm nicht
zur Anerkennung bringen. Daß ſie richtig war, iſt demnächſt da¬
durch beſtätigt worden, daß den großen und kleinen Aufſtänden
gegenüber jede militäriſche Anordnung unbedenklich und mit Eifer
durchgeführt wurde, und zwar unter Umſtänden, wo die Bethätigung
des militäriſchen Gehorſams ſchon von Hauſe aus mit dem Nieder¬
werfen bereits vorhandenen bewaffneten Widerſtandes verbunden
war, während eine Auflöſung der Verſammlung, ſobald man ihre
Wirkſamkeit als ſtaatsgefährlich erkannte, in den Reihen der Truppen

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[45/0072] Geſpräch mit dem Könige. Seine Rechtsauffaſſung. Ausſichten Preußens zu ſchädigen, in dem Moment, wo er meine Dienſte gewinnen wollte, nicht ausſprach. Ich erwiderte, daß das formale Recht und ſeine Grenzen in der vorliegenden Situation verwiſcht erſchienen und von den Gegnern, ſobald ſie die Macht hätten, ebenſo wenig reſpectirt werden würden, wie am 18. März, ich ſähe die Situation mehr in dem Lichte von Krieg und Noth¬ wehr, als von rechtlichen Argumentationen. Der König beharrte jedoch dabei, daß ſeine Stellung zu ſchwach werde, wenn er von dem Rechtsboden abweiche, und der Eindruck iſt mir geblieben, daß er dem von Radowitz bei ihm gepflegten Gedankengange, dem ſchwarz-roth-goldnen, wie man damals ſagte, die Möglichkeit der Herſtellung der Ordnung in Preußen zunächſt unterordnete. Aus den zahlreichen Geſprächen, die auf jenes erſte folgten, iſt mir das Wort des Königs erinnerlich: „Ich will den Kampf gegen die Tendenzen der Nationalverſammlung durchführen, aber wie die Sache heut liegt, ſo mag ich zwar von meinem Rechte vollſtändig überzeugt ſein, es iſt aber nicht gewiß, daß Andre, und daß ſchließlich die großen Maſſen es auch ſein werden: damit ich deſſen gewiß werde, muß die Verſammlung ſich noch mehr und in ſolchen Fragen in's Unrecht ſetzen, in denen mein Recht, mich mit Gewalt zu wehren, nicht nur für mich, ſondern allgemein einleuchtend iſt.“ Meine Ueberzeugung, daß die Zweifel des Königs an ſeiner Macht unbegründet ſeien, und daß es deshalb nur darauf an¬ komme, ob er an ſein Recht glaube, wenn er ſich gegen die Ueber¬ griffe der Verſammlung wehren wolle, konnte ich bei ihm nicht zur Anerkennung bringen. Daß ſie richtig war, iſt demnächſt da¬ durch beſtätigt worden, daß den großen und kleinen Aufſtänden gegenüber jede militäriſche Anordnung unbedenklich und mit Eifer durchgeführt wurde, und zwar unter Umſtänden, wo die Bethätigung des militäriſchen Gehorſams ſchon von Hauſe aus mit dem Nieder¬ werfen bereits vorhandenen bewaffneten Widerſtandes verbunden war, während eine Auflöſung der Verſammlung, ſobald man ihre Wirkſamkeit als ſtaatsgefährlich erkannte, in den Reihen der Truppen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/72>, abgerufen am 26.11.2024.