Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.In den Straßen von Berlin. Prittwitz und Möllendorf. Unbekannte verließ mich schnell. Ein Straßenjunge rief mir nach:"Kiek, det is och en Franzos," eine Aeußerung, an die ich durch manche spätere Ermittlung erinnert worden bin. Mein allein un¬ rasirter langer Kinnbart, der Schlapphut und Frack hatten dem Jungen einen exotischen Eindruck gemacht. Die Straßen waren leer, kein Wagen sichtbar; zu Fuß nur einige Trupps in Blusen und mit Fahnen, deren einer in der Friedrichstraße einen lorbeer¬ bekränzten Barrikadenhelden zu irgend welcher Ovation geleitete. Nicht wegen der Warnung, sondern weil ich in Berlin keinen In den Straßen von Berlin. Prittwitz und Möllendorf. Unbekannte verließ mich ſchnell. Ein Straßenjunge rief mir nach:„Kiek, det is och en Franzos,“ eine Aeußerung, an die ich durch manche ſpätere Ermittlung erinnert worden bin. Mein allein un¬ raſirter langer Kinnbart, der Schlapphut und Frack hatten dem Jungen einen exotiſchen Eindruck gemacht. Die Straßen waren leer, kein Wagen ſichtbar; zu Fuß nur einige Trupps in Bluſen und mit Fahnen, deren einer in der Friedrichſtraße einen lorbeer¬ bekränzten Barrikadenhelden zu irgend welcher Ovation geleitete. Nicht wegen der Warnung, ſondern weil ich in Berlin keinen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="25"/><fw place="top" type="header">In den Straßen von Berlin. Prittwitz und Möllendorf.<lb/></fw> Unbekannte verließ mich ſchnell. Ein Straßenjunge rief mir nach:<lb/> „Kiek, det is och en Franzos,“ eine Aeußerung, an die ich durch<lb/> manche ſpätere Ermittlung erinnert worden bin. Mein allein un¬<lb/> raſirter langer Kinnbart, der Schlapphut und Frack hatten dem<lb/> Jungen einen exotiſchen Eindruck gemacht. Die Straßen waren<lb/> leer, kein Wagen ſichtbar; zu Fuß nur einige Trupps in Bluſen<lb/> und mit Fahnen, deren einer in der Friedrichſtraße einen lorbeer¬<lb/> bekränzten Barrikadenhelden zu irgend welcher Ovation geleitete.<lb/></p> <p>Nicht wegen der Warnung, ſondern weil ich in Berlin keinen<lb/> Boden für eine Thätigkeit fand, kehrte ich an demſelben Tage nach<lb/> Potsdam zurück und beſprach mit den beiden Generalen Möllendorf<lb/> und Prittwitz noch einmal die Möglichkeit eines ſelbſtändigen<lb/> Handelns. „Wie ſollen wir das anfangen?“ ſagte Prittwitz. Ich<lb/> klimperte auf dem geöffneten Klavier, neben dem ich ſaß, den<lb/> Infanteriemarſch zum Angriff. Möllendorf fiel mir in Thränen<lb/> und vor Wundſchmerzen ſteif um den Hals und rief: „Wenn Sie uns<lb/> das beſorgen könnten!“ „Kann ich nicht,“ erwiderte ich; „aber wenn<lb/> Sie es ohne Befehl thun, was kann Ihnen denn geſchehn? Das<lb/> Land wird Ihnen danken und der König ſchließlich auch.“ Prittwitz:<lb/> „Können Sie mir Gewißheit ſchaffen, ob Wrangel und Hedemann<lb/> mitgehn werden? wir können zur Inſubordination nicht noch Zwiſt<lb/> in die Armee bringen.“ Ich verſprach das zu ermitteln, ſelbſt nach<lb/> Magdeburg zu gehn und einen Vertrauten nach Stettin zu ſchicken,<lb/> um die beiden commandirenden Generale zu ſondiren. Von Stettin<lb/> kam der Beſcheid des Generals von Wrangel: „Was Prittwitz thut,<lb/> thue ich auch.“ Ich ſelbſt war in Magdeburg weniger glücklich.<lb/> Ich gelangte zunächſt nur an den Adjutanten des Generals von Hede¬<lb/> mann, einen jungen Major, dem ich mich eröffnete und der mir<lb/> ſeine Sympathie ausdrückte. Nach kurzer Zeit aber kam er zu mir<lb/> in den Gaſthof und bat mich, ſofort abzureiſen, um mir eine<lb/> Unannehmlichkeit und dem alten General eine Lächerlichkeit zu<lb/> erſparen; derſelbe beabſichtige, mich als Hochverräther feſtnehmen<lb/> zu laſſen. Der damalige Oberpräſident von Bonin, die höchſte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0052]
In den Straßen von Berlin. Prittwitz und Möllendorf.
Unbekannte verließ mich ſchnell. Ein Straßenjunge rief mir nach:
„Kiek, det is och en Franzos,“ eine Aeußerung, an die ich durch
manche ſpätere Ermittlung erinnert worden bin. Mein allein un¬
raſirter langer Kinnbart, der Schlapphut und Frack hatten dem
Jungen einen exotiſchen Eindruck gemacht. Die Straßen waren
leer, kein Wagen ſichtbar; zu Fuß nur einige Trupps in Bluſen
und mit Fahnen, deren einer in der Friedrichſtraße einen lorbeer¬
bekränzten Barrikadenhelden zu irgend welcher Ovation geleitete.
Nicht wegen der Warnung, ſondern weil ich in Berlin keinen
Boden für eine Thätigkeit fand, kehrte ich an demſelben Tage nach
Potsdam zurück und beſprach mit den beiden Generalen Möllendorf
und Prittwitz noch einmal die Möglichkeit eines ſelbſtändigen
Handelns. „Wie ſollen wir das anfangen?“ ſagte Prittwitz. Ich
klimperte auf dem geöffneten Klavier, neben dem ich ſaß, den
Infanteriemarſch zum Angriff. Möllendorf fiel mir in Thränen
und vor Wundſchmerzen ſteif um den Hals und rief: „Wenn Sie uns
das beſorgen könnten!“ „Kann ich nicht,“ erwiderte ich; „aber wenn
Sie es ohne Befehl thun, was kann Ihnen denn geſchehn? Das
Land wird Ihnen danken und der König ſchließlich auch.“ Prittwitz:
„Können Sie mir Gewißheit ſchaffen, ob Wrangel und Hedemann
mitgehn werden? wir können zur Inſubordination nicht noch Zwiſt
in die Armee bringen.“ Ich verſprach das zu ermitteln, ſelbſt nach
Magdeburg zu gehn und einen Vertrauten nach Stettin zu ſchicken,
um die beiden commandirenden Generale zu ſondiren. Von Stettin
kam der Beſcheid des Generals von Wrangel: „Was Prittwitz thut,
thue ich auch.“ Ich ſelbſt war in Magdeburg weniger glücklich.
Ich gelangte zunächſt nur an den Adjutanten des Generals von Hede¬
mann, einen jungen Major, dem ich mich eröffnete und der mir
ſeine Sympathie ausdrückte. Nach kurzer Zeit aber kam er zu mir
in den Gaſthof und bat mich, ſofort abzureiſen, um mir eine
Unannehmlichkeit und dem alten General eine Lächerlichkeit zu
erſparen; derſelbe beabſichtige, mich als Hochverräther feſtnehmen
zu laſſen. Der damalige Oberpräſident von Bonin, die höchſte
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