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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
anstalt war das "von" vor meinem Namen ein Nachtheil für mein
kindliches Behagen im Verkehre mit Mitschülern und Lehrern. Auch
auf dem Gymnasium zum grauen Kloster habe ich einzelnen Lehrern
gegenüber unter dem Adelshasse zu leiden gehabt, der sich in einem
großen Theile des gebildeten Bürgerthums als Reminiscenz aus
den Zeiten vor 1806 erhalten hatte. Aber selbst die aggressive
Tendenz, die in bürgerlichen Kreisen unter Umständen zum Vor¬
schein kam, hat mich niemals zu einem Vorstoße in entgegengesetzter
Richtung veranlaßt. Mein Vater war vom aristokratischen Vor¬
urtheile frei, und sein inneres Gleichheitsgefühl war, wenn über¬
haupt, nur durch die Offizierseindrücke seiner Jugend, keineswegs aber
durch Ueberschätzung des Geburtsstandes modificirt. Meine Mutter
war die Tochter des in den damaligen Hofkreisen für liberal
geltenden Cabinetsraths Friedrichs des Großen, Friedrich Wil¬
helms II. und III. aus der Leipziger Professorenfamilie Mencken,
welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach
Preußen in den auswärtigen und den Hofdienst gerathen war.
Der Freiherr vom Stein hat meinen Großvater Mencken als einen
ehrlichen, stark liberalen Beamten bezeichnet. Unter diesen Um¬
ständen waren die Auffassungen, die ich mit der Muttermilch ein¬
sog, eher liberal als reactionär, und meine Mutter würde, wenn
sie meine ministerielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung
derselben kaum einverstanden gewesen sein, wenn sie auch an den
äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden
haben würde. Sie war in bürokratischen und Hofkreisen groß ge¬
worden; Friedrich Wilhelm IV. sprach von ihr als "Mienchen" im
Andenken an Kinderspiele. Ich darf es darnach für eine ungerechte
Einschätzung meiner Auffassung in jüngern Jahren erklären, wenn
mir "die Vorurtheile meines Standes" angeheftet werden und be¬
hauptet wird, daß Erinnerung an Bevorrechtigung des Adels der
Ausgangspunkt meiner innern Politik gewesen wäre.

Auch die unumschränkte Autorität der alten preußischen Königs¬
macht war und ist nicht das letzte Wort meiner Ueberzeugung.

Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
anſtalt war das „von“ vor meinem Namen ein Nachtheil für mein
kindliches Behagen im Verkehre mit Mitſchülern und Lehrern. Auch
auf dem Gymnaſium zum grauen Kloſter habe ich einzelnen Lehrern
gegenüber unter dem Adelshaſſe zu leiden gehabt, der ſich in einem
großen Theile des gebildeten Bürgerthums als Reminiſcenz aus
den Zeiten vor 1806 erhalten hatte. Aber ſelbſt die aggreſſive
Tendenz, die in bürgerlichen Kreiſen unter Umſtänden zum Vor¬
ſchein kam, hat mich niemals zu einem Vorſtoße in entgegengeſetzter
Richtung veranlaßt. Mein Vater war vom ariſtokratiſchen Vor¬
urtheile frei, und ſein inneres Gleichheitsgefühl war, wenn über¬
haupt, nur durch die Offizierseindrücke ſeiner Jugend, keineswegs aber
durch Ueberſchätzung des Geburtsſtandes modificirt. Meine Mutter
war die Tochter des in den damaligen Hofkreiſen für liberal
geltenden Cabinetsraths Friedrichs des Großen, Friedrich Wil¬
helms II. und III. aus der Leipziger Profeſſorenfamilie Mencken,
welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach
Preußen in den auswärtigen und den Hofdienſt gerathen war.
Der Freiherr vom Stein hat meinen Großvater Mencken als einen
ehrlichen, ſtark liberalen Beamten bezeichnet. Unter dieſen Um¬
ſtänden waren die Auffaſſungen, die ich mit der Muttermilch ein¬
ſog, eher liberal als reactionär, und meine Mutter würde, wenn
ſie meine miniſterielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung
derſelben kaum einverſtanden geweſen ſein, wenn ſie auch an den
äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden
haben würde. Sie war in bürokratiſchen und Hofkreiſen groß ge¬
worden; Friedrich Wilhelm IV. ſprach von ihr als „Mienchen“ im
Andenken an Kinderſpiele. Ich darf es darnach für eine ungerechte
Einſchätzung meiner Auffaſſung in jüngern Jahren erklären, wenn
mir „die Vorurtheile meines Standes“ angeheftet werden und be¬
hauptet wird, daß Erinnerung an Bevorrechtigung des Adels der
Ausgangspunkt meiner innern Politik geweſen wäre.

Auch die unumſchränkte Autorität der alten preußiſchen Königs¬
macht war und iſt nicht das letzte Wort meiner Ueberzeugung.

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[14/0041] Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage. anſtalt war das „von“ vor meinem Namen ein Nachtheil für mein kindliches Behagen im Verkehre mit Mitſchülern und Lehrern. Auch auf dem Gymnaſium zum grauen Kloſter habe ich einzelnen Lehrern gegenüber unter dem Adelshaſſe zu leiden gehabt, der ſich in einem großen Theile des gebildeten Bürgerthums als Reminiſcenz aus den Zeiten vor 1806 erhalten hatte. Aber ſelbſt die aggreſſive Tendenz, die in bürgerlichen Kreiſen unter Umſtänden zum Vor¬ ſchein kam, hat mich niemals zu einem Vorſtoße in entgegengeſetzter Richtung veranlaßt. Mein Vater war vom ariſtokratiſchen Vor¬ urtheile frei, und ſein inneres Gleichheitsgefühl war, wenn über¬ haupt, nur durch die Offizierseindrücke ſeiner Jugend, keineswegs aber durch Ueberſchätzung des Geburtsſtandes modificirt. Meine Mutter war die Tochter des in den damaligen Hofkreiſen für liberal geltenden Cabinetsraths Friedrichs des Großen, Friedrich Wil¬ helms II. und III. aus der Leipziger Profeſſorenfamilie Mencken, welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach Preußen in den auswärtigen und den Hofdienſt gerathen war. Der Freiherr vom Stein hat meinen Großvater Mencken als einen ehrlichen, ſtark liberalen Beamten bezeichnet. Unter dieſen Um¬ ſtänden waren die Auffaſſungen, die ich mit der Muttermilch ein¬ ſog, eher liberal als reactionär, und meine Mutter würde, wenn ſie meine miniſterielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung derſelben kaum einverſtanden geweſen ſein, wenn ſie auch an den äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden haben würde. Sie war in bürokratiſchen und Hofkreiſen groß ge¬ worden; Friedrich Wilhelm IV. ſprach von ihr als „Mienchen“ im Andenken an Kinderſpiele. Ich darf es darnach für eine ungerechte Einſchätzung meiner Auffaſſung in jüngern Jahren erklären, wenn mir „die Vorurtheile meines Standes“ angeheftet werden und be¬ hauptet wird, daß Erinnerung an Bevorrechtigung des Adels der Ausgangspunkt meiner innern Politik geweſen wäre. Auch die unumſchränkte Autorität der alten preußiſchen Königs¬ macht war und iſt nicht das letzte Wort meiner Ueberzeugung.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/41>, abgerufen am 28.04.2024.