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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Culminations- und Wendepunkt des dualistischen Versuchs.
dort angesessenen Oestreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß
die vortheilhaften Ergebnisse der Freundschaft der deutschen Gro߬
mächte mit der holsteinischen Frage nicht abgeschlossen wären, und
daß sie, wenn jetzt in der äußersten Entfernung von dem östreichi¬
schen Interessengebiete gelegen, doch ein andermal sehr viel näher
liegen könnten, und daß es für Oestreich nützlich sein werde, jetzt
Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu sein."

Es schien mir, daß die von mir aufgestellte Perspective auf
den Kaiser Franz Joseph nicht ohne Eindruck blieb. Er sprach
zwar von der Schwierigkeit, der öffentlichen Meinung in Oestreich
gegenüber ganz ohne Aequivalent aus der gegenwärtigen Situation
hinauszugehn, wenn Preußen einen so großen Gewinn wie Schleswig-
Holstein mache, schloß aber mit der Frage, ob wir wirklich fest ent¬
schlossen wären, diesen Besitz zu fordern und einzuverleiben. Ich
hatte den Eindruck, daß er doch nicht für unmöglich hielte, uns
seine Ansprüche auf das von Dänemark abgetretene Land zu cediren,
wenn ihm die Aussicht auf ein ferneres festes Zusammenhalten
mit Preußen und auf Unterstützung analoger Wünsche Oestreichs
durch Preußen gesichert würde. Er stellte zur weitern Discussion
zunächst die Frage, ob Preußen wirklich fest entschlossen sei, die
Herzogthümer zu preußischen Provinzen zu machen, oder ob wir mit
gewissen Rechten in ihnen, wie sie in den sog. Februarbedingungen
später formulirt worden sind, zufrieden sein würden. Der König
schwieg und ich brach dieses Schweigen, indem ich dem Kaiser
antwortete: "Es ist mir sehr erwünscht, daß Eure Majestät mir
die Frage in Gegenwart meines allergnädigsten Herrn vorlegen;
ich hoffe bei dieser Gelegenheit seine Ansicht zu erfahren." Ich
hatte nämlich bis dahin keine unumwundene Erklärung des Königs
weder schriftlich noch mündlich über Sr. Majestät definitive Willens¬
meinung bezüglich der Herzogthümer erhalten.

Die mise en demeure durch den Kaiser hatte die Folge, daß
der König zögernd und in einer gewissen Verlegenheit sagte: er
habe ja garkein Recht auf die Herzogthümer und könne deshalb

Culminations- und Wendepunkt des dualiſtiſchen Verſuchs.
dort angeſeſſenen Oeſtreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß
die vortheilhaften Ergebniſſe der Freundſchaft der deutſchen Gro߬
mächte mit der holſteiniſchen Frage nicht abgeſchloſſen wären, und
daß ſie, wenn jetzt in der äußerſten Entfernung von dem öſtreichi¬
ſchen Intereſſengebiete gelegen, doch ein andermal ſehr viel näher
liegen könnten, und daß es für Oeſtreich nützlich ſein werde, jetzt
Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu ſein.“

Es ſchien mir, daß die von mir aufgeſtellte Perſpective auf
den Kaiſer Franz Joſeph nicht ohne Eindruck blieb. Er ſprach
zwar von der Schwierigkeit, der öffentlichen Meinung in Oeſtreich
gegenüber ganz ohne Aequivalent aus der gegenwärtigen Situation
hinauszugehn, wenn Preußen einen ſo großen Gewinn wie Schleswig-
Holſtein mache, ſchloß aber mit der Frage, ob wir wirklich feſt ent¬
ſchloſſen wären, dieſen Beſitz zu fordern und einzuverleiben. Ich
hatte den Eindruck, daß er doch nicht für unmöglich hielte, uns
ſeine Anſprüche auf das von Dänemark abgetretene Land zu cediren,
wenn ihm die Ausſicht auf ein ferneres feſtes Zuſammenhalten
mit Preußen und auf Unterſtützung analoger Wünſche Oeſtreichs
durch Preußen geſichert würde. Er ſtellte zur weitern Diſcuſſion
zunächſt die Frage, ob Preußen wirklich feſt entſchloſſen ſei, die
Herzogthümer zu preußiſchen Provinzen zu machen, oder ob wir mit
gewiſſen Rechten in ihnen, wie ſie in den ſog. Februarbedingungen
ſpäter formulirt worden ſind, zufrieden ſein würden. Der König
ſchwieg und ich brach dieſes Schweigen, indem ich dem Kaiſer
antwortete: „Es iſt mir ſehr erwünſcht, daß Eure Majeſtät mir
die Frage in Gegenwart meines allergnädigſten Herrn vorlegen;
ich hoffe bei dieſer Gelegenheit ſeine Anſicht zu erfahren.“ Ich
hatte nämlich bis dahin keine unumwundene Erklärung des Königs
weder ſchriftlich noch mündlich über Sr. Majeſtät definitive Willens¬
meinung bezüglich der Herzogthümer erhalten.

Die mise en demeure durch den Kaiſer hatte die Folge, daß
der König zögernd und in einer gewiſſen Verlegenheit ſagte: er
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[345/0372] Culminations- und Wendepunkt des dualiſtiſchen Verſuchs. dort angeſeſſenen Oeſtreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß die vortheilhaften Ergebniſſe der Freundſchaft der deutſchen Gro߬ mächte mit der holſteiniſchen Frage nicht abgeſchloſſen wären, und daß ſie, wenn jetzt in der äußerſten Entfernung von dem öſtreichi¬ ſchen Intereſſengebiete gelegen, doch ein andermal ſehr viel näher liegen könnten, und daß es für Oeſtreich nützlich ſein werde, jetzt Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu ſein.“ Es ſchien mir, daß die von mir aufgeſtellte Perſpective auf den Kaiſer Franz Joſeph nicht ohne Eindruck blieb. Er ſprach zwar von der Schwierigkeit, der öffentlichen Meinung in Oeſtreich gegenüber ganz ohne Aequivalent aus der gegenwärtigen Situation hinauszugehn, wenn Preußen einen ſo großen Gewinn wie Schleswig- Holſtein mache, ſchloß aber mit der Frage, ob wir wirklich feſt ent¬ ſchloſſen wären, dieſen Beſitz zu fordern und einzuverleiben. Ich hatte den Eindruck, daß er doch nicht für unmöglich hielte, uns ſeine Anſprüche auf das von Dänemark abgetretene Land zu cediren, wenn ihm die Ausſicht auf ein ferneres feſtes Zuſammenhalten mit Preußen und auf Unterſtützung analoger Wünſche Oeſtreichs durch Preußen geſichert würde. Er ſtellte zur weitern Diſcuſſion zunächſt die Frage, ob Preußen wirklich feſt entſchloſſen ſei, die Herzogthümer zu preußiſchen Provinzen zu machen, oder ob wir mit gewiſſen Rechten in ihnen, wie ſie in den ſog. Februarbedingungen ſpäter formulirt worden ſind, zufrieden ſein würden. Der König ſchwieg und ich brach dieſes Schweigen, indem ich dem Kaiſer antwortete: „Es iſt mir ſehr erwünſcht, daß Eure Majeſtät mir die Frage in Gegenwart meines allergnädigſten Herrn vorlegen; ich hoffe bei dieſer Gelegenheit ſeine Anſicht zu erfahren.“ Ich hatte nämlich bis dahin keine unumwundene Erklärung des Königs weder ſchriftlich noch mündlich über Sr. Majeſtät definitive Willens¬ meinung bezüglich der Herzogthümer erhalten. Die mise en demeure durch den Kaiſer hatte die Folge, daß der König zögernd und in einer gewiſſen Verlegenheit ſagte: er habe ja garkein Recht auf die Herzogthümer und könne deshalb

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/372>, abgerufen am 20.05.2024.