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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
welchen sie mir machten, noch heut auswendig weiß: "Nachdem der
Sühneversuch angestellt und die dafür dem Gebiete der Moral und
Religion entnommnen Gründe erfolglos geblieben waren, wurde
wie folgt weiter verhandelt." Mein Vorgesetzter erhob sich und
sagte: "Nun merken Sie sich, wie man das macht, und lassen
Sie mich künftig mit dergleichen in Ruhe." Ich begleitete ihn zur
Thüre und setzte die Verhandlung fort. Die Station der Ehe¬
scheidungen dauerte, so viel ich mich erinnere, vier bis sechs Wochen,
ein Sühneversuch kam mir nicht wieder vor. Es war ein gewisses
Bedürfniß vorhanden für die Verordnung über das Verfahren
in Ehescheidungen, auf welche Friedrich Wilhelm IV. sich beschränken
mußte, nachdem sein Versuch, ein Gesetz über Aenderung des
materiellen Eherechts zu Stande zu bringen, an dem Widerstande
des Staatsraths gescheitert war. Dabei mag erwähnt werden,
daß durch jene Verordnung zuerst in den Provinzen des All¬
gemeinen Landrechts der Staatsanwalt eingeführt worden ist, als
defensor matrimonii und zur Verhütung von Collusionen der
Parteien.

Ansprechender war das folgende Stadium der Bagatellprozesse,
wo der ungeschulte junge Jurist wenigstens eine Uebung im Auf¬
nehmen von Klagen und Vernehmen von Zeugen gewann, wo man
ihn im Ganzen aber doch mehr als Hülfsarbeiter ausnutzte, als
mit Belehrung förderte. Das Local und die Procedur hatten
etwas von dem unruhigen Verkehre an einem Eisenbahnschalter.
Der Raum, wo der leitende Rath und die drei oder vier Aus¬
cultatoren mit dem Rücken gegen das Publikum saßen, war von
hölzernen Gittern umgeben, und die dadurch gebildete viereckige
Bucht war von der wechselnden und mehr oder weniger lärmenden
Menge der Parteien rings umfluthet.

Mein Eindruck von Institutionen und Personen wurde nicht
wesentlich modificirt, nachdem ich zur Verwaltung übergegangen
war. Um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen, wandte ich
mich einer rheinischen Regirung, der Aachner, zu, deren Cursus

Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
welchen ſie mir machten, noch heut auswendig weiß: „Nachdem der
Sühneverſuch angeſtellt und die dafür dem Gebiete der Moral und
Religion entnommnen Gründe erfolglos geblieben waren, wurde
wie folgt weiter verhandelt.“ Mein Vorgeſetzter erhob ſich und
ſagte: „Nun merken Sie ſich, wie man das macht, und laſſen
Sie mich künftig mit dergleichen in Ruhe.“ Ich begleitete ihn zur
Thüre und ſetzte die Verhandlung fort. Die Station der Ehe¬
ſcheidungen dauerte, ſo viel ich mich erinnere, vier bis ſechs Wochen,
ein Sühneverſuch kam mir nicht wieder vor. Es war ein gewiſſes
Bedürfniß vorhanden für die Verordnung über das Verfahren
in Eheſcheidungen, auf welche Friedrich Wilhelm IV. ſich beſchränken
mußte, nachdem ſein Verſuch, ein Geſetz über Aenderung des
materiellen Eherechts zu Stande zu bringen, an dem Widerſtande
des Staatsraths geſcheitert war. Dabei mag erwähnt werden,
daß durch jene Verordnung zuerſt in den Provinzen des All¬
gemeinen Landrechts der Staatsanwalt eingeführt worden iſt, als
defensor matrimonii und zur Verhütung von Colluſionen der
Parteien.

Anſprechender war das folgende Stadium der Bagatellprozeſſe,
wo der ungeſchulte junge Juriſt wenigſtens eine Uebung im Auf¬
nehmen von Klagen und Vernehmen von Zeugen gewann, wo man
ihn im Ganzen aber doch mehr als Hülfsarbeiter ausnutzte, als
mit Belehrung förderte. Das Local und die Procedur hatten
etwas von dem unruhigen Verkehre an einem Eiſenbahnſchalter.
Der Raum, wo der leitende Rath und die drei oder vier Aus¬
cultatoren mit dem Rücken gegen das Publikum ſaßen, war von
hölzernen Gittern umgeben, und die dadurch gebildete viereckige
Bucht war von der wechſelnden und mehr oder weniger lärmenden
Menge der Parteien rings umfluthet.

Mein Eindruck von Inſtitutionen und Perſonen wurde nicht
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war. Um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen, wandte ich
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[8/0035] Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage. welchen ſie mir machten, noch heut auswendig weiß: „Nachdem der Sühneverſuch angeſtellt und die dafür dem Gebiete der Moral und Religion entnommnen Gründe erfolglos geblieben waren, wurde wie folgt weiter verhandelt.“ Mein Vorgeſetzter erhob ſich und ſagte: „Nun merken Sie ſich, wie man das macht, und laſſen Sie mich künftig mit dergleichen in Ruhe.“ Ich begleitete ihn zur Thüre und ſetzte die Verhandlung fort. Die Station der Ehe¬ ſcheidungen dauerte, ſo viel ich mich erinnere, vier bis ſechs Wochen, ein Sühneverſuch kam mir nicht wieder vor. Es war ein gewiſſes Bedürfniß vorhanden für die Verordnung über das Verfahren in Eheſcheidungen, auf welche Friedrich Wilhelm IV. ſich beſchränken mußte, nachdem ſein Verſuch, ein Geſetz über Aenderung des materiellen Eherechts zu Stande zu bringen, an dem Widerſtande des Staatsraths geſcheitert war. Dabei mag erwähnt werden, daß durch jene Verordnung zuerſt in den Provinzen des All¬ gemeinen Landrechts der Staatsanwalt eingeführt worden iſt, als defensor matrimonii und zur Verhütung von Colluſionen der Parteien. Anſprechender war das folgende Stadium der Bagatellprozeſſe, wo der ungeſchulte junge Juriſt wenigſtens eine Uebung im Auf¬ nehmen von Klagen und Vernehmen von Zeugen gewann, wo man ihn im Ganzen aber doch mehr als Hülfsarbeiter ausnutzte, als mit Belehrung förderte. Das Local und die Procedur hatten etwas von dem unruhigen Verkehre an einem Eiſenbahnſchalter. Der Raum, wo der leitende Rath und die drei oder vier Aus¬ cultatoren mit dem Rücken gegen das Publikum ſaßen, war von hölzernen Gittern umgeben, und die dadurch gebildete viereckige Bucht war von der wechſelnden und mehr oder weniger lärmenden Menge der Parteien rings umfluthet. Mein Eindruck von Inſtitutionen und Perſonen wurde nicht weſentlich modificirt, nachdem ich zur Verwaltung übergegangen war. Um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen, wandte ich mich einer rheiniſchen Regirung, der Aachner, zu, deren Curſus

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/35>, abgerufen am 27.04.2024.