Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Alexander II. über Polen. Werth der russischen Freundschaft. bedauerte und gern in Petersburg bleiben würde, veranlaßte denKaiser mißverständlich zu der Frage, ob ich geneigt sei, in russische Dienste zu treten. Ich verneinte das höflich unter Betonung des Wunsches, als preußischer Gesandter in der Nähe Sr. Majestät zu bleiben. Es wäre mir damals nicht unlieb gewesen, wenn der Kaiser zu dem Zwecke Schritte gethan hätte, denn der Gedanke, der Politik der neuen Aera, sei es als Minister, sei es als Ge¬ sandter in Paris oder London ohne die Aussicht auf Mitwirkung an unsrer Politik, zu dienen, hatte an sich nichts Verführeri¬ sches. Wie ich dem Lande und meiner Ueberzeugung in London oder Paris würde nützen können, wußte ich nicht, während mein Einfluß bei dem Kaiser Alexander und den hervorragenden seiner Staatsmänner nicht ohne Bedeutung für unsre Interessen war. Der Gedanke, Minister des Aeußern zu werden, war mir unbehaglich, etwa wie der Eintritt in ein Seebad bei kaltem Wetter; aber alle diese Empfindungen waren nicht stark genug, um mich zu einem Eingriff in die eigne Zukunft oder zu einer Bitte an den Kaiser Alexander zu solchem Zwecke zu veranlassen Nachdem ich dennoch Minister geworden war, stand zunächst Alexander II. über Polen. Werth der ruſſiſchen Freundſchaft. bedauerte und gern in Petersburg bleiben würde, veranlaßte denKaiſer mißverſtändlich zu der Frage, ob ich geneigt ſei, in ruſſiſche Dienſte zu treten. Ich verneinte das höflich unter Betonung des Wunſches, als preußiſcher Geſandter in der Nähe Sr. Majeſtät zu bleiben. Es wäre mir damals nicht unlieb geweſen, wenn der Kaiſer zu dem Zwecke Schritte gethan hätte, denn der Gedanke, der Politik der neuen Aera, ſei es als Miniſter, ſei es als Ge¬ ſandter in Paris oder London ohne die Ausſicht auf Mitwirkung an unſrer Politik, zu dienen, hatte an ſich nichts Verführeri¬ ſches. Wie ich dem Lande und meiner Ueberzeugung in London oder Paris würde nützen können, wußte ich nicht, während mein Einfluß bei dem Kaiſer Alexander und den hervorragenden ſeiner Staatsmänner nicht ohne Bedeutung für unſre Intereſſen war. Der Gedanke, Miniſter des Aeußern zu werden, war mir unbehaglich, etwa wie der Eintritt in ein Seebad bei kaltem Wetter; aber alle dieſe Empfindungen waren nicht ſtark genug, um mich zu einem Eingriff in die eigne Zukunft oder zu einer Bitte an den Kaiſer Alexander zu ſolchem Zwecke zu veranlaſſen Nachdem ich dennoch Miniſter geworden war, ſtand zunächſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0336" n="309"/><fw place="top" type="header">Alexander <hi rendition="#aq">II</hi>. über Polen. Werth der ruſſiſchen Freundſchaft.<lb/></fw>bedauerte und gern in Petersburg bleiben würde, veranlaßte den<lb/> Kaiſer mißverſtändlich zu der Frage, ob ich geneigt ſei, in ruſſiſche<lb/> Dienſte zu treten. Ich verneinte das höflich unter Betonung des<lb/> Wunſches, als preußiſcher Geſandter in der Nähe Sr. Majeſtät zu<lb/> bleiben. Es wäre mir damals nicht unlieb geweſen, wenn der<lb/> Kaiſer zu dem Zwecke Schritte gethan hätte, denn der Gedanke,<lb/> der Politik der neuen Aera, ſei es als Miniſter, ſei es als Ge¬<lb/> ſandter in Paris oder London ohne die Ausſicht auf Mitwirkung<lb/> an unſrer Politik, zu dienen, hatte an ſich nichts Verführeri¬<lb/> ſches. Wie ich dem Lande und meiner Ueberzeugung in London<lb/> oder Paris würde nützen können, wußte ich nicht, während<lb/> mein Einfluß bei dem Kaiſer Alexander und den hervorragenden<lb/> ſeiner Staatsmänner nicht ohne Bedeutung für unſre Intereſſen<lb/> war. 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Es war nicht wahrſchein¬<lb/> lich, daß das Wohlwollen Frankreichs für unſre Stärkung und die<lb/> deutſche Einigung auf die Dauer ehrlich ſein werde, eine Ueber¬<lb/> zeugung, die nicht hindern durfte, vorübergehende, auf irrthümlichen<lb/> Berechnungen beruhende Unterſtützung und Förderung Napoleons<lb/><hi rendition="#aq">utiliter</hi> anzunehmen. Mit Rußland waren wir in derſelben Lage<lb/> wie mit England, inſoweit als wir mit beiden prinzipielle diver¬<lb/> girende Intereſſen nicht hatten und durch langjährige Freundſchaft<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [309/0336]
Alexander II. über Polen. Werth der ruſſiſchen Freundſchaft.
bedauerte und gern in Petersburg bleiben würde, veranlaßte den
Kaiſer mißverſtändlich zu der Frage, ob ich geneigt ſei, in ruſſiſche
Dienſte zu treten. Ich verneinte das höflich unter Betonung des
Wunſches, als preußiſcher Geſandter in der Nähe Sr. Majeſtät zu
bleiben. Es wäre mir damals nicht unlieb geweſen, wenn der
Kaiſer zu dem Zwecke Schritte gethan hätte, denn der Gedanke,
der Politik der neuen Aera, ſei es als Miniſter, ſei es als Ge¬
ſandter in Paris oder London ohne die Ausſicht auf Mitwirkung
an unſrer Politik, zu dienen, hatte an ſich nichts Verführeri¬
ſches. Wie ich dem Lande und meiner Ueberzeugung in London
oder Paris würde nützen können, wußte ich nicht, während
mein Einfluß bei dem Kaiſer Alexander und den hervorragenden
ſeiner Staatsmänner nicht ohne Bedeutung für unſre Intereſſen
war. Der Gedanke, Miniſter des Aeußern zu werden, war mir
unbehaglich, etwa wie der Eintritt in ein Seebad bei kaltem
Wetter; aber alle dieſe Empfindungen waren nicht ſtark genug,
um mich zu einem Eingriff in die eigne Zukunft oder zu einer
Bitte an den Kaiſer Alexander zu ſolchem Zwecke zu veranlaſſen
Nachdem ich dennoch Miniſter geworden war, ſtand zunächſt
die innere Politik mehr im Vordergrunde, als die äußere; in
dieſer aber lagen mir die Beziehungen zu Rußland Dank meiner
jüngſten Vergangenheit beſonders nahe, und ich war beſtrebt, unſrer
Politik den Beſitz an Einfluß in Petersburg, den wir dort hatten,
nach Möglichkeit zu erhalten. Es lag auf der Hand, daß die
preußiſche Politik in deutſcher Richtung damals von Oeſtreich
keine Unterſtützung zu erwarten hatte. Es war nicht wahrſchein¬
lich, daß das Wohlwollen Frankreichs für unſre Stärkung und die
deutſche Einigung auf die Dauer ehrlich ſein werde, eine Ueber¬
zeugung, die nicht hindern durfte, vorübergehende, auf irrthümlichen
Berechnungen beruhende Unterſtützung und Förderung Napoleons
utiliter anzunehmen. Mit Rußland waren wir in derſelben Lage
wie mit England, inſoweit als wir mit beiden prinzipielle diver¬
girende Intereſſen nicht hatten und durch langjährige Freundſchaft
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