Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Preußen antichambrirt auf dem Pariser Congreß. Selbstbewußtsein angesehn, daß wir nach allen uns widerfahrenenGeringschätzungen von Seiten Oestreichs und der Westmächte überhaupt das Bedürfniß empfanden, auf dem Congresse zugelassen zu werden und seinen Beschlüssen unsre Unterschrift hinzuzufügen. Unsre Stellung 1870 in den Londoner Besprechungen über das Schwarze Meer würde die Nichtigkeit dieser Ansicht bezeugt haben, wenn Preußen sich nicht in den Pariser Congreß in würdeloser Weise eingedrängt hätte. Als Manteuffel aus Paris zurückkehrte und am 20. und 21. April in Frankfurt mein Gast war, habe ich mir erlaubt, ihm mein Bedauern darüber auszusprechen, daß er nicht das victa Catoni zur Richtschnur genommen und uns die richtige unabhängige Stellung für die Eventualität der nach Lage der Dinge vorauszusehenden russisch-französischen gegenseitigen An¬ näherung angebahnt habe. Daß der Kaiser Napoleon damals die russische Freundschaft schon in Aussicht nahm, daß für maßgebende Kreise in England der Friedensschluß verfrüht erschien, konnte in dem Auswärtigen Amte in Berlin nicht zweifelhaft sein. Wie würdig und unabhängig wäre unsre Stellung gewesen, wenn wir uns nicht in den Pariser Congreß in einer demüthigenden Weise eingedrängt, sondern bei mangelnder rechtzeitiger Einladung unsre Betheiligung versagt hätten. Bei angemessener Zurückhaltung würden wir in der neuen Gruppirung umworben worden sein, und schon äußerlich wäre unsre Stellung eine würdigere gewesen, wenn wir unsre Ein¬ schätzung als europäische Großmacht nicht von diplomatischen Gegnern abhängig gemacht, sondern lediglich auf unser Selbst¬ bewußtsein basirt hätten, indem wir uns des Anspruchs auf Be¬ theiligung an europäischen Abmachungen enthielten, welche für Preußen kein Interesse hatten, als höchstens nach Analogie der Reichenbacher Convention das der Eitelkeit des Prestige und des Mitredens in Dingen, die unsre Interessen nicht berührten. Die versäumten Gelegenheiten, welche in die beiden Zeiträume Preußen antichambrirt auf dem Pariſer Congreß. Selbſtbewußtſein angeſehn, daß wir nach allen uns widerfahrenenGeringſchätzungen von Seiten Oeſtreichs und der Weſtmächte überhaupt das Bedürfniß empfanden, auf dem Congreſſe zugelaſſen zu werden und ſeinen Beſchlüſſen unſre Unterſchrift hinzuzufügen. Unſre Stellung 1870 in den Londoner Beſprechungen über das Schwarze Meer würde die Nichtigkeit dieſer Anſicht bezeugt haben, wenn Preußen ſich nicht in den Pariſer Congreß in würdeloſer Weiſe eingedrängt hätte. Als Manteuffel aus Paris zurückkehrte und am 20. und 21. April in Frankfurt mein Gaſt war, habe ich mir erlaubt, ihm mein Bedauern darüber auszuſprechen, daß er nicht das victa Catoni zur Richtſchnur genommen und uns die richtige unabhängige Stellung für die Eventualität der nach Lage der Dinge vorauszuſehenden ruſſiſch-franzöſiſchen gegenſeitigen An¬ näherung angebahnt habe. Daß der Kaiſer Napoleon damals die ruſſiſche Freundſchaft ſchon in Ausſicht nahm, daß für maßgebende Kreiſe in England der Friedensſchluß verfrüht erſchien, konnte in dem Auswärtigen Amte in Berlin nicht zweifelhaft ſein. Wie würdig und unabhängig wäre unſre Stellung geweſen, wenn wir uns nicht in den Pariſer Congreß in einer demüthigenden Weiſe eingedrängt, ſondern bei mangelnder rechtzeitiger Einladung unſre Betheiligung verſagt hätten. Bei angemeſſener Zurückhaltung würden wir in der neuen Gruppirung umworben worden ſein, und ſchon äußerlich wäre unſre Stellung eine würdigere geweſen, wenn wir unſre Ein¬ ſchätzung als europäiſche Großmacht nicht von diplomatiſchen Gegnern abhängig gemacht, ſondern lediglich auf unſer Selbſt¬ bewußtſein baſirt hätten, indem wir uns des Anſpruchs auf Be¬ theiligung an europäiſchen Abmachungen enthielten, welche für Preußen kein Intereſſe hatten, als höchſtens nach Analogie der Reichenbacher Convention das der Eitelkeit des Preſtige und des Mitredens in Dingen, die unſre Intereſſen nicht berührten. 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Preußen antichambrirt auf dem Pariſer Congreß.
Selbſtbewußtſein angeſehn, daß wir nach allen uns widerfahrenen
Geringſchätzungen von Seiten Oeſtreichs und der Weſtmächte
überhaupt das Bedürfniß empfanden, auf dem Congreſſe zugelaſſen
zu werden und ſeinen Beſchlüſſen unſre Unterſchrift hinzuzufügen.
Unſre Stellung 1870 in den Londoner Beſprechungen über das
Schwarze Meer würde die Nichtigkeit dieſer Anſicht bezeugt haben,
wenn Preußen ſich nicht in den Pariſer Congreß in würdeloſer
Weiſe eingedrängt hätte. Als Manteuffel aus Paris zurückkehrte
und am 20. und 21. April in Frankfurt mein Gaſt war, habe ich
mir erlaubt, ihm mein Bedauern darüber auszuſprechen, daß er
nicht das victa Catoni zur Richtſchnur genommen und uns die
richtige unabhängige Stellung für die Eventualität der nach Lage
der Dinge vorauszuſehenden ruſſiſch-franzöſiſchen gegenſeitigen An¬
näherung angebahnt habe. Daß der Kaiſer Napoleon damals die
ruſſiſche Freundſchaft ſchon in Ausſicht nahm, daß für maßgebende
Kreiſe in England der Friedensſchluß verfrüht erſchien, konnte in
dem Auswärtigen Amte in Berlin nicht zweifelhaft ſein. Wie würdig
und unabhängig wäre unſre Stellung geweſen, wenn wir uns nicht
in den Pariſer Congreß in einer demüthigenden Weiſe eingedrängt,
ſondern bei mangelnder rechtzeitiger Einladung unſre Betheiligung
verſagt hätten. Bei angemeſſener Zurückhaltung würden wir in
der neuen Gruppirung umworben worden ſein, und ſchon äußerlich
wäre unſre Stellung eine würdigere geweſen, wenn wir unſre Ein¬
ſchätzung als europäiſche Großmacht nicht von diplomatiſchen
Gegnern abhängig gemacht, ſondern lediglich auf unſer Selbſt¬
bewußtſein baſirt hätten, indem wir uns des Anſpruchs auf Be¬
theiligung an europäiſchen Abmachungen enthielten, welche für
Preußen kein Intereſſe hatten, als höchſtens nach Analogie der
Reichenbacher Convention das der Eitelkeit des Preſtige und des
Mitredens in Dingen, die unſre Intereſſen nicht berührten.
Die verſäumten Gelegenheiten, welche in die beiden Zeiträume
von 1786 bis 1806 und von 1842 bis 1862 fallen, ſind den
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