Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage.
steht. Wird der König zu solchem Mittel im Winter greifen wollen,
wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, ob¬
schon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren,
darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflösung, nach handgreiflichen
Ausschreitungen der Majorität, ist ein sehr heilsames Mittel, viel¬
leicht das richtigste, zu dem man gelangen kann, um gesunden Blut¬
umlauf herzustellen.

Ich kann mich schriftlich über eine Situation, die ich nur
ungenügend kenne, nicht erschöpfend aussprechen, mag auch Manches
nicht zu Papier bringen, was ich sagen möchte. Nachdem der
Urlaub heut bewilligt, reise ich Sonnabend zu Wasser, und hoffe
Dienstag früh in Lübeck zu sein, Abend in Berlin. Früher kann
ich nicht, weil der Kaiser mich noch sehn will. Diese Zeilen nimmt
der englische Courier wieder mit. Mündlich also Näheres. Bitte
mich der Frau Gemalin herzlich zu empfehlen. In treuer Freund¬
schaft der Ihrige
v. Bismarck." 1)

Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehn, als ich am
9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im
Bahnhofe allein vorhandnen schwedischen Ystädter Zeitung ersah,
daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis
also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest
erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber
in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der
Monarchie unter der Regirung seines Bruders eingetreten, be¬
schlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu
erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei.
Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Roon am 24. Juli von
Brunnen (Kanton Schwyz)2):

1) Vollständig in den Bismarckbriefen (7. Aufl.) S. 304 ff., jetzt auch in
Roon's Denkwürdigkeiten II 4 28 ff.
2) Bismarck-Jahrbuch VI 196 ff.

Briefwechſel mit Roon über die Huldigungsfrage.
ſteht. Wird der König zu ſolchem Mittel im Winter greifen wollen,
wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, ob¬
ſchon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren,
darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflöſung, nach handgreiflichen
Ausſchreitungen der Majorität, iſt ein ſehr heilſames Mittel, viel¬
leicht das richtigſte, zu dem man gelangen kann, um geſunden Blut¬
umlauf herzuſtellen.

Ich kann mich ſchriftlich über eine Situation, die ich nur
ungenügend kenne, nicht erſchöpfend ausſprechen, mag auch Manches
nicht zu Papier bringen, was ich ſagen möchte. Nachdem der
Urlaub heut bewilligt, reiſe ich Sonnabend zu Waſſer, und hoffe
Dienſtag früh in Lübeck zu ſein, Abend in Berlin. Früher kann
ich nicht, weil der Kaiſer mich noch ſehn will. Dieſe Zeilen nimmt
der engliſche Courier wieder mit. Mündlich alſo Näheres. Bitte
mich der Frau Gemalin herzlich zu empfehlen. In treuer Freund¬
ſchaft der Ihrige
v. Bismarck.“ 1)

Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen geſehn, als ich am
9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im
Bahnhofe allein vorhandnen ſchwediſchen Yſtädter Zeitung erſah,
daß der König und die Miniſter Berlin verlaſſen hatten, die Kriſis
alſo beigelegt ſein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifeſt
erlaſſen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung feſthalte, aber
in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfaſſung der
Monarchie unter der Regirung ſeines Bruders eingetreten, be¬
ſchloſſen habe, anſtatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu
erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet ſei.
Ueber den Verlauf der Kriſis ſchrieb mir Roon am 24. Juli von
Brunnen (Kanton Schwyz)2):

1) Vollſtändig in den Bismarckbriefen (7. Aufl.) S. 304 ff., jetzt auch in
Roon's Denkwürdigkeiten II 4 28 ff.
2) Bismarck-Jahrbuch VI 196 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="245"/><fw place="top" type="header">Briefwech&#x017F;el mit Roon über die Huldigungsfrage.<lb/></fw> &#x017F;teht. Wird der König zu &#x017F;olchem Mittel im Winter greifen wollen,<lb/>
wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, ob¬<lb/>
&#x017F;chon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren,<lb/>
darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflö&#x017F;ung, nach handgreiflichen<lb/>
Aus&#x017F;chreitungen der Majorität, i&#x017F;t ein &#x017F;ehr heil&#x017F;ames Mittel, viel¬<lb/>
leicht das richtig&#x017F;te, zu dem man gelangen kann, um ge&#x017F;unden Blut¬<lb/>
umlauf herzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Ich kann mich &#x017F;chriftlich über eine Situation, die ich nur<lb/>
ungenügend kenne, nicht er&#x017F;chöpfend aus&#x017F;prechen, mag auch Manches<lb/>
nicht zu Papier bringen, was ich &#x017F;agen möchte. Nachdem der<lb/>
Urlaub heut bewilligt, rei&#x017F;e ich Sonnabend zu Wa&#x017F;&#x017F;er, und hoffe<lb/>
Dien&#x017F;tag früh in Lübeck zu &#x017F;ein, Abend in Berlin. Früher kann<lb/>
ich nicht, weil der Kai&#x017F;er mich noch &#x017F;ehn will. Die&#x017F;e Zeilen nimmt<lb/>
der engli&#x017F;che Courier wieder mit. Mündlich al&#x017F;o Näheres. Bitte<lb/>
mich der Frau Gemalin herzlich zu empfehlen. In treuer Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft der Ihrige<lb/><hi rendition="#right">v. Bismarck.&#x201C;</hi> <note place="foot" n="1)"><lb/>
Voll&#x017F;tändig in den Bismarckbriefen (7. Aufl.) S. 304 ff., jetzt auch in<lb/>
Roon's Denkwürdigkeiten <hi rendition="#aq">II</hi> <hi rendition="#sup">4</hi> 28 ff.</note></p><lb/>
          <p>Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen ge&#x017F;ehn, als ich am<lb/>
9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im<lb/>
Bahnhofe allein vorhandnen &#x017F;chwedi&#x017F;chen Y&#x017F;tädter Zeitung er&#x017F;ah,<lb/>
daß der König und die Mini&#x017F;ter Berlin verla&#x017F;&#x017F;en hatten, die Kri&#x017F;is<lb/>
al&#x017F;o beigelegt &#x017F;ein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manife&#x017F;t<lb/>
erla&#x017F;&#x017F;en, daß er das Herkommen der Erbhuldigung fe&#x017F;thalte, aber<lb/>
in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfa&#x017F;&#x017F;ung der<lb/>
Monarchie unter der Regirung &#x017F;eines Bruders eingetreten, be¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en habe, an&#x017F;tatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu<lb/>
erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet &#x017F;ei.<lb/>
Ueber den Verlauf der Kri&#x017F;is &#x017F;chrieb mir Roon am 24. Juli von<lb/>
Brunnen (Kanton Schwyz)<note place="foot" n="2)"><lb/>
Bismarck-Jahrbuch <hi rendition="#aq">VI</hi> 196 ff.</note>:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0272] Briefwechſel mit Roon über die Huldigungsfrage. ſteht. Wird der König zu ſolchem Mittel im Winter greifen wollen, wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, ob¬ ſchon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren, darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflöſung, nach handgreiflichen Ausſchreitungen der Majorität, iſt ein ſehr heilſames Mittel, viel¬ leicht das richtigſte, zu dem man gelangen kann, um geſunden Blut¬ umlauf herzuſtellen. Ich kann mich ſchriftlich über eine Situation, die ich nur ungenügend kenne, nicht erſchöpfend ausſprechen, mag auch Manches nicht zu Papier bringen, was ich ſagen möchte. Nachdem der Urlaub heut bewilligt, reiſe ich Sonnabend zu Waſſer, und hoffe Dienſtag früh in Lübeck zu ſein, Abend in Berlin. Früher kann ich nicht, weil der Kaiſer mich noch ſehn will. Dieſe Zeilen nimmt der engliſche Courier wieder mit. Mündlich alſo Näheres. Bitte mich der Frau Gemalin herzlich zu empfehlen. In treuer Freund¬ ſchaft der Ihrige v. Bismarck.“ 1) Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen geſehn, als ich am 9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im Bahnhofe allein vorhandnen ſchwediſchen Yſtädter Zeitung erſah, daß der König und die Miniſter Berlin verlaſſen hatten, die Kriſis alſo beigelegt ſein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifeſt erlaſſen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung feſthalte, aber in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfaſſung der Monarchie unter der Regirung ſeines Bruders eingetreten, be¬ ſchloſſen habe, anſtatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet ſei. Ueber den Verlauf der Kriſis ſchrieb mir Roon am 24. Juli von Brunnen (Kanton Schwyz) 2): 1) Vollſtändig in den Bismarckbriefen (7. Aufl.) S. 304 ff., jetzt auch in Roon's Denkwürdigkeiten II 4 28 ff. 2) Bismarck-Jahrbuch VI 196 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/272
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/272>, abgerufen am 09.11.2024.