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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
thätigen derselben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles
hält uns nicht ab, die Beziehungen unsres Königs zu den Monarchen
dieser Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III.
Was steckt denn Besondres in dem Letzten und in der franzö¬
sischen
Revolution überhaupt? Die unfürstliche Herkunft der
Bonaparte thut viel, aber sie findet in Schweden auch statt, ohne
dieselbe Consequenz. Liegt dieses ,Besondre' grade in der Familie
Bonaparte? Dieselbe hat weder die Revolution in die Welt ge¬
bracht, noch würde die Revolution beseitigt oder auch nur un¬
schädlich gemacht, wenn man diese Familie ausrottete. Die Revo¬
lution ist viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der
Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdischen Ursprung
anweisen will, so wäre auch der nicht in Frankreich, sondern eher
in England zu suchen, wenn nicht noch früher in Deutschland oder
in Rom, je nachdem man die Auswüchse der Reformation oder
die der römischen Kirche und die Einführung des römischen Rechtes
in die germanische Welt als schuldig ansehn will.

Der erste Napoleon hat damit begonnen, die Revolution in
Frankreich für seinen Ehrgeiz mit Erfolg zu benutzen und sie später
ohne Erfolg und mit falschen Mitteln zu bekämpfen gesucht; er
wäre sie recht gern aus seiner Vergangenheit los gewesen, nachdem
er die Frucht davon gepflückt und in der Tasche hatte; gefördert
wenigstens hat er sie nicht in dem Grade, wie die drei Louis vor
ihm durch Einführung des Absolutismus unter Louis XIV., durch
die Unwürdigkeiten der Regentschaft und des Louis XV., durch die
Schwäche von Louis XVI., der am 14. September 1791 bei An¬
nahme der Verfassung die Revolution als beendigt proclamirte;
fertig war sie allerdings. Das Haus Bourbon hat mehr für die Re¬
volution gethan als alle Bonaparten, auch wenn man ihm Philippe
Egalite nicht zur Last schreibt. Der Bonapartismus ist nicht der Vater
der Revolution, er ist nur wie jeder Absolutismus ein fruchtbares
Feld für die Saat derselben. Ich will ihn damit durchaus nicht
außerhalb des Gebietes der revolutionären Erscheinungen stellen, son¬

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
thätigen derſelben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles
hält uns nicht ab, die Beziehungen unſres Königs zu den Monarchen
dieſer Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III.
Was ſteckt denn Beſondres in dem Letzten und in der franzö¬
ſiſchen
Revolution überhaupt? Die unfürſtliche Herkunft der
Bonaparte thut viel, aber ſie findet in Schweden auch ſtatt, ohne
dieſelbe Conſequenz. Liegt dieſes ‚Beſondre‘ grade in der Familie
Bonaparte? Dieſelbe hat weder die Revolution in die Welt ge¬
bracht, noch würde die Revolution beſeitigt oder auch nur un¬
ſchädlich gemacht, wenn man dieſe Familie ausrottete. Die Revo¬
lution iſt viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der
Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdiſchen Urſprung
anweiſen will, ſo wäre auch der nicht in Frankreich, ſondern eher
in England zu ſuchen, wenn nicht noch früher in Deutſchland oder
in Rom, je nachdem man die Auswüchſe der Reformation oder
die der römiſchen Kirche und die Einführung des römiſchen Rechtes
in die germaniſche Welt als ſchuldig anſehn will.

Der erſte Napoleon hat damit begonnen, die Revolution in
Frankreich für ſeinen Ehrgeiz mit Erfolg zu benutzen und ſie ſpäter
ohne Erfolg und mit falſchen Mitteln zu bekämpfen geſucht; er
wäre ſie recht gern aus ſeiner Vergangenheit los geweſen, nachdem
er die Frucht davon gepflückt und in der Taſche hatte; gefördert
wenigſtens hat er ſie nicht in dem Grade, wie die drei Louis vor
ihm durch Einführung des Abſolutismus unter Louis XIV., durch
die Unwürdigkeiten der Regentſchaft und des Louis XV., durch die
Schwäche von Louis XVI., der am 14. September 1791 bei An¬
nahme der Verfaſſung die Revolution als beendigt proclamirte;
fertig war ſie allerdings. Das Haus Bourbon hat mehr für die Re¬
volution gethan als alle Bonaparten, auch wenn man ihm Philippe
Egalité nicht zur Laſt ſchreibt. Der Bonapartismus iſt nicht der Vater
der Revolution, er iſt nur wie jeder Abſolutismus ein fruchtbares
Feld für die Saat derſelben. Ich will ihn damit durchaus nicht
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[178/0205] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. thätigen derſelben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles hält uns nicht ab, die Beziehungen unſres Königs zu den Monarchen dieſer Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III. Was ſteckt denn Beſondres in dem Letzten und in der franzö¬ ſiſchen Revolution überhaupt? Die unfürſtliche Herkunft der Bonaparte thut viel, aber ſie findet in Schweden auch ſtatt, ohne dieſelbe Conſequenz. Liegt dieſes ‚Beſondre‘ grade in der Familie Bonaparte? Dieſelbe hat weder die Revolution in die Welt ge¬ bracht, noch würde die Revolution beſeitigt oder auch nur un¬ ſchädlich gemacht, wenn man dieſe Familie ausrottete. Die Revo¬ lution iſt viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdiſchen Urſprung anweiſen will, ſo wäre auch der nicht in Frankreich, ſondern eher in England zu ſuchen, wenn nicht noch früher in Deutſchland oder in Rom, je nachdem man die Auswüchſe der Reformation oder die der römiſchen Kirche und die Einführung des römiſchen Rechtes in die germaniſche Welt als ſchuldig anſehn will. Der erſte Napoleon hat damit begonnen, die Revolution in Frankreich für ſeinen Ehrgeiz mit Erfolg zu benutzen und ſie ſpäter ohne Erfolg und mit falſchen Mitteln zu bekämpfen geſucht; er wäre ſie recht gern aus ſeiner Vergangenheit los geweſen, nachdem er die Frucht davon gepflückt und in der Taſche hatte; gefördert wenigſtens hat er ſie nicht in dem Grade, wie die drei Louis vor ihm durch Einführung des Abſolutismus unter Louis XIV., durch die Unwürdigkeiten der Regentſchaft und des Louis XV., durch die Schwäche von Louis XVI., der am 14. September 1791 bei An¬ nahme der Verfaſſung die Revolution als beendigt proclamirte; fertig war ſie allerdings. Das Haus Bourbon hat mehr für die Re¬ volution gethan als alle Bonaparten, auch wenn man ihm Philippe Egalité nicht zur Laſt ſchreibt. Der Bonapartismus iſt nicht der Vater der Revolution, er iſt nur wie jeder Abſolutismus ein fruchtbares Feld für die Saat derſelben. Ich will ihn damit durchaus nicht außerhalb des Gebietes der revolutionären Erſcheinungen ſtellen, ſon¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/205>, abgerufen am 25.11.2024.