was in Berlin bei ähnlichen Massenfesten geleistet wird; nur die Bedienung war ausreichend und prompt.
Am auffallendsten war mir der Unterschied in den Anordnungen für die Circulation. Das Versailler Schloß bietet dafür eine viel größere Leichtigkeit, als das Berliner vermöge der größern Zahl und, abgesehn von dem Weißen Saale, der größern Ausdehnung der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug derselbe Weg angewiesen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren stürmischer Anmarsch schon eine weniger höfische gesellschaftliche Gewöhnung verrieth. Es kamen körperliche Zusammenstöße der gestickten und bebänderten Herrn und reich eleganten Damen vor, die in Hand¬ greiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie sie bei uns im Schlosse unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes des kaiserlichen Hofes der Hofdienst, die Erziehung und die Manieren der Hofgesellschaft bei uns, wie in Petersburg und Wien höher standen als in Paris, und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und am Pariser Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Be¬ nehmens durchmachen konnte. Selbst die, namentlich im Vergleich mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutscher Höfe war würde¬ voller als die imperialistische Praxis. Freilich habe ich diesen Ein¬ druck schon unter Louis Philipp gehabt, während dessen Regirung es in Frankreich gradezu Mode wurde, sich in der Richtung über¬ triebener Ungenirtheit und des Verzichtes auf Höflichkeit besonders gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieser Beziehung während des zweiten Kaiserreichs besser geworden, so blieben doch der Ton in der amtlichen und höfischen Gesellschaft und die Haltung des Hofes selbst gegen die drei östlichen großen Höfe zurück. Nur in den der amtlichen Welt fremden legitimistischen Kreisen war es zur Zeit Louis Philipp's sowohl, wie Louis Napoleon's anders, der Ton tadellos, höflich und gastlich, mit gelegentlichen Ausnahmen der jüngern, mehr verpariserten Herrn, die ihre Gewohnheiten nicht der Familie, sondern dem Club entnahmen.
Pariſer Hofſitten, ein Souper in Verſailles.
was in Berlin bei ähnlichen Maſſenfeſten geleiſtet wird; nur die Bedienung war ausreichend und prompt.
Am auffallendſten war mir der Unterſchied in den Anordnungen für die Circulation. Das Verſailler Schloß bietet dafür eine viel größere Leichtigkeit, als das Berliner vermöge der größern Zahl und, abgeſehn von dem Weißen Saale, der größern Ausdehnung der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug derſelbe Weg angewieſen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren ſtürmiſcher Anmarſch ſchon eine weniger höfiſche geſellſchaftliche Gewöhnung verrieth. Es kamen körperliche Zuſammenſtöße der geſtickten und bebänderten Herrn und reich eleganten Damen vor, die in Hand¬ greiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie ſie bei uns im Schloſſe unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes des kaiſerlichen Hofes der Hofdienſt, die Erziehung und die Manieren der Hofgeſellſchaft bei uns, wie in Petersburg und Wien höher ſtanden als in Paris, und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und am Pariſer Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Be¬ nehmens durchmachen konnte. Selbſt die, namentlich im Vergleich mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutſcher Höfe war würde¬ voller als die imperialiſtiſche Praxis. Freilich habe ich dieſen Ein¬ druck ſchon unter Louis Philipp gehabt, während deſſen Regirung es in Frankreich gradezu Mode wurde, ſich in der Richtung über¬ triebener Ungenirtheit und des Verzichtes auf Höflichkeit beſonders gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieſer Beziehung während des zweiten Kaiſerreichs beſſer geworden, ſo blieben doch der Ton in der amtlichen und höfiſchen Geſellſchaft und die Haltung des Hofes ſelbſt gegen die drei öſtlichen großen Höfe zurück. Nur in den der amtlichen Welt fremden legitimiſtiſchen Kreiſen war es zur Zeit Louis Philipp's ſowohl, wie Louis Napoleon's anders, der Ton tadellos, höflich und gaſtlich, mit gelegentlichen Ausnahmen der jüngern, mehr verpariſerten Herrn, die ihre Gewohnheiten nicht der Familie, ſondern dem Club entnahmen.
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Pariſer Hofſitten, ein Souper in Verſailles.
was in Berlin bei ähnlichen Maſſenfeſten geleiſtet wird; nur die
Bedienung war ausreichend und prompt.
Am auffallendſten war mir der Unterſchied in den Anordnungen
für die Circulation. Das Verſailler Schloß bietet dafür eine viel
größere Leichtigkeit, als das Berliner vermöge der größern Zahl
und, abgeſehn von dem Weißen Saale, der größern Ausdehnung
der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug
derſelbe Weg angewieſen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren ſtürmiſcher
Anmarſch ſchon eine weniger höfiſche geſellſchaftliche Gewöhnung
verrieth. Es kamen körperliche Zuſammenſtöße der geſtickten und
bebänderten Herrn und reich eleganten Damen vor, die in Hand¬
greiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie ſie bei uns im
Schloſſe unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden
Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes des kaiſerlichen Hofes der
Hofdienſt, die Erziehung und die Manieren der Hofgeſellſchaft bei
uns, wie in Petersburg und Wien höher ſtanden als in Paris,
und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und
am Pariſer Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Be¬
nehmens durchmachen konnte. Selbſt die, namentlich im Vergleich
mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutſcher Höfe war würde¬
voller als die imperialiſtiſche Praxis. Freilich habe ich dieſen Ein¬
druck ſchon unter Louis Philipp gehabt, während deſſen Regirung
es in Frankreich gradezu Mode wurde, ſich in der Richtung über¬
triebener Ungenirtheit und des Verzichtes auf Höflichkeit beſonders
gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieſer Beziehung
während des zweiten Kaiſerreichs beſſer geworden, ſo blieben doch
der Ton in der amtlichen und höfiſchen Geſellſchaft und die Haltung
des Hofes ſelbſt gegen die drei öſtlichen großen Höfe zurück. Nur
in den der amtlichen Welt fremden legitimiſtiſchen Kreiſen war es
zur Zeit Louis Philipp's ſowohl, wie Louis Napoleon's anders, der
Ton tadellos, höflich und gaſtlich, mit gelegentlichen Ausnahmen
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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