entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein positives Resultat gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden können oder nicht vermeiden wollen.
Wie in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll, vermag ich nicht zu verstehn; es ist eine sonderbare Einheit, die von Hause aus verlangt, im Interesse dieses Sonderbundes einst¬ weilen unsre deutschen Landsleute im Süden zu erschießen und zu erstechen; die die deutsche Ehre darin findet, daß der Schwer¬ punkt aller deutschen Fragen nothwendig nach Warschau und Paris fällt. Denken Sie sich zwei Theile Deutschlands einander in Waffen gegenüber, deren Machtverschiedenheit nicht in dem Grade bedeutend ist, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale legen könnte, und ich begreife nicht, mit welchem Recht Jemand, der ein solches Verhältniß selbst herbei¬ führen will, sich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der Entscheidung unter solchen Umständen nach dem Auslande fällt."
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der Ueberzeugung des Kriegsministers für den Aufschub des Krieges zu wirken, bis wir gerüstet sein würden. In seiner Klarheit konnte ich aber den Gedanken nicht öffentlich aussprechen, ich konnte ihn nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anspruch an Geschick¬ lichkeit unsrer Diplomatie gewesen, von ihr zu verlangen, daß sie den Krieg nach Bedürfniß verschieben, verhüten oder zum Ausbruch bringen solle.
Zu jener Zeit, November 1850, war die russische Auffassung der revolutionären Bewegung in Deutschland schon eine viel ruhigere als bei dem ersten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet mit dem russischen Militär-Attache Grafen Benckendorf und erhielt 1850 im vertrauten Gespräche mit ihm den Eindruck, daß die deutsche einschließlich der polnischen Bewegung im Petersburger Cabinete nicht mehr in demselben Maße wie bei ihrem Ausbruche
Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein poſitives Reſultat gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden können oder nicht vermeiden wollen.
Wie in der Union die deutſche Einheit geſucht werden ſoll, vermag ich nicht zu verſtehn; es iſt eine ſonderbare Einheit, die von Hauſe aus verlangt, im Intereſſe dieſes Sonderbundes einſt¬ weilen unſre deutſchen Landsleute im Süden zu erſchießen und zu erſtechen; die die deutſche Ehre darin findet, daß der Schwer¬ punkt aller deutſchen Fragen nothwendig nach Warſchau und Paris fällt. Denken Sie ſich zwei Theile Deutſchlands einander in Waffen gegenüber, deren Machtverſchiedenheit nicht in dem Grade bedeutend iſt, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entſcheidendes Gewicht in die Wagſchale legen könnte, und ich begreife nicht, mit welchem Recht Jemand, der ein ſolches Verhältniß ſelbſt herbei¬ führen will, ſich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der Entſcheidung unter ſolchen Umſtänden nach dem Auslande fällt.“
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der Ueberzeugung des Kriegsminiſters für den Aufſchub des Krieges zu wirken, bis wir gerüſtet ſein würden. In ſeiner Klarheit konnte ich aber den Gedanken nicht öffentlich ausſprechen, ich konnte ihn nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anſpruch an Geſchick¬ lichkeit unſrer Diplomatie geweſen, von ihr zu verlangen, daß ſie den Krieg nach Bedürfniß verſchieben, verhüten oder zum Ausbruch bringen ſolle.
Zu jener Zeit, November 1850, war die ruſſiſche Auffaſſung der revolutionären Bewegung in Deutſchland ſchon eine viel ruhigere als bei dem erſten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet mit dem ruſſiſchen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt 1850 im vertrauten Geſpräche mit ihm den Eindruck, daß die deutſche einſchließlich der polniſchen Bewegung im Petersburger Cabinete nicht mehr in demſelben Maße wie bei ihrem Ausbruche
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[74/0101]
Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein poſitives Reſultat
gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg
zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden
können oder nicht vermeiden wollen.
Wie in der Union die deutſche Einheit geſucht werden ſoll,
vermag ich nicht zu verſtehn; es iſt eine ſonderbare Einheit, die
von Hauſe aus verlangt, im Intereſſe dieſes Sonderbundes einſt¬
weilen unſre deutſchen Landsleute im Süden zu erſchießen und
zu erſtechen; die die deutſche Ehre darin findet, daß der Schwer¬
punkt aller deutſchen Fragen nothwendig nach Warſchau und Paris
fällt. Denken Sie ſich zwei Theile Deutſchlands einander in Waffen
gegenüber, deren Machtverſchiedenheit nicht in dem Grade bedeutend
iſt, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer
geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entſcheidendes
Gewicht in die Wagſchale legen könnte, und ich begreife nicht, mit
welchem Recht Jemand, der ein ſolches Verhältniß ſelbſt herbei¬
führen will, ſich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der
Entſcheidung unter ſolchen Umſtänden nach dem Auslande fällt.“
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der
Ueberzeugung des Kriegsminiſters für den Aufſchub des Krieges zu
wirken, bis wir gerüſtet ſein würden. In ſeiner Klarheit konnte
ich aber den Gedanken nicht öffentlich ausſprechen, ich konnte ihn
nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anſpruch an Geſchick¬
lichkeit unſrer Diplomatie geweſen, von ihr zu verlangen, daß ſie
den Krieg nach Bedürfniß verſchieben, verhüten oder zum Ausbruch
bringen ſolle.
Zu jener Zeit, November 1850, war die ruſſiſche Auffaſſung
der revolutionären Bewegung in Deutſchland ſchon eine viel ruhigere
als bei dem erſten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet
mit dem ruſſiſchen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt
1850 im vertrauten Geſpräche mit ihm den Eindruck, daß die
deutſche einſchließlich der polniſchen Bewegung im Petersburger
Cabinete nicht mehr in demſelben Maße wie bei ihrem Ausbruche
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/101>, abgerufen am 21.07.2024.
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