den Dichter am Laternenpfahl hängen und mit herausgestreckter Zunge den grinsenden Kopf dankend verneigen.
Scheußlich! Scheußlich! werdet ihr sagen, und ihr habt ganz gewiß recht, aber ich wiederhole es: Was in meiner Darstellung blos widerlich wirken kann, machte von der Bühne herab, ich muß es bekennen, in der Hauptsache auf mich doch den Eindruck von ergreifender Kunst, schauderhaft ver¬ irrter, gottsträflicher, infamer Kunst zwar, aber ich wäre nicht im Stande gewesen, etwa inmitten dieser schauerlichen Frivolitäten aufzustehen und fortzu¬ gehen. Alles in mir empörte sich, aber ich war gefesselt.
In jedem anderen Falle wäre ich nun freilich jetzt weggegangen, zumal, da auf diese piece de resistance des Nordlichtes nur noch die ausge¬ sungenste aller Chanteusen folgte, aber mich ver¬ langte es, Stilpe nun auch "in Civil" zu sehen.
Wie muß der Mensch, der aus seinem Leben einen solchen grausigen Clownwitz zu machen im Stande ist, aussehen, wie muß er sich benehmen, wenn er mir gegenüber steht, der ihn aus Zeiten her kennt, wo es trotz Allem doch eine solche Per¬ spektive auf das Ende nicht gab!
Stilpe.
den Dichter am Laternenpfahl hängen und mit herausgeſtreckter Zunge den grinſenden Kopf dankend verneigen.
Scheußlich! Scheußlich! werdet ihr ſagen, und ihr habt ganz gewiß recht, aber ich wiederhole es: Was in meiner Darſtellung blos widerlich wirken kann, machte von der Bühne herab, ich muß es bekennen, in der Hauptſache auf mich doch den Eindruck von ergreifender Kunſt, ſchauderhaft ver¬ irrter, gottſträflicher, infamer Kunſt zwar, aber ich wäre nicht im Stande geweſen, etwa inmitten dieſer ſchauerlichen Frivolitäten aufzuſtehen und fortzu¬ gehen. Alles in mir empörte ſich, aber ich war gefeſſelt.
In jedem anderen Falle wäre ich nun freilich jetzt weggegangen, zumal, da auf dieſe pièce de reſiſtance des Nordlichtes nur noch die ausge¬ ſungenſte aller Chanteuſen folgte, aber mich ver¬ langte es, Stilpe nun auch „in Civil“ zu ſehen.
Wie muß der Menſch, der aus ſeinem Leben einen ſolchen grauſigen Clownwitz zu machen im Stande iſt, ausſehen, wie muß er ſich benehmen, wenn er mir gegenüber ſteht, der ihn aus Zeiten her kennt, wo es trotz Allem doch eine ſolche Per¬ ſpektive auf das Ende nicht gab!
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Stilpe.
den Dichter am Laternenpfahl hängen und mit
herausgeſtreckter Zunge den grinſenden Kopf dankend
verneigen.
Scheußlich! Scheußlich! werdet ihr ſagen, und
ihr habt ganz gewiß recht, aber ich wiederhole es:
Was in meiner Darſtellung blos widerlich wirken
kann, machte von der Bühne herab, ich muß es
bekennen, in der Hauptſache auf mich doch den
Eindruck von ergreifender Kunſt, ſchauderhaft ver¬
irrter, gottſträflicher, infamer Kunſt zwar, aber ich
wäre nicht im Stande geweſen, etwa inmitten dieſer
ſchauerlichen Frivolitäten aufzuſtehen und fortzu¬
gehen. Alles in mir empörte ſich, aber ich war
gefeſſelt.
In jedem anderen Falle wäre ich nun freilich
jetzt weggegangen, zumal, da auf dieſe pièce de
reſiſtance des Nordlichtes nur noch die ausge¬
ſungenſte aller Chanteuſen folgte, aber mich ver¬
langte es, Stilpe nun auch „in Civil“ zu ſehen.
Wie muß der Menſch, der aus ſeinem Leben
einen ſolchen grauſigen Clownwitz zu machen im
Stande iſt, ausſehen, wie muß er ſich benehmen,
wenn er mir gegenüber ſteht, der ihn aus Zeiten
her kennt, wo es trotz Allem doch eine ſolche Per¬
ſpektive auf das Ende nicht gab!
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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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