Die Dämmerung kroch ins Zimmer, sie, die der "Bärenführer" den "Teppich der behaglichen Lyriker" nannte. Dazu dröhnten von unten her die Dampframmen.
-- Der Bärenführer ist der glücklichste aller Menschen. Zwar hat er kein Portemonnaie, aber er hat Weisheit. Zwar liebt er die Weiber nicht, aber er liebt seinen lieben Gott, der ihm täglich von 10--12 Uhr zwanzig Quartseiten Phantasien schenkt. Hat er die niedergelegt, und hat ihm sein Kochbär ein tüchtiges Mittagessen mit Grobheiten gewürzt, so wandert er los wie ein tanzender Derwisch, und die Welt ist ihm eine Cremestange mit Cognacfüllung. Er macht sich selbst zum Narren und lacht doch Alle aus, denn seine Narr¬ heit ist ihm sein Spiel. Er will nichts; das ist sein Geheimnis und seine Heiterkeit.
Stilpe dachte das nicht ohne Neid.
Der "Bärenführer" war der "Erste der Eigent¬ lichen", ein wunderlicher Mensch, der mitten in Berlin mit dem Gleichmut eines orientalischen Weisen lebte und, arm wie ein persischer Bettel¬ mönch, sich mit einer köstlichen Grazie des Geistes aushalten ließ. Sein Reich war nicht von dieser
Stilpe.
— Kommt denn die Bande nicht?
Die Dämmerung kroch ins Zimmer, ſie, die der „Bärenführer“ den „Teppich der behaglichen Lyriker“ nannte. Dazu dröhnten von unten her die Dampframmen.
— Der Bärenführer iſt der glücklichſte aller Menſchen. Zwar hat er kein Portemonnaie, aber er hat Weisheit. Zwar liebt er die Weiber nicht, aber er liebt ſeinen lieben Gott, der ihm täglich von 10—12 Uhr zwanzig Quartſeiten Phantaſien ſchenkt. Hat er die niedergelegt, und hat ihm ſein Kochbär ein tüchtiges Mittageſſen mit Grobheiten gewürzt, ſo wandert er los wie ein tanzender Derwiſch, und die Welt iſt ihm eine Crêmeſtange mit Cognacfüllung. Er macht ſich ſelbſt zum Narren und lacht doch Alle aus, denn ſeine Narr¬ heit iſt ihm ſein Spiel. Er will nichts; das iſt ſein Geheimnis und ſeine Heiterkeit.
Stilpe dachte das nicht ohne Neid.
Der „Bärenführer“ war der „Erſte der Eigent¬ lichen“, ein wunderlicher Menſch, der mitten in Berlin mit dem Gleichmut eines orientaliſchen Weiſen lebte und, arm wie ein perſiſcher Bettel¬ mönch, ſich mit einer köſtlichen Grazie des Geiſtes aushalten ließ. Sein Reich war nicht von dieſer
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Stilpe.
— Kommt denn die Bande nicht?
Die Dämmerung kroch ins Zimmer, ſie, die
der „Bärenführer“ den „Teppich der behaglichen
Lyriker“ nannte. Dazu dröhnten von unten her
die Dampframmen.
— Der Bärenführer iſt der glücklichſte aller
Menſchen. Zwar hat er kein Portemonnaie, aber
er hat Weisheit. Zwar liebt er die Weiber nicht,
aber er liebt ſeinen lieben Gott, der ihm täglich
von 10—12 Uhr zwanzig Quartſeiten Phantaſien
ſchenkt. Hat er die niedergelegt, und hat ihm ſein
Kochbär ein tüchtiges Mittageſſen mit Grobheiten
gewürzt, ſo wandert er los wie ein tanzender
Derwiſch, und die Welt iſt ihm eine Crêmeſtange
mit Cognacfüllung. Er macht ſich ſelbſt zum
Narren und lacht doch Alle aus, denn ſeine Narr¬
heit iſt ihm ſein Spiel. Er will nichts; das iſt
ſein Geheimnis und ſeine Heiterkeit.
Stilpe dachte das nicht ohne Neid.
Der „Bärenführer“ war der „Erſte der Eigent¬
lichen“, ein wunderlicher Menſch, der mitten in
Berlin mit dem Gleichmut eines orientaliſchen
Weiſen lebte und, arm wie ein perſiſcher Bettel¬
mönch, ſich mit einer köſtlichen Grazie des Geiſtes
aushalten ließ. Sein Reich war nicht von dieſer
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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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